Automatisierter Content: Kostenersparnis oder Milchmädchenrechnung?

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Der KI-Automatisierungswahn greift die Text- und Content-Produktion auf einem neuen Level an. So wurde auf dem Automated Text and Content Day die künstliche Erstellung von 30 Millionen Texten angepriesen. Grammatikalisch fehlerfrei und binnen eines Monats, versteht sich.

Wenn Sie jetzt schon innerlich frohlocken, weil Sie endlich Ihren Texter aus der Budgetplanung streichen können: Halten Sie kurz inne. Denn es handelt sich dabei um eine Milchmädchenrechnung.

Automation: Bis wir alle fett und faul sind

Unternehmen streben die größtmögliche Produktivität bei geringstmöglichem Einsatz an. Überspitzt gesagt ist jeder Mitarbeiter aus Unternehmenssicht ein Kostenfaktor, den es durch technische Automation wegzurationalisieren gilt.

Und haben Sie mal darauf geachtet, was die Werbung uns Verbrauchern im gleichen Atemzug verspricht? Noch mehr Komfort. Schauen Sie mal 10 Werbespots von verschiedenen Startups und achten Sie darauf, ob Sie mit den angepriesenen Produkten bzw. Dienstleistungen „noch bequemer“ leben können/wollen/sollen.

Dabei lässt sich die Steigerung dieser Bequemlichkeit nur durch eine radikale Entmenschlichung erreichen. Denn die Human Resource ist begrenzt: Mitarbeiter brauchen Schlaf, müssen essen, wollen in Urlaub. Maschinen und Algorithmen benötigen all das nicht. Sie potenzieren Produktivität in schwindelerregende Höhen.

Wohin uns diese Wegrationalisierung und die parallel damit einhergehende Entmündigung durch Komfortversprechen führen wird, sehen wir schon heute im Film WALL·E. Menschen schwirren als Fettklöpse durch Raumschiffe, mästen sich fröhlich mit Junkfood und bekommen jeden noch so kleinen Handschlag von Maschinen abgenommen.

TV-Tipp: Im Interview mit dem ehemaligen Bundesverfassungsrichter Prof. Udo Di Fabio nennt Richard David Precht diese schleichende Entmündigung „betreutes Leben“. Sehenswert!

Im Interview stellt Precht fest:

Wo wir früher eigene Entscheidungen treffen mussten, unsere Urteilskraft bemühen, da verlassen wir uns heute auf die vermeintliche Untrüglichkeit digitaler Algorithmen.

So haben Kunden in den vergangenen Jahren gelernt, dass ihnen die Content-Brathähnchen im digitalen Schlaraffenland direkt in den Mund fliegen. Im besten Fall ist das ein erster Schritt in Richtung Verfettung auf der WALL·E-Raumstation, im schlechtesten mündet der Automationswahn in die Matrix-Totalkontrolle durch künstliche Intelligenzen. So oder so: Publisher sind durch den verwöhnten Konsumenten unter Druck geraten.

Dass sich dieses Raubtier Automation, welches Industrie und Schlaraffenlandbewohner gleichermaßen zum Leben erweckt haben, nach Musik, Grafik und Film auch die Domäne von Text & Content einverleibt, ist wenig überraschend. Zum Glück aber gelingt das nicht so ohne Weiteres.

Sprache ist Werkzeug und Waffe

In seinem Buch Erwachsenensprache: Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur* stellt Robert Pfaller fest:

Durch die neoliberale Verteilung des Reichtums nach ganz oben ist der Platz in der Mitte knapper geworden. Darum beginnen die Aspiranten, Distinktionskämpfe zu führen, um lästige Mitstreiter auszuschalten. Politisch korrekter Sprachgebrauch ist – ebenso wie Charity, ethical Fashion, ökologisches Einkaufen und veganes Kochen – vor allem und zu allererst ein Distinktionskapital; eine Waffe, mit deren Hilfe man mehr oder weniger Gleichgestellte zu Ungleichen machen kann.

Sprich: Wirtschaftliche und politische Akteure haben ein Interesse daran, Sprache zu beherrschen, weil sie eine höchst effektive Waffe ist. Das drückt auch das folgende Zitat des Schriftstellers Edward George Bulwer-Lytton aus:

Die Feder ist mächtiger als das Schwert.

Dass Politiker und Unternehmer die Sprache seit Jahrtausenden für ihre Zwecke okkupieren, ist bekannt. Heute aber erleben wir eine Machtverschiebung der Sprache in Richtung Maschinen. Zu Kosten eines zusätzlichen Machtverlustes von Sprachbewahrern.

Deswegen erscheinen uns Verkündungen wie der „Sprachpanscher des Jahres“ seitens des Vereins Deutsche Sprache e. V. so anachronistisch. Solche eigentlich rettenden Maßnahmen spielen in einer Welt, in der es nur noch um die Einverleibung des Distinktionskapitals Sprache geht, kaum eine Rolle.

Denn unter neoliberalen Gesichtspunkten ist Sprache kein schillerndes Rassepferd, sondern ein alter Gaul, den es für die eigenen Zwecke vor den Karren zu spannen gilt. Warum also sollte der Unternehmer davon absehen, automatisierten Content zu verwenden? Aus 5 einfachen Gründen.

5 Gründe, die gegen automatisierte Texte sprechen

Es wird Sie vielleicht überraschen, dass die Verwendung von automatisierten Texten auch wirtschaftliche Nachteile haben kann. Und zwar mindestens die 5 folgenden.

1. Wenn Leser von Robo-Content erfahren, sind sie weg

Fragen Sie mal Leseratten, wer deren Lieblingsautoren sind. Die Antworten werden wie aus der Pistole geschossen kommen. Und was wäre Harry Potter ohne den Schreibmythos der Autorin J. K. Rowling? Hätte Der alte Mann und das Meer die gleiche kraftvolle Wirkung auf uns, wenn wir nichts von Hemingways tragischem Leben wüssten?

Genauso verhält es sich mit Lieblingsbloggern bzw. beliebten Autoren in Corporate Blogs. Als Unternehmer binden Sie Menschen nicht an Marken, sondern an Gesichter. Sie vermitteln Vertrauen durch das Versprechen, dass Persönlichkeiten aus Fleisch und Blut schreiben. Und verspielen es, wenn Sie stattdessen Roboter auf Ihren Blog loslassen.

2. Sie haben keinen Bezug zu automatisiert erstellten Texten

Ob im Newsroom, in der Redaktion oder bei der Zusammenarbeit mit externen Autoren: Eine intensive Kommunikation ist entscheidend für gelungene Texte. Vom Briefing über die Konzeptionierung hin zum gelungenen Ergebnis begleiten die Verantwortlichen die Content-Schöpfer bei der Arbeit. Auf diese Weise wissen sie stets, worum es in den Texten geht und welche strategischen Ziele mit ihnen verfolgt werden.

Natürlich lassen sich in Zukunft auch künstliche Intelligenzen briefen. Und Gespräche mit ihnen dürften ebenfalls kein Problem sein, wie die Google Duplex Demo in beunruhigendem Maße demonstrierte.

Beunruhigend deshalb, weil auch hier wieder die Gier nach Automation zum Vorschein kommt. Welchen Sinn hat es, wenn die KI telefonisch einen Termin mit meinem Friseur vereinbart? Kann ich nicht einmal mehr selbst zum verdammten Hörer greifen?

Und veräppeln wir die Person am anderen Ende der Leitung nicht, indem wir ihr mit künstlich eingestreuten Ähm-Füllwörtern vorgaukeln, dass sie mit einem echten Menschen spricht? Was macht diese Automation mit uns und unserem Umgang miteinander?

Ähnliche Fragen ließen sich auch in Bezug auf automatisierte Texte in Blogs stellen: Täuschen wir den Leser, indem wir ihm KI-Texte vor die Nase setzen? Sofern nicht eindeutig kommuniziert wird, dass ein Roboter hinter den Artikeln steckt: ein klares Ja von meiner Seite!

3. Kreativität lässt sich nicht entmenschlichen

Kreative Werke entspringen einem zutiefst menschlichen Kern. Fotos, Videos und natürlich auch Texte berühren uns, bringen uns zum Lachen, vermitteln uns universelle Wahrheit über das Leben. Weil Menschen die Schöpfer dieser Werke sind.

Selbst wenn Sie über vermeintlich profane Themen wie Schrauben oder Tapeten bloggen: Das Ganze muss mit Seele passieren. Sonst lässt auch der sprachlich geschliffenste Content Ihre Leser kalt.

4. Sie riskieren Imageschäden

Haben die es wirklich so nötig?

Derartige oder ähnliche Fragen könnten in den Köpfen Ihrer Leser auftauchen, wenn diese erfahren, dass Sie automatisierten Content von Künstlichen Intelligenzen produzieren lassen. Vergessen Sie nie, dass Unternehmen heutzutage eine Beziehung zu Kunden aufbauen müssen. Natürlich mit echten Menschen, die für Unternehmenswerte einstehen.

Auch Ihre Autoren tun das, da sie mit Texten für Websites, Landingpages und Blogartikeln einen bedeutenden Teil Ihrer Außenkommunikation im Bereich Marketing & PR leisten. Wenn sich herausstellt, dass dieser bedeutende Teil von leblosen Maschinen zusammengefriemelt wird, kratzt das an Ihrem Image. Jedenfalls, so lange wir noch nicht von Maschinen beherrscht auf der Raumstation umherschwirren.

5. Es fehlt den Texten an Tiefe

Das Schreiben allein ist nur ein Bruchteil der eigentlichen journalistischen Arbeit, die einen guten bis hervorragenden Text ausmacht. Professionelle Redakteure greifen auf einen reichen Fundus an Erfahrungen in Kombination mit Fachwissen zurück.

Dabei ist festzuhalten, dass die menschliche Psyche einzigartig in ihrem Aufbau ist. Nur ein Mensch kann sich in diesem Kaninenchenbau des Unterbewussten zurechtfinden und die einzelnen, darin gespeicherten Fragmente so gezielt abrufen, dass er daraus hervorgehend einen starken Text schreibt.

Mit anderen Worten: Ein menschlicher Autor wühlt sich durch Themen und durch das Leben selbst, wie es eine aus der Retorte stammende KI nie könnte. So setzt er mit journalistischem Auge Themenschwerpunkte und Akzente, trennt Wesentliches von Unwesentlichem, und beackert seine Baustelle so lange, bis das fertige Textgebäude steht. Heraus kommen dabei Artikel, welche in die Tiefe gehen und die Komplexität eines Themas in unverwechslbarer Präzision erfassen.

Fazit

Mir geht es nicht darum, in einen berufsbedingten Beißreflex zu verfallen. Sondern Publishern und Unternehmen gleichermaßen Lehrgeld zu ersparen. Denn vielleicht ist jetzt endlich die Gelegenheit gekommen, aus Leidenswegen, die Musiker und Videokünstler durch technische Automatisierung bereits beschreiten mussten, zu lernen.

Und zwar, dass der Kern kreativer Arbeiten durch keine Maschine und durch keine künstliche Intelligenz ersetzt werden kann, weil dieser Kern die Essenz unseres menschlichen Daseins ist. Und nur das, was aus diesem Kern entspringt, berührt uns und Ihre Kunden auch in selbigem nachhaltig.

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