aktuell ist der Iran-Report 03/2011 der Heinrich Böll Stiftung erschienen.
Daraus dieser Abschnitt, wie immer von Bahman Nirumand:
Iran und die Unruhen in den arabischen Staaten
Steht der Islamischen Republik dasselbe Schicksal bevor, das die arabischen Diktatoren heimgesucht hat? Die Wellen, die 2009 von den Unruhen in Iran ausgingen und in den vergangenen Wochen in den arabischen Ländern einen Tsunami auslösten, kehren nun in den Iran zurück. „Erst Bin Ali, jetzt Said Ali (Chamenei)“, lautete die Parole, die am 14. Februar von Zehntausenden Demonstranten in der Hauptstadt Teheran und einigen Großstädten gerufen wurde. Das Regime schlug brutal zu, es gab zwei Tote und zahlreiche Verletzte. Eine Woche später gedachten einige Tausend Oppositionelle der Toten. Es gab ein weiteres Todesopfer.
Heißt es, dass nun auch im Iran so wie in Tunesien, Ägypten und vermutlich auch Libyen die Stunde für die Macht-haber geschlagen hat? Unter den gegebenen Machtverhältnissen wohl kaum.
Zwar ist die wirtschaftliche Lage im Iran um keinen Deut besser als zum Beispiel die in Ägypten. Die von der UNO und zusätzlich von den USA, der EU und einigen anderen Staaten verhängten Sanktionen wegen des umstrittenen Atomprogramms und die Streichung staatlicher Subventionen für Energie und Grundnahrungsmittel haben die Preise rapide in die Höhe getrieben. Die Arbeitslosigkeit ist enorm gestiegen. Heute lebt jeder vierte Iraner unter der Armutsgrenze. Die Korruption ist nahezu grenzenlos.
Was aber den gravierenden Unterschied zwischen Iran und Ägypten ausmacht, ist die Staatsmacht. Während in Ägypten die Macht auf einen Mann konzentriert war, der sich geschützt durch die USA und den gesamten Westen als Diktator behaupten konnte, regiert in Iran kein Alleinherrscher. Revolutionsführer Ali Chamenei ist zwar nach der Verfassung mit nahezu unbegrenzter Macht ausgestattet, in Wirklichkeit jedoch bei weitem nicht der absolute Machthaber.
Das iranische Regime ist aus einer Revolution hervorgegangen, die damals von nahezu der Gesamtheit der Bevölkerung getragen wurde. Und was nicht minder wichtig ist, es bewaffnete sich mit einer Ideologie, die auf den Glauben basierte – einer Waffe, die dem Regime in Ägypten gänzlich fehlte. Im Gegenteil, der ägyptische Staatschef Husni Mubarak rühmte sich, die islamischen Kräfte in Schach halten zu können. Der Friedensvertrag mit Israel und seine unbestrittene Abhängigkeit vom Westen nahmen ihm sogar die Möglichkeit, sich wie viele Despoten als Nationalist zu gebärden.
Die Machtinstrumente Mubaraks waren die Armee, die Polizei und die Geheimdienste. Aber die Armee, die von den USA ausgebildet und finanziert wurde, orientierte sich eher an Washington als an Kairo. Die Rolle, die die Streitkräfte bei den Unruhen als eine mehr oder weniger neutrale Macht zwi-schen Mubarak und den Aufständischen spielten, bestätigt dies. Zunächst zögernd, handelten sie in dem Augenblick als Washington sich entschloss, Mubarak fallen zu lassen.
Die Islamische Republik hat demgegenüber von Anbeginn ihre eigenen Machtinstrumente aufgebaut. Als Alternative zu der regulären Armee wurde die Organisation der Revolutionswächter (Pasdaran) gegründet, die Rolle der Justiz übernahmen zunächst die Revolutionsgerichte, die der Polizei die Revolutionskomitees. Hinzu kam die Milizenorganisation der Basidschis. Der achtjährige Krieg gegen den Irak stärkte diese Machtinstrumente und beschleunigte die Verbreitung der schiitischen Märtyrerideologie, vor allem bei den Militärs, Milizen und Sicherheitskräften.
Inzwischen sind sowohl die Organisation der Revolutionswächter als auch die der Basidschi gigantisch gewachsen. Spätestens seit der Regierungsübernahme von Präsident Mahmud Ahmadinedschad bilden sie die erste Macht im Land, nicht nur militärisch, sondern auch politisch wie wirtschaftlich. Sie wurden mit modernsten Waffen ausgestattet. Der neue Regierungschef übergab nahezu sämtliche Schlüsselpositionen seinen ehemaligen Pasdaran-Kollegen und überließ der Organisation die meisten Staatsaufträge. Ob in der Ölindustrie oder im Straßenbau, im Export-Import-Geschäft oder im Aufbau des Kommunikationsnetzes, überall sind die Pasdaran direkt oder als Privatfirmen getarnt mit von der Partie.
Allerdings hat die Militarisierung der Macht für das Regime auch gravierend negative Folgen. Bereits nach dem Krieg und dem kurz darauf folgenden Tod Chomeinis begann die herrschende Ideologie zu bröckeln. Nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch im islamischen Lager fragten sich viele, ob das Erreichte das war, wofür sie sich aktiv in der Revolution und beim Auf-bau des neuen Staates engagiert hatten. Der Versuch eines Teils der Kritiker, durch Reformen den Staat an die Bedürfnisse des Volkes anzupassen, scheiterte am Widerstand der Radikalen, was schließlich bei den manipulierten Wahlen von 2009 zu einer großen Spaltung im islamischen Lager führte.
Mit der Militarisierung und der brutalen Niederschlagung der Proteste verlor das Regime vollends seine ideologische Legitimität. Selbst einfache Gläubige fragten sich, wie sich Betrü-gereien, Korruption, Hinrichtungen, Folterungen und erzwungene Geständnisse mit ihrem Verständnis vom Islam und dessen ethisch-moralischen Grundsätzen vereinbaren ließen. Die Spaltung hat sich mittlerweile auf Teile des konservativen Blocks ausgeweitet. Einflussreiche Großayatollahs, die Hauptstützen des Gottesstaates, sind zu den herrschenden Radikalen auf Distanz gegangen oder üben offen Kritik.
Doch die Möglichkeit, dass die Spaltung sich auch auf Militär- und Sicherheitskräfte ausweitet und diese die Seite wechseln, ist gering. Sie genießen außerordentliche Privilegien und sind damit existenziell an die Macht gebunden. Denn anders als in Ägypten, wo das Militär durch einen klugen Schachzug zumindest bis jetzt die alte Macht bewahren und ihre Pfründe retten konnte, würde im Iran eine wie auch immer geartete Distanz zur politischen Macht zum Sturz des gesamten Regimes führen.
In dieser Lage wäre ein Regimewechsel im Iran nur dann möglich, wenn es der Oppositionen gelänge, einerseits den inneren Zerfall der Staatsmacht zu beschleunigen und andererseits die Proteste auf Produktionszentren und staatliche Einrichtungen auszuweiten.
Allein mit Straßenprotesten, die jedes Mal brutaler niedergeschlagen werden und zu Massenverhaftungen führen, wird man die Radikalen, die keine Verbrechen am eigenen Volk scheuen, kaum stürzen können.