Aufklärung & Islam? (Teil 3)

Moschee Antalya (C) Rainer-Sturm / pixelio.de

Hier in Europa würden viele wahrscheinlich eine Harmonie zwischen der Aufklärung und einer Religion ausschließen. Dies liegt vor allem an der geschichtlichen Vergangenheit dieses Kontinents. Im Namen der Kirche wurde die Wissenschaft unterdrückt und Erkenntnisse, die mit dem damaligen Weltbild nicht übereinstimmten, als Werke von Ketzern verhehlt. Wir müssen uns aber ins Bewusstsein rufen, dass dieses Verhalten im Namen der Leiter der Kirche geschah – also den Menschen und nicht der Religion.

Doch gibt es eine Aufklärung im Islam? Wenn man die Idee der Aufklärung betrachtet und sie auf den Islam anwendet, dann ja. Zugegeben: Das Bild, welches in den Medien überwiegend herumgeistert, und die Lage in vielen muslimischen Staaten mögen dieser Aussage nicht wirklich gerecht werden. Und es ist tatsächlich so, dass der Antrieb dieser Idee unter den Muslimen seit einigen Jahrhunderten extrem nachgelassen hat. Dennoch zeigt uns die Geschichte des Islam, die von einer immensen Dynamik getragen wurde, dass das Prinzip der Aufklärung – nämlich das selbstständige rationale Denken – von großer Bedeutung war und immer noch ist. Die Errungenschaften der Muslime in der Vergangenheit* sind Zeugen dieser Entwicklung und dieses Denkens.

In der Zeit, als hier das Mittelalter das Leben beeinflusste, gab es in der arabisch-muslimischen Welt neben dem starken Forschungsdrang auch das Bemühen den eigenen Glauben rational zu durchdringen. Vor allem die Mu’ataziliten führten im 9. Jahrhundert diesen Diskurs für ein rationales Verständnis und eine rationale Deutung der Welt und der Offenbarung. Unter anderem lauten drei ihrer aufgestellten Prinzipien**:

  1. Erkenntnis hat von dieser Welt auszugehen. Die jenseitige, göttliche Welt können wir nur nachvollziehen auf der Grundlage ihrer Zeichen in der diesseitigen Welt.
  2. Gott und seine Attribute können nur durch Reflexion und erworbenes Wissen erkannt werden, nicht durch unmittelbares oder geoffenbartes Wissen. Die Offenbarung soll nicht wörtlich genommen werden, sondern überprüft und damit argumentativ gestützt werden durch Reflexion und Erkenntnis.
  3. Konsens und Mehrheitsmeinung werden abgelehnt, wenn sie der Wahrheit nicht entsprechen.

Für die damalige Zeit waren diese Thesen schon ein großer Schritt. Sie fanden jedoch keine große Verbreitung, da die Mu’ataziliten dies in ihrem elitären Kreis behielten. Nichts desto trotz hat der Islam bleibenden Einfluss auf die europäische Kultur hinterlassen. W. Montgomery Watt fasst diesen Einfluss wie folgt zusammen:

„Wir können es uns sparen, den arabischen Beitrag gegen den griechischen abzuwägen und darüber zu spekulieren, welcher von beiden der bedeutendere war. Überblickt man das arabische Experimentieren, Denken und Schreiben in seiner Gesamtheit, so erkennt man, dass sich europäische Naturwissenschaft und Philosophie ohne die Araber nicht so früh hätte entwickeln können, wie sie sich entwickelt haben. Die Araber waren nicht bloß Vermittler griechischen Denkens, sie waren echte Kulturträger. Sie erhielten Disziplinen lebendig, zu denen sie Zugang gefunden hatten, und bereicherten sie um neue Fragestellungen. Als die Europäer um das Jahr 1100 begannen, sich ernsthaft für Naturwissenschaft und Philosophie ihrer sarazenischen Feinde zu interessieren, standen diese Disziplinen in ihrem Zenit; und bevor die Europäer selbst Fortschritte in der Wissenschaft machen konnten, mussten sie von den Arabern alles lernen, was zu lernen war.“

Betrachtet man den tiefgreifenden Einfluss der Muslime aus der damaligen Zeit auf die europäische Entwicklung, so stellt sich auch die Frage, ob die Europäer heute überhaupt da wären, wo sie sind – auch in Bezug zur Aufklärung.

Der Mensch ist dazu angehalten sich selbst aufzuklären, um Zeichen klarer zu erkennen.  Nicht umsonst unterscheidet sich der Mensch vom Tier durch den Verstand.

Für uns Muslime bedeutet das auch unsere Lage zu reflektieren und auf rationalem Wege anzugehen um den existierenden Problemen zu entgegnen. Der Islam ist eine Religion, die auf Vernunft basiert. Wunder, wie man es von vielen Religionen erwartet, sind im Islam von zweit-, wenn nicht sogar drittrangiger Bedeutung. Wir müssen diese Welt und ihre Schöpfung mit unserem Verstand durchdringen, um den Schöpfer zu erkennen. „Siehe, in der Schöpfung von Himmeln und Erde und in dem Wechsel von Nacht und Tag sind wahrlich Zeichen für die Verständigen.“ (Qur’an 3:190)

*An dieser Stelle sei auf ein sehr schönes Projekt in Großbritannien hingewiesen: www.1001inventions.com
** Islam und Aufklärung

Teil 1: Mach’s gut… Aufklärung
Teil 2: Zurück in die Vergangenheit


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