“Auf Hoher See” – Wolle Luthers zweiter Roman-Streich

WEIMAR. (fgw) Was ein­mal funk­tio­niert hat, funk­tio­niert auch ein zwei­tes Mal. So den­ken viele Autoren und ver­fas­sen zu einem Thema, das mal ganz gut gelau­fen ist, eine Fortsetzung. In die Riege der Fortsetzungsschreiber reiht sich nun mit sei­nem neuen Buch „Luthers Kreuzfahrt“ auch der (Neu-)Thüringer Pastor und pro­mo­vierte Literaturwissenschaftler Felix Leibrock ein.

von Ilka Lohmann

“Auf Hoher See” – Wolle Luthers zweiter Roman-StreichWieder begeg­nen wir Wolfgang Trödler, alias Wolle Luther, dem ehe­ma­li­gen Campingplatz-Hausmeister. Dieser ist inzwi­schen voll­kom­men von den Spätfolgen sei­nes Unfalls gene­sen und lebt nicht mehr in der Über­zeu­gung, Martin Luther zu sein. Aber zur Erinnerung hat er sich den Namen „Wolle Luther” als Künstlernamen in der Personalausweis set­zen las­sen.

Wir erle­ben ihn nun in ganz neuen Gefilden – näm­lich auf hoher See, oder doch zumin­dest auf der NOFRETETE, einem Kreuzfahrtschiff, das im Mittelmeer unter­wegs ist. Er schei­tert ganz groß als Animateur und als Kellner, und endet schließ­lich als der Welt ers­ter Sauna-Seelsorger. Endet… Nein, damit fängt alles erst an.

Die bei­den Ober-Animateure Jenny und Kai über­brin­gen ihm die Botschaft, daß es eine Casting-Show geben soll: DSL – Deutschland sucht Luther. Sie wird unter ande­rem auf der NOFRETETE aus­ge­tra­gen, und man sucht unter den Gästen pas­sende Kandidaten. Natürlich ist da auch Wolle mit von der Party, immer­hin ist kei­ner so Luther wie er.

Die Show soll mode­riert wer­den von Didi Dollmann, einem skan­dal­um­wit­ter­ten Fernseh-Moderator, um den sich der zweite Handlungsstrang die­ses Buches dreht. Dollmann ist so eine Art ille­gi­ti­mer Sohn von Dieter Bohlen und Jörg Kachelmann – ein Frauenverschleißer, den eine Vergewaltigungsklage sei­ner Partnerin in die Bedrängnis bringt und aus den Medien her­aus. Dollmann ist ein ich-schwacher Narzisst, der seine Minderwertigkeitskomplexe durch Promiskutität und das öffent­li­che Herabwürdigen ande­rer Menschen kom­pen­siert, und der durch sado­ma­so­chis­ti­sche Praktiken seine Aggressionen und sei­nen Haß auf die Welt aus­lebt. Das Buch erzählt von sei­ner Kindheit. Von Eltern, die nie für ihn Zeit hat­ten. Von sei­ner Außenseiterrolle in der Schule, von sei­nen Misserfolgen beim ande­ren Geschlecht.

Schließlich ent­deckt er die Musik für sich, stu­diert aber doch BWL und macht dann rich­tig Karriere im Fernsehen. Dann die Anklage, der Prozeß, der Freispruch. Ein Bruch in sei­nem Leben. Blitzhochzeit mit einer unbe­darf­ten Germanistikstudentin, und schließ­lich der Wunsch, jemand möge seine Biographie ver­fas­sen. Dieser Wunsch erfüllt sich in der Gestalt eines namen­lo­sen Biographen, mit der der Autor sich selbst einen Cameo-Auftritt ver­schafft. Und der Biograph bekommt am Ende auch eine runde Sache gelie­fert.

Nach dem gro­ßen DSL-Showdown an Bord der NOFRETETE, wäh­rend des­sen Wolle und Didi dem Augenblick „Verweile doch, du bist so schön” zuru­fen wol­len, ent­larvt sich der Moderator als Cousin von Jörg Haider und stirbt an den Folgen eines Autounfalls mit über­höh­ter Geschwindigkeit.

Soviel zum Inhalt. Der ist rasch erzählt und ver­mut­lich ebenso rasch geschrie­ben wor­den.

Das Buch über­rascht nicht, wenn man sei­nen Vorgänger „Lutherleben” kennt. Wolle Luther, auch wenn er sich nicht mehr für den gro­ßen Reformator hält, ist immer doch der selbst­süch­tige, selbst­ver­liebte Narzisst und Opportunist, der alle Menschen, die nicht in sein Weltbild pas­sen, abwer­tet und dif­fa­miert und als schwa­che Kleingeister abkan­zelt – ob das nun der Pfarrer ist, der es ablehnt, eine Spontantrauung bei ihm unbe­kann­ten Menschen zu voll­zie­hen, oder der homo­se­xu­elle Chef-Ingenieur Guido Hansen, der Wolle Avancen macht und dafür von die­sem mit Verachtung und Hohn beschenkt wird. Guido Hansen ist denn auch die tra­gischste Figur in die­sem Werk.

Wolle Luther und Didi Dollmann sind die ein­zi­gen Personen, die eine Kontur erhal­ten. Alle ande­ren sind nur Pappkameraden, die mit­un­ter noch nicht mal einen eige­nen Namen bekom­men. So läuft das bedau­erns­werte Mädchen, das von Didi auf den Malediven geehe­licht wird, nur unter dem „Pseudonym” Vögelchen. [1. Die Figur des namen­lo­sen Biographen, mit der nur der Autor Felix Leibrock selbst gemeint sein kann, gibt auch Hinweise auf die Figur des namen­lo­sen Apoldaers aus dem ers­ten Band um Wolle Luther. Nebenbei: Auf den Malediven ist Didi einer der höchs­ten Adelstitel...]

Das Buch ver­langt dem Leser viel ab. Vor allem Frustrationstoleranz. Die Handlung, der eine klare Linie fehlt, braucht sehr lange, um sich zu ent­wi­ckeln. Man hat den Eindruck, als ob das Buch lange nicht wisse, in wel­che Richtung es sich denn ent­wi­ckeln möchte. Als es dann end­lich zum Punkt kommt, ist es schon fast vor­bei.

Das große Finale ist natür­lich „Deutschland sucht Luther” – eine Verbeugung vor allen Casting-Shows des bun­des­deut­schen Fernsehens. Hier bekommt Didi noch ein­mal die Chance, zu glän­zen und sich den Anschein eines Intellektuellen zu geben.

Und dann schlägt auch Wolles große Stunde. Er darf eine neue Kirche der Emotionen aus­ru­fen, von gan­zem Herzen zu „dem da oben” beten und end­lich die Animateure Kai und Jenny kraft sei­ner Wassersuppe, respek­tive sei­nes Status als Sauna-Seelsorger, mit ein­an­der ver­hei­ra­ten.

Dieses Buch hul­digt vor allem auch dem Zeitgeist. In sei­nen Beschreibungen des Luther-Wettbewerbs zieht der Autor noch ein­mal alle Register. Das Defilee der Kandidaten reicht von Lena Meyer-Landrut über Herbert Grönemeyer und macht auch von Marius Müller-Westernhagen und Jürgen Drews nicht halt. Wobei alle nur mit ihren Vornamen genannt wer­den und den Nachnamen Luther tra­gen.

Weil sich der Autor immer wie­der auf aktu­elle Ereignisse bezieht, wie bei­spiels­weise den Tod von Amy Winehouse, läßt sich schlie­ßen, daß es in der zwei­ten Hälfte des ver­gan­ge­nen Jahres ver­faßt wor­den sein muß.

„Luthers Kreuzfahrt” hat eini­ges. Eine gewisse Humoreske läßt sich dem Buch nicht abspre­chen. Die Sprache hat Fluß und liest sich leicht. Man ist beim Lesen nicht gelang­weilt.

Aber es fehlt dem Buch alles, was Literatur aus­macht: Die Schönheit der Sprache, Tiefe, Stilistik, eine Sprache, die Zeiten und Räume trennt und neu ver­webt, die Stimmung ent­ste­hen läßt, die gefühls­mä­ßig berührt.

Dr. Leibrock hat dem Buch ein Zitat von Dieter Bohlen vor­an­ge­stellt: „Ich wün­sche mir ein neues Fach in der Schule: Emotionalität.” Ja, diese Emotionalität ist in dem Buch ent­hal­ten, doch sie äußert sich nur als Hysterie, in über­trie­be­nen, dra­ma­ti­schen Gefühlsausbrüchen, in gro­ßen Gesten, denen die Grundlage fehlt – das tiefe Gefühl. Deshalb ist man nicht bewegt von die­sem Buch. Weil es keine tiefe Gefühle hat: kein Mitgefühl, keine Zuneigung und nur eine Art Liebe, die an Abhängigkeit und Bedürftigkeit gebun­den ist.

Dem Buch ist eine Art Nachwort ange­fügt, in dem der Verfasser Felix Leibrock noch ein­mal seine eige­nen Gedanken zum Thema Kirche in unse­rer Zeit zusam­men­fasst. Auch die­ser Text bie­tet nichts neues. Es ist das ewige Lamento über eine Kirche, die angeb­lich unzeit­ge­mäß, welt­fremd und unmo­dern gewor­den sei, und deren Ordnungen, deren Liturgie, deren Gottesdienste und deren Lieder sich von den Menschen ent­fernt habe und die­sen unver­ständ­lich gewor­den sei.

Ja. Man kennt diese Rhetorik. Es ist die Rhetorik derer, die Inhalte durch eine Oberfläche erset­zen wol­len, den Sinn des Mysteriums über­la­gern wol­len vom Schein des Bunten, das angeb­lich so leicht zu ver­ste­hen sei.

Aber, so fragt die Rezensentin (und gläu­bige Christin), was nützt so eine Kirche der schö­nen Spielerein? Wäre das nicht wirk­lich eine Kirche für die Leichtgläubigen, die Leichtverführbaren? Wofür soll so eine „Kirche der Emotionen” ste­hen, wofür soll sie ein­tre­ten?

Macht sich Kirche nicht selbst obso­let, wenn sie nicht mehr ver­sucht, sich von der Welt unter­schei­den zu wol­len?

So ein Gebet an „den da oben”, ja, das ist flapp­sig, das ist cool, das ist läs­sig. Das kommt bei Jugendlichen an. Aber nur so lange, bis diese anfan­gen, Fragen zu stel­len.

Felix Leibrock: Luthers Kreuzfahrt. Roman. 208 S. Brosch. Michael-Imhof-Verlag. Petersberg 2012. 9,95 Euro. ISBN 978-3-86568-727-2

[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]


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