Mathieu Demy arbeitet sich in seinem ersten Spielfilm AMERICANO (2011), bei dem er Drehbuch, Regie und die männliche Hauptrolle übernommen hat, am amerikanischen Film Noir ab. Dass er der Sohn von Regielegenden Jacques Demy und Agnès Varda ist, versucht er nicht zu verheimlichen. Im Gegenteil, das Prinzip Sohn macht seinen Film erst sehenswert.
Martin (Mathieu Demy) lebt mit seiner Freundin Claire (Chiara Mastroianni) in Paris. Sie malt sich eine gemeinsame Zukunft mit Kindern aus, er blickt auf die Beziehung, wie auf einen Haufen Scherben. Ein Anruf reißt ihn aus einer lediglich angedeuteten Routine: Seine Mutter ist tot. Er fliegt nach Los Angeles, um ihren Nachlass zu verwalten. Die Eltern trennten sich, als er im Grundschulalter war. Er zog zu seinem Vater nach Paris, zu seiner Mutter hatte er lange keinen Kontakt. Nur bruchstückhaft kann er sich an die Kindheit erinnern, die er zum Teil in den USA verbracht hat. Nach der Ankunft – er wird von einer penetranten Freundin der Mutter (Geraldine Chaplin) empfangen– beginnt er, das Haus der Verstorbenen zu entrümpeln.
Dabei findet er Briefe, die an eine gewisse Lola, die ehemalige mexikanische Nachbarstochter, adressiert sind: Nicht Martin, sondern Lola soll das Haus in Venice Beach erben, um somit rechtmäßig in den USA bleiben zu können. Was für eine Rolle spielte diese Frau im Leben seiner Mutter? Über Umwege erfährt er, dass sie an die tijuanische Grenze deportiert wurde. Er macht sich mit einem geliehenen Mustang und dem Kopf voll wirrer Gedanken auf den Weg. In einem Nachtclub namens Americano wird er fündig. Doch Lola (Salma Hayek) redet nur gegen Bezahlung. Er verbrät sein gesamtes Geld, Auto samt Pass werden ihm gestohlen. Martin bleibt. Verzweiflung und Wissensdurst nagen an ihm. An diesem fremden Ort setzt er Fragmente seiner Erinnerung zusammen und versucht, sich von seiner emotionalen Starre zu befreien.
Mathieu Demy schneidet politische und psychologische Konflikte an. Er lässt ein bisschen Rotlicht flackern, bedient das Genre mit einem netten Twist und unsere Ohren mit guter Musik (Moderat). Trotz der hochinteressanten Mutter-Sohn- Problematik, bleibt die Figur des Martin jedoch gesichtslos– mit ihm zu leiden fällt schwer. Und Salma Hayek gleicht in ihrer Rolle der Femme fatale einer entzauberten Version jener Lola, wie sie von Anouk Aimée in Jacques Demys gleichnamigem Film von 1961 verkörpert wurde.
Interessant ist dafür der Griff ins Archiv. Martins Kindheitserinnerungen inszenierte der Regisseur mit Material, das aus Vardas Dokumentarfilm DOCUMENTEUR (Menschengesichter) von 1981 stammt und dem Film eine weitere Ebene verleiht: Der Sohn, der sich mit der Mutter auseinandersetzen muss, trifft auf den Regiedebütanten, der filmisch einer Ikone des französischen Auteurfilms gegenübertritt. Und nicht zuletzt sind auch Geraldine und Chiara Töchter bedeutender Cinéasten.
AMERICANO lebt vom Pastiche. Wer die Anspielungen erkennt, könnte seine Freude haben– für sich alleine steht der Film eher auf wackeligen Beinen. Bleibt zu hoffen, dass Mathieu Demy in seiner nächsten Regiearbeit auch Figuren und Handlung um ein paar Schichten erweitert und aus dem Schatten seiner Referenzen heraustritt.
Americano
Land: Frankreich; Jahr: 2011; Dauer: 90 Min.; Regie/Drehbuch: Mathieu Demy; Kamera: George Lechaptois; Schnitt: Jean-Baptiste Morin; Musik: George Delerue, Grégoire Hetzel; Darsteller: Mathieu Demy, Salma Hayek, Geraldine Chaplin, Chiara Mastroianni, Carlos Bardem
Produzent: Mathieu Demy
Produktionsfirma: Les Films de l’Autre
Weltvertrieb: Bac Films