Atomkraft, Krebs und Statistik

Die Bundesregierung sieht also keinen Zusammenhang zwischen dem maroden Atommülllager im Salzstock Asse und dem Anstieg von Krebsfällen in der Umgebung. Warum auch, denn dann würde es noch schwieriger, ein Endlager für das hochgiftige Zeugs zu finden.

Photo:rowens27

Die erhöhten Krebsraten könnten nicht durch die Strahlenbelastung erklärt werden, wie es in der Antwort des Umweltministeriums auf eine Anfrage der Grünen heißt. Um den beobachteten Anstieg der Krebsfälle mit Strahlung erklären zu können, müsse „die Dosis etwa 10000-mal höher sein als beobachtet“ – behauptet zumindest die Parlamentarische Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser (CDU). Eine Analyse seltener Krebserkrankungen in einer kleinen Region unterliege „zwangsläufig starken statistischen Schwankungen“. Ja, wenn nur noch starke Raucher in die Umgebung von Atommüll-Endlagern ziehen, beispielsweise. Oder andere Menschen, die durch ihren unvernünftigen Lebenswandel Krebs riskieren, weil sie sich ungesund ernähren. Oder zu viel mit dem Handy telefonieren – obwohl man die Schädlichkeit von Mobilfunkstrahlung ja auch noch nicht wissenschaftlich beweisen konnte. Dass WLAN-Funk Bäumen schadet, dagegen schon.

Gut, dass wir keine Bäume sind! Dann müssen wir nicht immer da rumstehen, wo es am meisten strahlt, sondern können uns wo anders hin bewegen, in einen Bunker beispielsweise, in den weder Mobilfunk- noch sonstige Strahlung dringt!

Mit der Statistik ist das ja so eine Sache, manchmal muss man sie gar nicht fälschen, sondern nur richtig interpretieren, um die gewünschten Ergebnisse zu erhalten: In Auswertungen einer bestimmten Anzahl von Gemeinden könnten höhere Erkrankungsraten allein aufgrund des statistischen Zufalls gefunden werden. Im Landkreis Wolfenbüttel selbst seien die Daten unauffällig, wiegelt das Ministerium ab. Das kann ja sein, aber interessant ist es schon, dass gerade um Atomanlagen herum immer besonders krebsaffine Leute wohnen. Ich habe Freunde, die in der Umgebung des Atomkraftwerks Krümmel aufgewachsen sind. Dort gibt es ebenfalls eine Häufung von Leukämieerkrankungen. Ein Freund erzählte mir, dass aus seinem Abiturjahrgang schon vier seiner Freunde an Krebs gestorben seien. Er ist wie ich ein Endsechziger-Jahrgang, die Leute sind also mit Anfang 40 noch nicht in einem Alter, wo man langsam Krebs bekommt, wenn man an den typischen Alterskrankheiten nicht sterben will.

Aus meinen Abijahrgang wüsste ich noch keinen, der an Krebs gestorben ist, aber ich hatte auch das Glück, in einem sehr strukturschwachen Gebiet aufzuwachsen, in dem das nächste Atomkraftwerk in sicherer Entfernung lag. Wobei das relativ nächste AKW Würgassen auch dafür bekannt war, dass sich in seiner näheren Umgebung eine signifikant höhere Krebsrate bei Kindern auftrat. Schon gemein, dass die empfindlichen Leute immer in den falschen Gebieten wohnen.

Nun ist es aber so, dass der Staat natürlich weiß, dass es Risiken beim Betrieb von Atomanlagen gibt. Das ist durchaus einkalkuliert. Dafür gibt es ja ein Bundesamt für Strahlenschutz und diesen ganzen Apparat. Wenn der Staat nicht wüsste, dass Atomkraft gefährlich ist, könnte er sich das auch sparen. Er weiß es aber, und er will das Risiko managen. So lange nur ein paar und nicht zu viele Leute sterben, ist das ein vertretbares Risiko. Und so lange es so wenige sind, die deshalb sterben, dass man das auch mit dem statistischen Rauschen erklären kann, umso besser. Dafür gibt es dann auch Gegenden, in denen weniger sterben, als statistisch zu erwarten ist, so gleicht sich das alles aus. Wenn viel zu viele sterben, wie das nach der Katastrophe von Tschernobyl der Fall war, dann kann auch mal ein Staat an den Folgen (und den Kosten dafür) zusammenbrechen. Es ist davon auszugehen, dass die Bundesregierung, egal wer an der Regierung ist, keineswegs wünscht, dass eine solche Katastrophe eintritt.

Aber man sollte sich als Atomkraftgegner auch nicht der Illusion hingeben, der Staat könnte doch eigentlich nicht wollen, was er da tut. Die guten Leute in der Regierung könnten den Leuten doch nicht so etwas gefährliches und giftiges wie Atomkraftwerke und Atomend- oder Zwischenlager in ihren Nachbarschaft zumuten. Doch, das können die. Und das tun die auch. Und nicht, weil die das für ungefährlich halten. Sondern weil sie meinen, dieses Risiko müssen man eingehen, wenn man in der Atomindustrie auf dem Weltmarkt mitspielen will.

Wenn man wirklich will, dass das anders wird, muss man in der Kritik sehr viel fundamentaler und radikaler werden, als die Anti-Atom-Bewegung das derzeit ist. Nichts gegen die Leute, die sich dafür einsetzen, dass dieser Wahnsinn endlich aufhört. Aber es hat keinen Sinn, seinen Protest an eine Regierung zu adressieren, die beschlossen hat, dass Atomkraft nun einmal dazu gehört – trotz der bekannten Risiken für Mensch und Umwelt und trotz der enormen Kosten, die für den weiteren Betrieb (allein was so ein blöder Castor kostet, vom Transport ganz zu schweigen…) und die Endlagerung des Mülls noch aufzuwenden sind.


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