Es sind nur vier Gespräche aus den Jahren 2001 bis 2004, die David Barsamian mit Arundhati Roy führte und die das Buch bilden. Aber es es ist die Quintessenz dessen, was Roys Denken ausmacht. Die Gespräche schließen – wie schon der Titel verrät – nahtlos an das vorherige Buch “Die Politik der Macht” an; sind aber, da als Interview und mit kritischen Zwischenfragen geführt, oft noch deutlicher in ihrer Formulierung als dort.
Und es passt hervorragend, dass das Vorwort von Naomi Klein verfasst wurde, sind sie doch meiner Meinung nach “Schwestern im Geiste”. Sie wehren sich beide gegen die neoliberale Vereinnahmung unserer gemeinsamen Welt. Die eine aus dem Westen, die andere – Arundhati Roy – aus der Sicht der Betroffenen. Und das ist es, was für mich die Bücher der Inderin so spannend machen: die Sicht auf die direkten Folgen unseres Wirtschaftssystems für die betroffenen Menschen.
Eines der für Roy wichtigsten Themen ist die Auseinandersetzung mit der Bush-Regierung und deren Außen- und Wirtschaftspolitik. (Ein Thema im Übrigen, mit dem sich dann auch Naomi Klein etwas später im Buch “Schock Strategie” intensiv auseinandersetzt.) Unter dem Gesichtspunkt, dass Roy aus Indien stammt, dem Land, in dem der gewaltlose Widerstand als Möglichkeit der Gegenwehr gegen die Kolonisierung entwickelt wurde, lesen sich diese Zeilen doppelt anklagend:
Die Antwort der US-Regierung auf den 11. September hat dem Terrorismus sogar noch Vorschub geleistet. Sie hat ihm zu enormen Aufschwung verholfen und dafür gesorgt, dass es so aussieht, als wäre Terrorismus das wirksamste Mittel, um sich Gehör zu verschaffen. Im Laufe der Jahre wurde jede Form des gewaltlosen Widerstands unterdrück, ignoriert, mit Füßen getreten. Aber als Terrorist hat man gute Chancen auf Verhandlungen, darauf, im Fernsehen gezeigt zu werden und all die Aufmerksamkeit zu bekommen, von der man nie zu träumen gewagt hätte. (Seite 61)
Dieses Zitat stammt aus einem Abschnitt, in dem sie sich bitter beklagt über den Irrsinn, der zwischen Indien und Pakistan Methode wurde. Sie vermag es, anhand der kleinen (noch nicht ausgebrochenen) Konflikte aufzuzeigen, dass diese im Zusammenhang stehen mit den großen, die als “Clash der Kulturen” bezeichnet werden von jenen, die sich frei sprechen wollen von der eigenen Verantwortung.
Arundhati Roy ist für mich eine Humanistin und Demokratin im seltenen, guten Sinne. Und das folgende Zitat soll zeigen, dass sie, ohne es 2002 überhaupt nur ahnen zu können, wie schnell das gehen kann, als Warnerin in der Wüste auftrat.
Im Wahrheit existiert immer einer Kluft zwischen Bürger und Staat, egal welcher Ideologie sich der Staat verschrieben haben mag. Auch heute ist es in Indien und in allen anderen Ländern so, dass der Staat den Bürger seiner Rechte und Freiheiten beraubt, sobald man ihm die Erlaubnis dazu erteilt. Folglich existieren sämtliche Freiheiten in einer Gesellschaft nur, weil die Bürger auf ihnen bestehen, und nicht, weil der Staat so gut oder so schlecht ist. Und in Indien und überall sonst auf der Welt werden die Menschen mit beängstigender Geschwindigkeit ihrer Freiheiten beraubt. Meiner Ansicht nach ist es nicht nur wichtig, sondern auch höchste Zeit, dass wir zu lästigen und unangenehmen Bürgern werden, dass wir dem Staat nicht länger erlauben, uns das wegzunehmen, wonach er mit beiden Händen greift. (Seiten 68/69)
Das heute sich in aller Munde befindliche “Empört Euch!” erschien fast ein Jahrzehnt nach diesen Worten!
Doch auch der Befragende David Barsamian treibt das Buch voran. Mit guten Fragen bringt er Arundhati Roy dazu, sehr deutliche Antworten (auf ebenso deutliche Fragen) zu geben. Ein Beispiel wie dieses soll und kann für viele in diesem Buch stehen:
Die Einwohner der Vereinigten Staaten machen lediglich drei oder vier Prozent der Weltbevölkerung aus, trotzdem verbrauchen sie rund ein Drittel der natürlichen Ressourcen der Welt, und die Aufrechterhaltung dieses Ungleichgewichts erfordert den Einsatz von Macht und Gewalt.
Die US-Lösung des ständig wachsenden Ungleichgewichts auf der Welt besteht nicht in der Suche nach einer gerechteren Welt oder nach einer Möglichkeit der gerechteren Verteilung, sondern lediglich in der Auferlegung der “umfassenden Dominanz”. Die US-Regierung spricht im Augenblick sogar davon, Unruhen aus dem Weltall niederzuschlagen. Die USA sind ein terroristischer Staat und schaffen eine legitime Blaupause für einen vom Staat finanzierten Terrorismus. (Seite 97)
Das ist starker Tobak. Aber wenn man darüber nachdenkt, dass die Herren im Pentagon heute davon reden, aufgrund eines (möglichen) Hackerangriffes einen Krieg auszulösen, dann sind diese Worte eher vorsichtig gewählt.
Ich möchte darauf hinweisen – nur, damit weder Arundhati Roy noch ich falsch verstanden werden: es gibt in den Gesprächen kein Wort gegen einen Bürger der USA; keines gegen einen Menschen, der im Westen lebt. Sie trennt deutlich zwischen Menschen und Politik von Staaten. Denn auch sie ist sich im Klaren darüber, dass Politik in jedem Falle wirtschaftliche Gründe hat (was dann wiederum Naomi Klein beweist). 1 Und dass der einzelne Mensch – zumal wenn er hungert – sich wenig Gedanken über die IWF oder die Weltbank macht. Obwohl deren Entscheidungen “in klimatisierten Büros in New York oder Genf” (Zitat aus “Politik der Macht”) gravierenden Einfluss auf deren Leben haben.
Roy erkennt auch deutlich, dass Vieles an dem, was einem unvoreingenommenen Beobachter als Irrsinn vorkommen muss, wenn er das Handeln eines Präsidenten Bush betrachtet, seinem christlichen (evangelikalen) Denken geschuldet ist.
Damit könnte ich diesen Text eigentlich schließen. Solch ein Schlusswort ist mir kaum möglich. Doch ich möchte unbedingt Naomi Kleins letzten Vorwortsatz noch anbringen:
Danke, Arundhati. Wie immer erhellen uns deine klaren und zornigen Worte den Weg…
Nic
« Die Errettung der Fröscheähnliche Artikel:
- Arundhati Roy – Die Politik der Macht
- Niccoló Machiavelli – Der Fürst
- bestellt
- Bücher, die das Denken ändern
- Ottmar Schreiner – Die Gerechtigkeitslücke