Es gibt wieder neue Rekorde in Deutschland, allerdings sind das keine, auf die man stolz sein könnte: Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat einen sprunghaften Anstieg der Armut in Deutschland registriert: Die Anzahl armer Menschen erreichte 2013 ein in neues Rekordhoch von 15,5 Prozent in 2013.
Wenig überraschend ist der Anstieg gerade dort besonders hoch, wo auch vorher schon mehr Menschen arm waren. So gelten in Bremen inzwischen 24,6 Prozent der Menschen offiziell als arm, in Bayern aber “nur” 11,3 Prozent. Von einheitlichen Lebensverhältnissen in Deutschland könne keine Rede mehr sein. Der Paritätische appelliert daher an Bund und Länder, auch bei den laufenden Verhandlungen zur Reform des Länderfinanzausgleichs das Ziel der Armutsbekämpfung im Auge zu behalten. Der Länderfinanzausgleich müsse sich an den tatsächlichen Armutsregionen orientieren und nicht an Himmelsrichtungen oder an abstrakten Kennzahlen, die nichts mit der Lebenswirklichkeit vor Ort zu tun hätten.
Auch die so genannte Altersarmut stieg überproportional an – und zwar in Ost und West. Dies sei darauf zurückzuführen, dass immer mehr Menschen mit sehr gebrochenen Erwerbsbiografien in den Rentenbezug kommen. “Die aktuellen Zahlen sind nur der Vorbote einer Lawine der Altersarmut, die in 10 Jahren auf uns zukommen wird, wenn nicht endlich politisch gegen gesteuert wird”, sagt Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen. Der Verband spricht von “politisch fahrlässig in Kauf genommener Altersarmut” und kritisiert die bisherige Rentenpolitik der Großen Koalition.
Insofern ist schon wieder putzig, dass sich der Paritätische Wohlfahrtsverband dann aber ausgerechnet an die Bundesregierung wendet und von ausgerechnet dieser Regierung verlangt, einen Masterplan zur Bekämpfung der Armut aufzulegen: Es war doch genau die Bundesregierung, die eine massenhafte Verarmung der Menschen durch ihre Politik beschlossen hat!
Und zwar nicht aus Versehen, sondern mit Absicht: Natürlich führt eine Absenkung des Rentenniveaus dazu, dass immer mehr Menschen von ihrer Rente nicht mehr leben können. Natürlich macht ein schäbiger Mindestlohn von 8,50 pro Stunde niemanden, der für seinen Lebensunterhalt arbeiten muss, reich. Erst recht nicht, wenn es noch immer zahlreiche Jobs gibt, in denen der Mindestlohn nicht mal gezahlt wird. Und selbstverständlich ist es nicht möglich, sich auf diese Weise eine Rente zu erarbeiten, die auch nur annähernd in die Nähe der ebenfalls schäbigen Grundsicherung kommt – die beträgt, genau wie der Hartz-IV-Satz 391 Euro pro Monat plus Kosten der Unterkunft (sofern die nicht zu hoch sind). Auch das hat unsere Bundesregierung so beschlossen. Damit hat sie eben auch beschlossen, dass ein immer größerer Anteil der Menschen in diesem Land arm sein soll.
Denn andererseits ist auch klar, dass der Standort Deutschland und unsere Wirtschaft im internationalen Wettbewerb erfolgreich bleiben soll – genau dazu diente ja die Lohnsenkungspolitik, die bereits von der rot-grünen Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder beschlossen wurde. Und die von den Nachfolgeregierungen dankbar übernommen und fortgeführt wurde. Die deutschen Arbeiter müssen sich einfach mal klar machen, dass sie in einer globalisierten Wirtschaft jetzt nicht mehr nur mit Franzosen, Engländern und Spaniern konkurrieren, sondern mit Indern und Chinesen – und die arbeiten halt für noch viel weniger Geld. Und in Indien oder China arm zu sein ist noch viel weniger schön. Oder in den USA, wo es nach ein wenigen Jahren Sozialhilfe einfach gar nichts mehr vom Staat gibt. Und es würde mich nicht wundern, wenn demnächst auch mal eine Bundesregierung auf die Idee käme, zu hinterfragen, warum man die ganzen für den Standort nutzlosen Leute überhaupt noch durchfüttern muss.
Insofern gehen die ganzen Klagen über die Armut in Deutschland an die falsche Adresse: Einige Regierungsmitglieder mögen sich zwar hinstellen und öffentlich bedauern, dass es so viele arme Menschen in Deutschland gibt – aber ihre Politik werden sie deshalb nicht ändern. Deshalb ist es sehr viel interessanter, sich zu fragen, wozu man eigentlich so eine Bundesregierung braucht. Wer eine menschenfreundlichere Gesellschaft will, muss sich klar machen, dass das mit den derzeitigen Strukturen nicht zu haben ist: Das ist kein Fehler im System, sondern das System ist der Fehler.