Armin, das Nilpferd

“Guck dir den Fettsack an.” Der Kellner nickte zum anderen Ende der Theke, wo Armin saß. “Stopft sich das Schnitzel in die Backen, wie eine Mastsau im Pullunder. Ich wette in einem Jahr holt ihn die Feuerwehr mit einem Kran aus seiner Wohnung.”
Seine Kollegin mit dem Pferdeschwanz, die neben ihm stand, verkniff sich ein Schmunzeln. “Sag sowas nicht! Der hat bestimmt eine Krankheit, oder so.”
“Ach was, der hat keine Krankheit. Der hat höchstens ein Loch im Bauch.”
Armin hatte weder das eine, noch das andere. Dafür hörte er sehr gut. Trotzdem konzentrierte er sich lieber auf den Teller vor ihm. An einem Schnitzel mit Pommes Frites gab es schließlich nichts Verwerfliches.
“Er kommt jeden Tag zur gleichen Zeit und setzt sich an die Theke”, erklärte der Kellner.
“Er sieht einsam aus”, fand die Kellnerin.
“Na und? Trotzdem könnte er wenigstens versuchen zu kauen, oder?”
“Der Arme hat bestimmt keine Freunde.”
“Außer Pommes und Fritz, meinst du?”
Die Kellnerin presste die Hand auf ihren Mund, um ein Lachen zu unterdrücken.
“Du bist gemein!”
Armin fand, dass die Pommes heute etwas fade schmeckten. Er nahm das Salz, um das Problem zu beheben.
“Oh Gott, seine Arterien platzen bestimmt gleich”, murmelte der Kellner.
“Hoffentlich bekommt er keinen Herzinfarkt.”
“Wenn er krepiert, machst du ihn weg”
“Aber du hast ihm doch das Schnitzel serviert?”
“Du hast Mitleid mit der Tonne – du bringst den Müll raus.”

Armin rutschte auf dem Barhocker herum. Aus seiner Hose quoll eine Speckrolle hervor, wie eine Blase im Kuchenteig. Er legte das Besteck zur Seite und räusperte sich.
“Entschuldigung”, murmelte er. “Der Barhocker ist doch nicht so bequem, wie ich gedacht hatte. Ich werde rüber zum Tisch gehen.”
Der Kellner nickte und bemühte sich, Armin nicht mitten ins Gesicht zu grinsen.
Teller und Glas in der Hand rutschte Armin vom Hocker und zog um an einen der Tische im Bisto. Zu dieser Uhrzeit hatte er freie Auswahl und so setzte er sich ans Fenster in die Mittagssonne.
“Jetzt hast du ihn verscheucht”, sagte die Kellnerin mit dem Pferdeschwanz.
“Hoffentlich schwitzt er nicht”, antwortete der Kellner.
“Ich denke Elefanten schwitzen nicht?”
Die zwei Kellner hinter der Theke prusteten vor Lachen, aber Armin schenkte ihnen keine Beachtung. Eingehüllt in den Duft, der von der panierten Köstlichkeit auf seinem Teller aufstieg, interessierte er sich nicht dafür, was man hinter seinem Rücken tuschelte. So lange man ihn in Frieden zu Mittag essen ließ, konnte man ihm so viele Tiernamen geben, wie man wollte. Es störte ihn nicht. Er mochte Tiere. An den Wochenenden ging er gerne manchmal in den Zoo und fand es lustig, wenn Menschen ihn mit Schweinen, Elefanten oder sogar Nilpferden verglich. Wussten die Menschen denn nicht, wie gefährlich Nilpferde sein konnten?
“Du Arsch!” Die Kellnerin boxte ihren Kollegen in den Arm. “Er hat bestimmt gehört, was du gesagt hast!”
“Wieso? Weil Elefanten große Ohren haben?”
“Du bist ein Teufel.”
Der Kellner grinste. “Warte mal hier, ich will was probieren.”
“Oh nein, was kommt jetzt?”
“Entspann dich, das wird lustig.”
Er arrangierte ein Geschirrtuch über seinem angewinkelten Arm, imitierte eine Verbeugung und ging lächelnd zu Armin an den Tisch.
“Entschuldigung, der Herr?”
„Ja?“ Armin blickte vom Teller hoch. Etwas Jägersoße tropfte vom Kinn auf sein Hemd.
Der Kellner überspielte Ekel mit Freundlichkeit. „Hätten der Herr vielleicht Interesse an einem Nachschlag?“
„Wie meinen sie das?” Armin verzog irritiert das Gesicht.
„Auf Kosten des Hauses, versteht sich.“
„Gibt es sowas denn?”
”Natürlich nicht für jedermann”, erklärte der Kellner und unterdrückte mit Mühe ein Grinsen. „Es ist Tradition, die Treue unserer Gäste mit etwas Besonderem zu belohnen. Deshalb kommen nur unsere geschätztesten Stammgäste in solch einen Genuss.”
„Ich weiß nicht. Von sowas hab ich ja noch nie gehört.“
„Es ist eine Überraschung. Die Spezialität des Hauses, ganz nach ihrem Geschmack!“
„Meinem Geschmack?“
„Jawohl, der Herr. Unter Garantie.“
„Vielen Dank, aber lieber nicht. Ich glaube, ich bin satt.“
Beinahe wäre der Kellner in Lachen ausgebrochen. Satt? „Aber nein, der Herr, keine falsche Zurückhaltung. Sie haben es sich verdient!“
„Hmm.“ Armin dachte nach. Dabei sah er aus, fand der Kellner, wie eine fette Ente mit aufgeplusterten Backen am Schalter bei McDonalds, die sich nicht entscheiden konnte zwischen dem großen und dem extra-großen Bürgermenu. Spätestens jetzt hätte er losgelacht, wenn ihn die Vorstellung nicht so sehr geekelt hätte.
„Na gut”, gab Armin schließlich nach. “Wenn sie meinen, dann nehme ich gerne den Nachtisch. Vielen Dank. Danke schön.“
„Jawohl, der Herr. Exzellente Wahl.“ Wieder imitierte der Kellner eine Verbeugung. Dann drehte er sich um und lief in die Küche, nicht ohne seiner Kollegin eine Grimasse zu schneiden, die ausdrückte, dass er nicht glauben konnte, dass das gerade funktioniert hatte.
Armin bekam davon nichts mit. Nun, da er einen Nachschlag bekam, aß er zügig seinen Teller leer. Er spießte so viele Pommes auf die Gabel, wie Platz hatten, tunkte sie in Soße und ließ sie mit großen Bissen verschwinden. Das Ganze spülte er dann mit Limonade herunter. Er putzte sich die Finger mit der Serviette ab und schaute aus dem Fenster. Ein Nilpferd konnte mit einem Happs bestimmt einen ganzen Menschen verschlucken, dachte er.
Als der Kellner aus der Küche zurück kam, trug er eine große Schüssel in den Händen. Schon von der Theke her roch sie stark und die Kellnerin verzog das Gesicht, als er an ihr vorbei lief. Der Koch gesellte sich dazu, um das versprochene Spektakel zu beobachten.
„Voilá”, sagte der Kellner und stellte die Schüssel vor Armin auf den Tisch. “Einmal die Spezialität des Hauses.” Sie roch wie die Küche in einem Fast Food Imbiss.
„Das ist der Nachschlag?“
„Jawohl, der Herr.“
„Riecht ein bisschen komisch.“
Der Kellner wank ab. „Lassen sie sich davon nicht irritieren, der Herr. Das ist genau ihr Ding, das verspreche ich ihnen!“
Er zwinkerte hinüber zur Theke, wo die Kellnerin den Kopf schüttelte und der Koch grinste.
„Und was soll das sein?“
„Oh, sehen sie doch ruhig selbst!“ Der Kellner nahm den Deckel ab. “Guten Appetit, wünsche ich!”
In der Schüssel schwammen Fettaugen in einer gelben, zähen Suppe, die roch, als hätte sie jemand aus ranzigen Pommes Frites gepresst.
„Das sieht aber aus wie…“
„Die Spezialität des Hauses, der Herr“, verkündete der Kellner. „Pures Fett!“
Hinter der Theke schlug die Kellnerin die Hände vor dem Gesicht zusammen. Der Koch kicherte.
„Fett?“ fragte Armin.
„Direkt aus der Fritöse, der Herr.“
Armin schüttelte den Kopf. Seine Backen wackelten wie Teigtaschen. „Das finde ich nicht lustig. Wenn das eine Anspielung sein soll, dann-“
„Aber, der Herr“, unterbrach ihn der Kellner. „Ich ging davon aus, dass das genau in ihrem Sinne sei?“
Armins Gesichtsausdruck verfinsterte sich. „Wie kommen sie denn auf so eine Idee?“
„Ich dachte, so wie sie ihr Schnitzel essen…“
„Was ist mit meinem Schnitzel?“ Armin richtete sich auf. Die Empörung in seiner Bewegung verpuffte in seiner Behäbigkeit. Er wollte ein stampfender Elefant sein, doch sah aus wie ein müdes Nilpferd.
„Ich dachte einfach…“
„Was dachten sie, hm?“
„Ich dachte Frittierfett wäre einfach etwas schneller.“
Der Koch schlug vor Lachen mit der Hand auf die Theke.
„Pures Fett würde ihnen die Unannehmlichkeit ersparen zu Kauen“, erklärte der Kellner.
Armins Gesicht erstarrte.
Der Kellner lachte ihn an.
„Hör mal, Specki“, ließ er die Fassade fahren. „Guck dich doch mal an. Wir wäre es, wenn wir dir einfach einen Trog mit unserem Frittierfett mittags vor die Tür stellen, hm? Würde dir das gefallen? Wozu die ganzen Umstände? Du kannst einfach den Kopf hineintauchen. Wenn du willst, basteln wir dir auch einen Strohhalm. Dann kannst du es trinken, wie einen Milchshake. Es kostet dich auch nichts. Du würdest Karl dahinten sicher auch einen Gefallen tun.“ Er zeigte mit dem Dauemn auf den Koch, der sich vor Lachen den Bauch hielt. „Wir ersparen uns alle viel Zeit damit. Hören wir einfach auf so zu tun, als wärst du etwas anderes, als ein dickes – fettes – Schwein. “
„Du bist ein echtes Arsch, Kevin“, fuhr ihn die Kellnerin mit dem Pferdeschwanz an und stürmte davon
„Was hat sie denn?“ feixte der Kellner. „Ist doch wahr, oder nicht?“
Armin sank in sich zusammen. Jemand hatte die Luft aus ihm gelassen. Seine Backen, die vor Minuten noch genüsslich Schnitzel gemampft hatten, baumelten nun schlaff herunter. Härte legte sich in seine Züge. Zwischen den Augenbrauen rollte sich seine Stirn in Falten. Er dachte an Nilpferde.
„Sie haben Recht“, räusperte er sich. „Kauen ist anstrengend.“ Er schob seinen Kiefern nach links. Es knackte.
“Ich habe es schon immer gehasst.”
In einer zähen Bewegung zog er seinen Kiefer nach rechts, sodass sein Doppelkinn zitterte. Die Knochen machten ein Geräusch, wie ein fletschendes Gummiband. Plötzlich hing sein Mund eine halbe Etage tiefer.
“Wenn ich könnte, würde ich es einfach sein lassen”, lallte er.
Er hakte die Finger in die untere Zahnreihe und zog. Die Bewegung wölbte den Mund; man hörte so etwas wie ein Quietschen, bis die Öffnung groß genug war, dass ein Basketball hinein passte. Oder ein Kopf.
“Ich schlinge meine Mahlzeiten lieber herunter.”
“Was zum Teufel machst du da?” stammelte der Kellner.
Der Koch lachte noch immer, aber begriff langsam, dass die Szene sich verändert hatte.
“Du hast mir Nachschlag versprochen”, murmelte Armin. “Jetzt habe ich Hunger.”
“Was!?”
Armin grinste. “Ich bin doch noch nicht satt.”
Und mit einem Bissen verschwand der Kellner vom Boden der Erde.
Der Koch schrie auf. In einer Mischung aus Schrecken und Unglauben starrte er auf die Stelle, an der vor gerade noch sein Freund gestanden hatte. Jetzt war er weg und in Armins Bauch bewegte sich etwas, das von innen gegen die Magenwände stieß und aussah, wie ein Ertrinkender.
“Oh mein Gott!”
Armin nahm das Glas vom Tisch und spülte den letzten Schluck hinunter. Er tupfte sich den Mund mit der Serviette sauber. Ein Rülpser entfuhr ihm.
Die Küchentür öffnete sich und die Kellnerin mit dem Pferdeschwanz kam zurück.
“Hören sie, ich muss mich wirklich für meinen Kollegen entschuldigen. Das ging zu weit. Manchmal kann er ein…” Sie blieb stehen und sah sich um. “Wo ist er hin?”
Armin zuckte mit den Schultern. “Ich möchte bitte zahlen.”
Der Koch saß hinter der Theke und brachte kein Ton raus.
“Vergessen sie das ganz schnell, das Essen geht selbstverständlich auf’s Haus. Ich kann ihnen gar nicht sagen, wie leid es mir tut, Kevin, er…” Die Kellnerin suchte die passenden Worte. “Er ist einfach ein Arschloch.”
“Macht nichts”, antwortete Armin. “Sowas bin ich gewohnt.”
“Sie müssen sich das nicht gefallen lassen.”
“Mir egal. Ich mag es nur nicht, wenn man mich beim Essen.” Er nahm seinen Mantel und verließ das Bistro. Draußen auf dem Platz vor der Kirche genossen Kinder und Hausfrauen die warme Mittagssonne. Armin klopfte sich auf den Bauch. Vielleicht geh ich in den Zoo, dachte er, mir die Nilpferde angucken.


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