Arme brauchen nicht mehr Geld, sondern mehr Anstand

Es gibt unter den Konservativen, Rechten oder wie immer man diese sich nachhaltig neuen Gedanken verweigernde Lebenshaltung nun beschreiben möchte, natürlich auch ganz extreme Betonköpfe. Ziemlich viele sogar, denn wenn man sich derzeit umschaut, ist alles, was den Regierungen im krisengeschüttelten Europa und natürlich auch den USA einfällt, ein mehr oder weniger entschiedenes „weiter so!“ – denn es gibt bekanntlich keine Alternative. Keine Alternative zum vorbehaltlosen Anerkennen der manchmal grausamen Gesetzes des an sich so wohltätigen Marktes, keine Alternative zum Geldverbrennen, das die Finanzwelt als extrem attraktives Geschäftsmodell entdeckt hat, keine Alternative zum Wirtschaftswachstum, egal, wie man ihn zustande bringt und erst recht keine Alternative zu den Opfern, die dafür gebracht werden müssen – von den anderen versteht sich, von den Leuten, die ohnehin für ihr Geld arbeiten müssen und dann halt noch mehr arbeiten müssen, weil sie ohnehin keine Wahl haben. Einer der Oberbetonköpfe dieser Art ist David Cameron. Der britische Regierungschef gehört eindeutig zu denen, die gar nichts kapieren. Ehrlich gesagt will ich mich mit der Motivation dieses – da fällt mir schon gar kein Wort mehr ein, Arschloch verharmlosender Hilfsausdruck, auch gar nicht vertiefend auseinander setzen, weil das andere schon zu Genüge tun.

Cameron spricht von einer „zerbrochenen Gesellschaft“ und tut so, als hätte er keine Idee, woran sie zerbrochen ist. Dabei liegen die Gründe dafür auf der Hand. Sie ist daran zerbrochen, weil eine Partei, der er nicht zufällig angehört, in Großbritannien dafür gesorgt hat, dass die Reichen reicher werden und die Armen ärmer. Und das in einer Konsequenz, die in Europa bisher unerreicht geblieben ist – obwohl auch die Regierenden in Deutschland alles daran gesetzt haben, dem Beispiel Großbritanniens zu folgen. Und inzwischen ist es auch vielen Normalverdienern kaum noch möglich, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Es ist längst nicht mehr so, dass man mit Arbeit und Anstrengung allein zu etwas kommen kann.

Und dann reitet so einer darauf herum, dass junge Leute, die Fernseher und DVD-Player klauen, unmoralische Verbrecher sind, während es andererseits irgendwie normal ist, dass Abgeordnete – und dabei auch gar nicht so wenige konservative Abgeordnete des britischen Parlaments – sich hemmungslos auf Kosten der Steuerzahler mit fragwürdigen Spesenabrechnungen bereichern. Von den fragwürdigen Methoden von Finanz- Versicherungs- oder Immobilienhaien, die sich nicht weniger hemmungslos bereichern, gar nicht zu reden.

Während aber den Banken milliardenschweren Rettungspakete bewilligt werden, streicht man die Hilfe für die am unteren Ende der Nahrungskette weiter zusammen. Denn wer arm ist, muss schließlich selbst daran schuld sein – hier bewegt sich Cameron auf dem Niveau der unsäglichen Tea-Party-Bewegung: Denen da unten darf man nicht helfen, weil die ohnehin arbeitsscheu, undiszipliniert und dumm sind. Wenn sie sich anstrengen würden, wären sie nämlich nicht arm, ungebildet und arbeitslos. Dass auch viele, die sich anstrengen, keinen Job bekommen bzw. viele, die in Billigjobs gepresst werden trotz aller Anstrengungen arm bleiben, blenden diese Konservativen dabei völlig aus. Passt nichts ins Weltbild, kann also nicht sein. Und auch Liberale tun das gern, mir fällt da spontan Herr Westerwelle und sein Märchen vom anstrengungslosen Wohlstand ein. Das man aber nur glauben kann, wenn man sich nie erfahren hat, wie schön das anstrengungslose Wohlleben auf Hartz-IV tatsächlich ist.

Woran ist die Gesellschaft laut Cameron zerbrochen? Nicht an den offensichtlichen Widersprüchen der kapitalistischen Reichstumsproduktion, nicht am Opportunismus der Politiker, nicht am Egoismus der Besitzenden, die tatsächlich anstrengungslos Wohlstand anhäufen, während die anderen chancenlos abgehängt werden. Nein, die Gesellschaft zerbricht an der Faulheit, an der Selbstbezogenheit, der Verantwortungslosigkeit von denen da unten.

An den entgleisten Kindern, die ohne Väter, ohne männliche Vorbilder aufwachsen – was wiederum daran liegt, dass die Leute Werte wie Ehe und Familie nicht mehr schätzen, nicht, weil die Strukturen zunehmend Kinder- und familienfeindlich sind. Weil die Erziehungsberechtigten die Verantwortung für ihren missratenen Nachwuchs verweigern. Das Rezept dagegen ist simpel: Disziplin und Härte. Oder auf gut deutsch: Zucht und Ordnung. Aber das gilt wieder nur für die da unten. Dass man eine zerbrochene Gesellschaft möglicherweise auch mit der Hilfe von „denen da oben“ reparieren könnte, in dem zur Abwechslung auch mal den Gewinnern, den Reichen abverlangt wird, ihren Teil der sozialen Verantwortung zu übernehmen, auf die Idee kommt der britische Premier natürlich nicht. Wer genug Kohle hat, gehört automatisch zu den Guten. Und die anderen brauchen keinesfalls mehr Geld, sondern mehr Anstand.



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