Arditti Quartet – mehr braucht´s nicht, oder?

Gleich an zwei aufeinanderfolgenden Tagen gab sich das „Arditti Quartet“ bei Wien Modern die Ehre. Insgesamt neun Werke wurden dabei vor einem treuen und eingeschworenen Publikum im Mozart Saal des Konzerthauses zur Aufführung gebracht, wobei auch an beiden Tagen Sarah Maria Sun mit ihrem Sopran einen großen Beitrag zum Gelingen beisteuerte.

Sarah Maria Sun - Arditti Quartet bei Wien Modern

Sarah Maria Sun war mit dem Arditti Quartet zu Gast bei Wien Modern. (Foto: Markus Sepperer)

Die Qualität des Quartetts zu kritisieren macht keinen Sinn, weil es einfach nichts zu kritisieren gibt. Diese Institution die schon seit ihrer Gründung im Jahre 1974, als Irvine Arditti noch Student war, tätig ist, ist nicht irgendeine. Die Formation ist kein beliebiges Streichquartett, deren es Tausende gibt, sondern sie zählt zu jenen seltenen musikalischen Zusammenschlüssen, die über Dezennien hinweg zeitgenössische Musik aufführen.

Wohl aus diesem Grund waren die beiden Abende nicht mit Titeln versehen. Arditti Quartet I und Arditti Quartet II genügte zur Ankündigung. Zu hören waren am ersten Abend Werke von Bernhard Gander, Zeynep Gedizlioğlu, Rebecca Saunders und nach der Pause war Luigi Nonos „Fragmente – Stille, an Diotima“ am Programm. Ganders „khul“ in welchem er die geballte emotionale Kraft der Fernseh-Fantasy-Figur Hulk in unterschiedlichen Facetten beleuchtet, war von einer geballten, nervösen Grundstimmung getragen, die sich zum Schluss aufschaukelt und erst nach dem Ende einer rasenden Jagd durch und mit allen Streicherstimmen abrupt endet. Im krassen Gegensatz dazu stand „Wenn du mich hörst, klopf zweimal“ der Deutschtürkin Gedizlioğlu, in dem sie sich auf die Situation von Helfern nach einem Erdbeben bezieht, die Überlebende in den Trümmern suchen.
Besondere Dramatik erhielt dieses Stück durch die Stimme von Sarah Maria Sun, die nicht nur durch ihre verständliche Aussprache, sondern vor allem durch die Kraft ihres Soprans durch und durch beeindruckte. „Hörst Du mich? Bist Du da?“ Das war der Auftakt zu einer gespenstischen Suche nach verschüttetem Leben. Es war zugleich aber auch eine Metapher einer einseitigen Kommunikation, die keinen Wiederpart findet – ein Phänomen, das auch unter Menschen stattfindet, die in Beziehungen ihren verbalen Austausch beenden. Werke wie diese brennen sich gleich nach dem ersten Hören ins abrufbare musikalische Gedächtnis ein, was gerade bei zeitgenössischer Musik nicht oft der Fall ist. Ein Ausnahmestück, aufgeführt von Ausnahmemusikern und einer ebensolchen Sängerin.

Bei Rebecca Saunders „Fletch“, dessen Titel sich auf die Federspitzen von Pfeilen bezieht, regierte das Prinzip der Wiederholung bestimmter Klangphänomene. Wurde auf weite Strecken die Grenze hin zum Geräusch überschritten, blieben doch jene kleinteiligen Strukturen gut hörbar, in welchen sich das Klanggeschehen in immer wiederkehrenden Abwandlungen wie mit einem Wisch in hohe Sphären einfach auflöst. Luigi Nonos Werk war zum Abschluss ein schöner historischer Verweis, in dem vieles, was heute kompositorisch verwendet wird, gefunden werden kann, obwohl die Entstehung der Komposition schon mehr als 30 Jahre zurückliegt. Kaum hörbar, pausen- bzw. stilledurchtränkt und ausgestattet mit einem Geräuschspektrum, bei dem die Streicher weit mehr zu tun haben als nur mit den Bögen auf den Saiten zu streichen, so präsentiert sich „Fragmente – Stille, An Diotima“ auch heute noch als aktuelles Stück.

Am darauffolgenden Abend war das Programm nicht minder anspruchsvoll. Luke Bedford eröffnete mit „Wonderful Four-Headed Nightingale, das als Auftragswerk von WIEN MODERN vergeben worden war. Dabei handelte es sich um die Erinnerung an ein siamesisches Zwillingspaar, das diesen Namen trug, da es mit seinem Gesang – freilich noch unter der Versklavung in Amerika – seinen Unterhalt verdiente. Eine kleine Melodie wechselt nahtlos zwischen erster Geige und Bratsche, um dann in die anderen Stimmen verzerrt überzugehen. Erst am Schluss werden Geige und Bratsche wie zu Beginn wieder vereint das Motiv wiedergeben. Eine musikalische Illustrierung des körperlichen Gefängnisses und ihres Wunsches nach Eigenständigkeit, die trotz oder vielleicht auch wegen ihrer Einfachheit sehr gelungen ist. Mit dem Streichquartett Nr. 2 von Benedict Mason erlebte das Publikum ein neues Klangspektrum, das durch den Einsatz von biegsamen Bögen, auf welchen die Saiten locker aufgespannt waren, erzeugt wurde. Wie durch einen dicken Nebel waren die Instrumente zu vernehmen, die harmonischen Akkorde taten ein Übriges, das Gefühl aufkommen zu lassen, einer Musik aus der Vergangenheit zu lauschen.Die sechs Sätze dieses Werkes sind so unterschiedlich und vielfältig aufgebaut – beinhalten sie doch auch den Einsatz der menschlichen Stimme, die percussionsartige Verwendung der Instrumente oder auch – wie im 5. Satz – Versatzstücke von Klangfragmenten spanischer Gitarren oder russischer Balalikas – sodass sich ein mehrfaches Hören lohnen würde, um allen Ideen des Komponisten folgen zu können. Das Stück „clearing“ von Christian Ireland im Anschluss daran stand richtiggehend antipodisch dagegen. Ohne jegliche deutlich hörbare Rhythmisierung hält der Komponist eine permanente Spannung aufrecht, die er durch lang andauernde Ostinati erwirkt, die er durch alle Stimmen zieht. Ein spannendes Hörerlebnis, das vom Publikum jedoch auch aufgrund seiner Länge einen hohen Aufmerksamkeitspegel erfordert.

Ganz bewusst an den Schluss der beiden Abende setzte das Arditti-Quartet „Pandora´s Box“ von John Zorn. Er selbst umschreibt dieses Werk mit: „Ein Buch des Bösen. Das Heilmittel einer Hexe. Unwetter, Talismane, blau-äugige Dämonen und engelsgleiche Befehle. Ein Drama für Streichquartett und Sopran mit Originaltexten in Deutsch.“ Das Streichquartett wurde an diesem Abend uraufgeführt. Mühelos bewältigte Sarah Maria Sun abermals ihren Part, bei dem sie oft zwischen Sprache und Gesang wechseln muss. Die koloraturartigen Einsprengsel, die ansatzweise an jene der Königin der Nacht erinnern, werden von ihr mit jener erforderlichen Brillanz dargeboten, welche die Rolle der Pandora erfordert. Hier ist kein einziger Ton dem Zufall überlassen, Zisch- und Fauchlaute verleihen ihrem Auftritt eine Art übernatürliche Erscheinung und die Instrumentierung steht beinahe ergänzend neben ihrer auszufüllenden Rolle. Überbordender Applaus mit ungewöhnlich vielen Abgängen zeigte, dass es sich dabei um das absolute Highlight der beiden Vorstellungen handelte. Ein überaus gelungener Abend für Kennerinnen und Kenner von zeitgenössischer Musik.


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