Arbeit im Marktradikalismus: Krankes Humankapital in einer profitablen Kostenkalkulation

Leistung muss sich lohnen. Die Arbeitskosten und Lohnnebenkosten müssen in Anbetracht der globalen Konkurrenzsituation spürbar gesenkt werden. Ein rohstoffarmes Land wie Deutschland, kann nur über sein know -how und Humankapital bestehen. Stetige Produktivitätssteigerungen sind Vorraussetzung für den Erhalt von inländischen Arbeitsplätzen. Nur ein Wirtschaftswachstum von deutlich über 2,5 % jährlich generiert neue Arbeitsplätze. Nur durch eine Steigerung der wöchentlichen Arbeitszeit und einer Erhöhung der Lebensarbeitszeit können wir unseren Wohlstand sichern und die Altersversorgung auf eine solide Basis stellen. Mindestlöhne vernichten Arbeitsplätze. Sozial ist, was Arbeit schafft. Wir brauchen eine marktkonforme Demokratie. (A. Merkel)

Diese Slogans und Schlagzeilen prasseln fast täglich auf uns hernieder; und in Anbetracht des Umstandes, dass die meisten Arbeitnehmer seit Jahren den Gürtel enger schnallen, auf Lohn und Gehalt verzichten, mehr arbeiten für weniger Geld und Rente, und trotzdem weder Arbeitsplatz, noch Wohlstand gesichert scheinen, wohl aber fette Renditen und Boni in der Finanz- und Bankenwirtschaft gesichert wurden, in Anbetracht all dessen, erscheinen diese statements eines marktradikalen Paradigmas wie purer Hohn und Zynismus.

Die soziale Marktwirtschaft Ludwig Erhardts hat sich längst ihrer ursprünglichen Verantwortung dem Menschen gegenüber entledigt; sie mutierte zu einer völlig von moralischen und demokratischen Prinzipien befreiten radikalen Marktwirtschaft, die nicht mehr allen Menschen dient, sondern nur noch einer kleinen Minderheit von habgierigen und skrupelossen Finanz- und Kapitaljongleuren. Die Banken- und Finanzwirtschaft hat sich losgelöst von der wertschaffenden produktiven Wirtschaft und setzt immer neue komplexe abstrakte Finanzprodukte und Instrumentarien auf, die von einen einzelnen Menschen weder überschaubar noch auf mittlere Sicht kontrollierbar sind.

Der Markt hat den Menschen nur noch als quantifizierbares Humankapital auf der Kosten-Leistungsrechnung. Wieviel wertschaffende Leistung kann man aus einem Menschen herauspressen; und wieweit lässt sich der Preis dafür drücken? Die Differenz zwischen Arbeitsmehrwert und Bezahlung ist der Profit. Deswegen wird immer mehr Arbeit auf den einzelnen Arbeitnehmer umgelegt, und dieser immer schlechter bezahlt. Dass damit längst eine menschliche Grenze erreicht wurde, zeigen viele Untersuchungen zum Thema Arbeitsgesundheit.

So auch die letzte: Laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts (RKI) hat die Krankheitshäufigkeit von psychischen Leiden in Deutschland deutlich zugenommen. Deutlich wurde, dass Menschen mit einem hohen Einkommen ihren Reichtum vermehrt mit dem Burnout-Syndrom bezahlen und Geringverdiener übermäßig häufig an Depressionen leiden.

Interessant war in diesem Zusammenhang, dass deutliche Unterschiede der Erkrankungen bei den verschieden Einkommensgruppen ermittelt wurden. 14 Prozent der Teilnehmer mit einem geringen Haushaltseinkommen litten vordergründig an Depressionen, während Personen mit einem hohen sozioökonomischem Status nur in 4,6 Prozent der Fällen depressiv war. Dafür litten reiche Menschen mit 5,8 Prozent meist an einem Burnout-Syndrom. Personen mit einem geringen Einkommen waren in nur 2,6 Prozent der Fällen an dem „Ausgebrannt-sein“ erkrankt.

Die krankheitsbedingten Arbeitsausfälle verursachen einen erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden im zweistelligen Milliardenbereich. Trotz des nachweislichen Zusammenhanges zwischen Überforderung und Unterforderung  am (fehlenden) Arbeitsplatz, fühlen sich weder Arbeitgeber, noch Politiker aufgefordert etwas dagegen zu tun. Die Einführung eines Mindestlohnes, um Ausbeutung und Sozialmissbrauch durch Arbeitgeber zu verhindern, oder die Begrenzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 37 Stunden, um Arbeit auf mehr Schultern zu verteilen, werden von Wirtschaft und  neoliberalen Politikern strikt abgelehnt. Der Mensch wird entgegen jeglicher Menschenrechte und auch wirtschaftlicher Vernunft weiter bis zum Krankwerden ausgepresst, um maximalen Profit für wenige Ausbeuter zu generieren. Dieser Tatsache müssen sich die Menschen bewusst werden. Sie sollten erkennen, dass sie Opfer einer perfiden Politik der Gier geworden sind. Niemand braucht sich vor Veränderungen zu fürchten – außer diejenige, die jetzt Unrecht tun im Namen einer angeblich  alternativlosen vernünftigen Wirtschaftspolitik. Vielleicht werden wir gerade Zeugen, wie eine angebliche Politik und Machtelite schwankt und zerfällt, wie sie durch neue Strukturen und Systeme ersetzt werden.  Die Angst vor dem Unbekannten, vor dem, was danach kommen möge,  mag uns lähmen, aber wir haben keinen Grund das Schlimmst zu fürchten. Denn es kann nur besser werden.

René Brandstädter – humanicum


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