Apulien, authentisch

Zwei Trullo-Wochen im Valle d'Itria

Abseits vom touristischen Mainstream und seinen traurigen Begleiterscheinungen suchen wir das „andere" Apulien. Dazu mieten wir für zwei Wochen im Mai ein Haus im Valle d'Itria, jener karstigen Gartenlandschaft südwestlich von Bari, deren markante Architektur zum Symbol für die gesamte Region geworden ist.

„Unser" Trullo, seit dem 19. Jahrhundert in Familienbesitz, wurde unlängst restauriert und durch einen architektonisch überzeugenden Anbau erweitert. Ein riesiger Garten mit allerlei Obst- und Olivenbäumen umgibt die Terrasse mit weitem Blick ins „Tal der Trulli".

Nach Martina Franca sind es keine fünf Kilometer. Die einstige Festungsstadt lockt nicht nur wegen ihres legendären „Capocollo", der stellvertretend für die ausgezeichneten Fleisch- und Wurstwaren Apuliens steht. Marina Franca, eine bauliche Mischung aus Mittelalter und zurückhaltendem Barock, hat ein sehenswertes historisches Zentrum und viel Atmosphäre.

Mit unserem Standort sind wir in Reichweite der Sehenswürdigkeiten Apuliens wie auch seiner Küsten und nicht allzu weit entfernt von der bedeutenden Höhlenstadt Matera (im benachbarten Basilikata).
Wie die meisten Italien-Touristen unterlagen auch wir diesem Klischee vom „Sonnigen Süden", obwohl der Mai in Apulien alles andere als wettersicher ist. Wer sich Wanderungen oder gar einen Strandurlaub vorstellt, braucht eine gehörige Portion Optimismus - oder ist bereit, neue Perspektiven einzunehmen. Dazu zählen wir das (beinahe) menschenleere Matera - zu einer Zeit, da es als europäische Kulturhauptstadt 2019 im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht.

Da es nicht allzu viele Reiseführer über Apulien und Basilikata gibt, lohnt - wie fast immer - der Blick in die Literatur. Von Mussolini verbannt, lebte der italienische Schriftsteller, Maler und Antifaschist Carlo Levi (1902-1975) mehrere Jahre in der Nähe von Matera. In seinem wohl berühmtesten Werk „Christus kam nur bis Eboli" (1979 erfolgreich verfilmt unter der Regie von Francesco Rosi) schildert er die dörfliche Gesellschaft der 1930er Jahre, ihre Armut, ihren Fatalismus. In Matera bekommen wir eine Ahnung, wovon im Buch die Rede ist, vor allem im Museum für mittelalterliche und moderne Kunst: ein Raum im Palazzo Lanfranchi zeigt Levis berührendes Werk aus der Zeit seiner Verbannung.

Viele nasse Straßen weiter, von denen einige zu kleinen Wasserfällen mutiert sind, kehren wir zum Mittagssnack ein bei „ Charlie's Speakeasy " und damit in eine der unzähligen „Sassi" (Höhlen) der Weltkulturerbestätte. Weil das eine besondere Erfahrung ist, aber auch weil uns das skurrile Interieur gefällt, das freundliche Team und der seltene Fiano (eine alte weiße Traubensorte, die neben Kampanien nur noch in Apulien angebaut wird): unbedingt eine Empfehlung.

Eine weitere gleich im Anschluss: dazu fahren wir an die adriatische Küste (wir wollen endlich das Meer sehen!), nach Savelletri. Der kleine Ort hat einen eigenen Hafen, eine Kirche und eine kaum bemerkenswerte Ortsmitte.

Aber er hat: „ Mòmò " ! Der Name des winzigen Lokals in Hafennähe ist fasaneischer Dialekt und bedeutet so viel wie: „augenblicklich". So in etwa versteht Küchenchef Antonio seine Kochkunst: Frisches kommt aus der Region und wird sofort verarbeitet, und zwar „mit Liebe", wie er selbst betont. Wäre Mòmò nicht im Netz präsent - es wäre ein Geheimtipp, auch wegen seiner unverstellten Gastfreundschaft.

Wenige Kilometer die Küste entlang Richtung Bari liegt Monopoli.

Wir beschränken unseren Besuch auf das malerische Hafenviertel, denn Bummeln im attraktiven Ortskern fällt angesichts der meist ausgedehnten Mittagspause zwischen 13 und 18 Uhr leider aus - der Fluch unseres Urlaubs. Der Vorteil: um diese Tageszeit ist im Hafen so wenig Betrieb, dass wir dort für einen langen Moment die Seele baumeln lassen ...

Auch wenn die Nachmittage nicht perfekt sind zur Stadterkundung - wie könnten wir widerstehen? Besuchen wir also „in aller Stille": die Keramikmetropole Grottaglie, wo wir anstelle von Touristenkitsch auf erstaunlichen Werkstattalltag und unzählige Fotomotive treffen.

Noci, das keine Sehenswürdigkeit zu bieten hat und genau deshalb so sehenswert ist, eine Stadt für ihre Bürger: viele Häuser erzählen auf Tafeln deren Geschichte, im historischen Zentrum haben sich Handwerker und Lebensmittelhändler niedergelassen.

Locorotondo, die entspannte Antwort auf Ostuni und Manduria mit seinem mittelalterlichen jüdischen Wohnviertel sowie der Möglichkeit, sich vor Ort mit dem besten Primitivo der Region einzudecken.

In der Cantina Castelforte spricht man etwas englisch, was die Verkostung erheblich erleichtert. Nach Lecce fahren wir nicht so sehr wegen seiner berühmten Architektur, sondern um einen Freund zu treffen. Im Centro Storico bleiben wir immer wieder stehen, staunend über die Eleganz barocker Sakral- und Profanbauten.

Nachdem wir uns endlich gefunden haben, gehen wir essen, irgendwo in einer der eher dunklen Gassen der Stadt. Das Lokal ist überfüllt, laut und eng, die Wirtsleute sind mittelfreundlich. „Typisch leccesisch eben", meint unser Freund und wir reden vom Selbstverständnis Lecces als kulturellem Zentrum der Region. Was aber auf den Tisch kommt, ist apulische Hausmannskost vom Feinsten - und wird nur übertroffen von der umwerfenden Haselnuss-Eiscreme bei Baldo Gelato!

Dann geht's zurück ins Valle d'Itria, das in diesem Mai zwischen Olivenhainen und entlang der mäandernden, trockenmauergesäumten Straßen üppige Blütenteppiche auslegt. Wir haben inzwischen gelernt, uns im Straßenlabyrinth der Trulli zurechtzufinden (unser Trullo besitzt zwar einen Namen, aber keine navigationssystemgeeignete Adresse).

Die Anpassung an die Besonderheiten einer historischen Trullo-Unterkunft fällt uns schwerer: selbst bei Wärme erreicht der Innenraum nur konstante Temperaturen von ca. 17°C. Das trockene Kaminholz ist schnell aufgebraucht, der nächste Holzhändler (bei Cisternino) unpässlich - ein Trauerfall. Erst im zweiten Anlauf erhalten wir einen ausreichenden Vorrat an Lagerholz.

Wie alle historischen Vorgänger ist auch unser Trullo über einer Zisterne gebaut, was uns bei der Recherche offenbar entgangen ist. Im Alltag bedeutet das: bei Regen füllt sich die Zisterne und entwickelt abenteuerliche Klangwelten, die sich zu Bildern von wasserdurchzogenen Grotten und unterirdischen Flüssen verdichten. Das so gesammelte Wasser dient allerdings nur zum Teil der hauseigenen Versorgung. Trinkwasser holt man an der nächstgelegenen Kirche ... Der Wunsch nach Authentizität hat mitunter seinen Preis.

Abschließend noch ein Wort zum Brot dieser Region: Natürlich hat jede Bäckerei ihr traditionelles Rezept, manche Orte wie Matera haben das Bäckereihandwerk zu ihrem Markenzeichen gemacht. Und doch: jedes Brot war von besonderem Geschmack, fein, mürbe und lange haltbar (ganz ohne Konservierungsstoffe). Schon am Abreisetag haben wir begonnen, es zu vermissen ...

Weiterführende Links

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