Antifragilität - oder warum dieses Buch jeder lesen sollte

 unbedingt lesen - aber im Liegen

unbedingt lesen - aber im Liegen

Kennt ihr das: Ihr quält euch mit schweren Gewichten ab, macht zehnmal die gleiche Übung und davon dann drei Wiederholungen. Erst ist das puh, später dann easy. Der Körper stellt sich ein, auf das Gewicht das er zu heben hat und baut die Muskeln auf, die er für diese Aufgabe braucht. Der Muskelaufbau hat aber seine Grenze, da der Körper schnell lernt, dass er ein bestimmtes Gewicht zu heben hat, das sich eh nicht steigert, keine Überraschung, kein Stress, reine Routine nach einiger Zeit.

Anders ist es, wenn man jeden Tag von einer Übung nur eine mehr macht. Also beispielsweise heute zehn, morgen elf, übermorgen zwölf Klimmzüge. Ok, das ist bei Klimmzügen in einer täglichen Steigerung kaum zu schaffen, aber alle drei Tage um einen zu erhöhen, ist leistbar, wenn auch echt hart. Der Körper lernt, dass da in kurzen Abständen immer eine kleine Mehrbelastung auf ihn zukommt. Stress, keine Routine, Überraschung. Und auf Überraschungen reagiert der Körper meistens klug und wirksam. Die Systeme im Körper arbeiten, statt sich auszuruhen.

Also baut der Körper immer mehr Muskeln auf, da er nicht weiß, ob und wann das Spiel mit den Steigerungen endet – und ob es überhaupt endet.

Risikoforscher und Evolutions-Philosoph Nassim Nicholas Taleb trainiert seinen Körper genau so. Wer mal einen seiner Vorträge besucht, würde nach der Lektüre seiner Bücher eher einen schlanken Intellektuellen erwarten oder einen, bei dem sich der Rotweinkonsum über den Gürtel gelegt hat. Taleb aber ist aufgrund dieses Trainings ein Muskelprotz, erinnert fast an einen freundlichen Bodybuilder.

Das Prinzip seines Trainings, ist das Prinzip der Antifragilität, einem künstlichen Begriff, den er mit seinem gleichnamigen Buch geprägt hat. Er unterscheidet darin im Wesentlichen in drei Zustände: Fragil, also zerbrechlich. Robust, also stabil, aber auch unbeweglich und ohne Verbesserung in der Struktur. Und Antifragil. Letzteres bedeutet, dass ein Produkt, ein Mensch, eine Gesellschaft, ein System, wenn es stark belastet oder massiv gestresst wird, nicht zerbricht oder den Stress nur aushält, sondern daran wächst, also gestärkt aus jeder Stresssituation hervorgeht. Anders gesagt: Je mehr Stress, desto besser wird es.

Ähnlich wie bei der künstlichen Intelligenz (KI), wobei der Vergleich hinkt, da die KI immer und gleichmäßig lernt, nicht nur unter Stress. Bei Antifragilität ist der Lern- und Entwicklungsprozess durch Stress ausgelöst. Eben auch wie beim Körper, der durch diese eine Übung mehr pro Tag (oder alle drei Tage) plötzlich eine höhere Belastung erfährt, als bei immer gleichvielen Übungen.

Taleb kritisiert die Gläubigkeit an die Wissenschaft, da diese nie alle Faktoren berücksichtigt, sondern immer nur alte Daten heranzieht, um neue Modelle zu entwickeln. Das sind dann fragile und anfällige Systeme. So erklärt sich auch, wieso Börsencrashs immer wieder überraschend sind, obwohl es doch so tolle Vorhersage-Systeme gibt. Diese Systeme arbeiten halt mit alten Daten und versuchen anhand derer Präventions-Systeme aufzubauen. Hat der neue Börsencrash aber nichts mit den Vorherigen zu tun, nützen die Systeme nichts und alles kollabiert: Peng! Die Welt und ihre Ereignisse sind halt nicht statisch, die meisten Systeme sind dies aber. Man braucht also flexible und lernende Systeme. Das heißt auch:  Silicon Valley ist schneller und erfolgreicher als das internationale Bankensystem.

Da die ganze Evolution antifragil ist, ergibt es Sinn, dass unsere Systeme, Politik, Produkte und wir selber es auch sein sollten. Aber wir streben nach Sicherheit, nach Prävention, die immer auf Annahmen und alten Daten oder Informationen basiert. Das wäre dann Robustheit, die sich dann aber oft als Trugschluss erweist und am Ende doch fragil ist. Und somit sind unsere Systeme, unsere Politik, unsere Produkte und auch wir nicht antifragil, sondern meist fragil und bestenfalls mal robust. Donald Trump führt uns grad vor, wie fragil unsere politischen Strukturen sind. Ein Präsident kann alles in Wanken bringen.

Auch unserem Körper bekommt das Antifragile super. Es ist also gut, wenn man damit umgehen kann. Das Beispiel oben mit der einen Übung mehr beim Sport hat es gezeigt. Aber es geht weiter: Hormesis ist auch ein Beispiel, das Taleb im Buch häufig anbringt. Wenn wir bspw. den Körper stressen indem wir über lange Strecken nichts essen, beginnt das Immunsystem auf Hochtouren zu arbeiten und viele Krankheiten werden auf dem Wege geheilt – ganz abgesehen davon, dass man so auch den Druck auf den Gürtel spür- und sichtbar reduziert.

Die Natur hat alles ausgemerzt, was sich nach einem Evolutionsschritt nicht entwickelt hat. Das Leben ist kein Zustand, der fix ist, es ist dynamisch und fordert uns stets aufs Neue. Wenn wir diese Dynamik annehmen, so Talebs-Grundthese, ist das gesund und wir entwickeln uns weiter.

 Ich kann immer nur Passagen lesen - Das Buch ist ein Brocken. Aber toll!

Ich kann immer nur Passagen lesen - Das Buch ist ein Brocken. Aber toll!

Taleb, geboren im Libanon, hat 20 Jahre im Derivatehandel gearbeitet und war damit sehr erfolgreich. Er ist eigentlich ein auf Evolutionsprozessen denkender Risiko-Forscher. Ich verzehre seine Bücher immer (sein neuestes ist „Skin in the Game“) , da Taleb ein Querdenker ist, der seine Hypothesen und Thesen kausal herleitet. Er baut in sich logische Argumentations-Kette auf, die mehr Faktoren berücksichtigt, als nur die üblichen, die etablierten. Taleb gibt zu denken, das ist sein großer Verdienst.  

Kleiner Tipp: Parallel zu einem Roman lesen, da „Antifragilität“ doch auch ein paar Längen hat und nicht ganz unanstrengend zu lesen ist.

 Peter Ehlers liebt Diskussionen, Fußball und Politik

Peter Ehlers liebt Diskussionen, Fußball und Politik

Zum Autoren: Peter Ehlers, geboren in Hamburg, ist Diplom-Kaufmann und hat über viele Jahre als Wirtschaftsredakteur und Werbetexter gearbeitet. Danach hat er diverse Agenturen und Medienunternehmen gegründet. Er ist unter anderem Herausgeber von DAS INVESTMENT und dem private banking magazin. Ehlers liebt den positiven Stress, da er als Unternehmer den Drang hat, immer neues zu entwickeln, Politik und Unternehmen neu zu denken. Aktuell gründet er grad eine IT-Company in Berlin für künstliche Intelligenz und Maschinen Learning.


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