„Anständig essen“ von Karen Duve

photoPhoto:DeusXFlorida

Der Schluss, den Karen Duve aus ihrem einjährigen „Selbstversuch“ zieht, ist alles andere als befriedigend – aber nur menschlich, allzu menschlich. Doch beginnen wir beim Anfang: Die einigermaßen erfolgreiche deutsche Romanautorin ("Regenroman", "Taxi") besinnt sich ihrer wenig nachhaltigen und ungesunden Lebensweise (Tiere, Schokolade und Coca-Cola en masse), nimmt sich ein Beispiel an den „völlig verstrahlten Hippies“, denen sie hin und wieder begegnet, und entwickelt den Plan, sich jeweils zwei Monate lang einer neuen Ernährungslehre praktisch zu widmen – mit allen lebensverbessernden und –erschwerenden Umständen, die damit in Verbindung stehen.

So fängt sie im Januar 2010 damit an, nur noch Bio-Ware zu konsumieren, setzt ab März auf vegetarisches und ab Mai auf veganes „Futter“. Wer meint, das ließe sich nicht steigern, erfährt bald von verhältnismäßig gedankenlosen und echten Hardcore-Veganern, von deren Alltag es kein all zu großer Schritt mehr zum Frutarismus ist. Wer sich dafür begeistert, nimmt nur mehr Nahrung zu sich, für die keinerlei Lebewesen zu Schaden kommen musste – was auch die Rücksicht auf Pflanzen aller Art meint. Sprich: Gegessen wird, was Bäume, Sträucher, Kräuter und Gräser hergeben, ohne ihr Leben auszuhauchen. Äpfel, Birnen, Nüsse und Beeren sind demnach okay. Kartoffeln und Karotten nicht, weil mit dem Ausgraben der Wurzel das Ende der Pflanze ansteht. Getreide (und damit auch Brot!) ist ein Streitfall: Ist die Ähre, die so trocken ist, dass sich ihre Körner heraus klopfen lassen, nicht ohnehin schon tot?

Dass sich an dieser Stelle weitere moralische Fragen ergeben – könnten etwa nicht jede Menge Kaninchen, Rehe und Igel durch landwirtschaftliche Maschinen bei der Getreideernte zu Tode gekommen sein? –, scheint fast aufgelegt. Am Besten wäre es wohl, als Mensch nicht zu existieren – dann könnte man auch niemandem Schaden zufügen.

Karen Duven hat mit ihren Überlegungen, deren Vielfalt sich in diesen wenigen Zeilen nicht einmal ansatzweise darlegen lässt, ein lockeres, witziges Buch zu einem leider blutig-ernsten Thema verfasst. Stellenweise lesen sich ihre Gedanken wie Philosophie, manchmal wie Theologie, und in den Zwiegesprächen mit ihrer Freundin Jiminy sowie Exkursen wie etwa der „Sache mit der Milch“ kann man sich verlieren wie in einem Roman. Einen starken Magen braucht man jedenfalls für die Lektüre – aber auch den wird es einem dann und wann zusammen ziehen.

"Anständig essen" ist ein gutes und wichtiges Buch, das niemanden zum Ändern seiner Lebensweise drängt, noch dem Leser ein schlechtes Gewissen zu machen vorhat. Es hält jedoch dazu an, darüber nachzudenken – ja geradezu danach zu forschen! –, woher all das, was wir täglich in uns hineinstopfen (und sei es noch so gesund und „bio“) eigentlich kommt. Und vor allem, welche Opfer unsere Erde, unsere Natur – deren die Organismen vom Menschen „hinunter“ bis zum Einzeller einen großen Teil ausmachen – dafür bringt. Der Weg, den die Autorin für ihr künftiges Leben einschlagen will, ist sicherlich eine Diskussion wert – aber an dieser Stelle sei darüber nicht mehr verraten. Ich selbst fühle mich in vielerlei Hinsicht alarmiert und aufgestachelt, und werde mich jedenfalls weiter in die Thematik vertiefen, die mich schon früher intensiv beschäftigt hat; die ich in den vergangenen Jahren jedoch zunehmend aus den Augen verloren hatte.

Übrigens: Tiere essen, das jüngste Erfolgsbuch von Jonathan Safran Foer, dürfte der Autorin vergangenen August eher überraschend dazwischen gekommen sein. Ich habe es nicht gelesen (aber in diesen Minuten bestellt – die Originalausgabe ist um fast unverschämte 6,68 Euro inkl. österreichischer MwSt. zu bekommen), jedoch glaube ich auf Basis einiger Rezensionen, dass sich die beiden Bücher ganz gut ergänzen. Foer, dessen Aussagen nach der Veröffentlichung angeblich etwas von den Buchinhalten abweichen, hat damit ein kleines Glaubwürdigkeitsproblem erhalten, von dem ich mir bald selbst ein Bild machen möchte. Wie auch von Duves früheren Texten, allen voran dem "Regenroman".

Galiani Verlag, Berlin 2011 (man beachte auch die umfangreiche Leseprobe!)

335 Seiten / 20,60 Euro


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