Als ich vergangene Woche auf die mediale Darstellung von Terroristen zu sprechen kam, klinkten sich rasch einige Typen ein, die meinten, mich zum Freund des Terrorismus entwerten zu müssen. Wer nun glaubt, hier folgt ein infolgedessen erzwungenes Bekenntnis, wonach ich mit Terror nichts am Hut habe, soll sich geirrt haben. Wer dies falsch verstehen will, der verstehe es falsch. Weshalb sollte ich auch Abbitte leisten? Wo habe ich je etwas behauptet, was mich zum "intellektuellen Helfershelfer des Terrors" gemacht hätte, wie man das vor einigen Jahrzehnten noch so galant formulierte? Ebendies war die "Doktorwürde", die man Heinrich Böll verlieh, weil er sich kritisch gegen die richtete, die die verbrecherische Gewalt des Deutschen Herbst dazu nutzten, um den Rechtsstaat aufzudröseln. So gesehen: beste Gesellschaft für mich.
Emotion, nicht Ratio
Wer denkt eigentlich an die Opfer? Man kann nicht leugnen, dass viele Opfer von Gewalttaten, auf sich alleine gestellt sich. Das ist ein gesellschaftliches, wahrscheinlich auch ein sozialstaatliches Problem. In einem Diskurs aber, der sich mit den juristischen Veränderungen, beziehungsweise mit dem, was einigen Veränderern und "Modernisierern" des Rechtsstaates so alles vorschwebt (Stichwort: Feindstrafrecht), hat dieser "Opferdialog" allerdings wenig zu tun. Es wird denen, die eine rückschrittliche Judikative anprangern, die glauben, dass die Modifikation der Rechtssprechung, indem man die terroristische Gefahr zu einem Mythos macht, dem der bereits installierte Rechtsstaat angeblich niemals Herr werden kann... es wird denen, die kritisieren, dass dieses Gedankenspiel des "präventiven Rechtsstaates" auch dazu führen wird, die Rechtspraxis generell, das heißt: gegen jeden angewandt, zu lockern... es wird denen, die glauben, dass ausgerechnet rationales Handeln zu Gericht etwas ist, was als verteidigenswertes Gut einzustufen ist... es wird denen durch Emotion, durch Opferdiskurs unmöglich gemacht, Gehör zu finden.
Man beanstandet, wie Terrorverdächtige - Verdächtige! - in Lager gehalten werden, ohne juristische Inanspruchnahme - und was hört man? Aber die Opfer! Kritik an der Diabolisierung des Terroristen, man will verstehen, woher er kommt und ob zum Terrorismus nicht immer auch zwei Seiten gehören - Und was ist mit den Opfern? Man fragt nach der Menschenwürde, wenn es zu Inhaftierungen kommt, die kein Vollzugsziel kennen - Denken Sie eigentlich jemals an die Opfer? Man argumentiert, dass das gängige bürgerliche Recht völlig ausreicht, um terroristische Verbrecher zu bestrafen - Was sollen die Opfer dabei denken?
Diese totale "Opferkultur", die wohlgemerkt an anderer Stelle ohne Zweifel Berechtigung hat, sie emotionalisiert eine Debatte, die möglichst trocken, möglichst gefühllos geführt werden sollte. Opfer zu instrumentalisieren, um die Debatte abzuwürgen - das ist infam! Der bürgerliche Rechtsstaat, der über ausreichend Mittel verfügt, Gewalttaten zu ahnden, ist keine emotionale Einrichtung. Wäre Judikative eine Angelegenheit, die hysterisch und emotional bestritten werden sollte, würde sie nicht im Gerichtsaal, sondern in einer Arena stattfinden. Emotionsbeladenes Rachegefühl ist nicht die Grundlage der Rechtssprechung - es geht um Sühne, Wiedergutmachung und Resozialisierung. Es geht auch darum, dass im Namen des Volkes einer verfügt, dass das begangene Unrecht im Namen der Gesellschaft bestraft wird - das Opfer ist somit nicht alleine, wie es oft lapidar heißt, denn die Gesellschaft hat in corpore des Richters Strafe verhängt. Zugegeben, das ist sehr theoretisch, aber Ausdruck dessen, dass das Opfer kein Anrecht auf Rache hat, sondern auf Anerkennung seines Rechts und auf Sanktionierung desjenigen, der den Schaden verursacht hat.
Rache, nicht Recht
In den Debatten, die sich immer dann entwickeln, wenn man die Phantasien der Sicherheitspolitiker im Bezug auf Terrorismus kritisiert, wenn man Partei für den Terrorismus ergreift, wie es einige geistig kurz angebundene Eiferer benennen, kommt relativ schnell zum Vorschein, dass es nicht um Rechtssprechung im modernen Sinne geht. Stattdessen ist Rache das Motiv. Vollzugsziele schließt der öffentliche Diskurs bei Gewalttätern bestimmter Fasson aus. Sexualstraftäter und Terroristen sind das beliebteste Ziel für gesellschaftliche Rachegelüste. Die Justiz wird als marode und malad beschrieben, um der Rache freie Bahn zu schaffen. Heutzutage würde man jeden Mörder verteidigen und auf seine Menschenwürde mehr schauen, als auf die von Opfern oder potenziellen Opfern, liest man häufig. Und die Richter spielten dieses Spiel mit - gewissenlos, skrupellos, ohne Schamgefühl. Das ist freilich ein Konstrukt, um der Rachsucht in die Schuhe zu verhelfen.
Man wähnt sich als besonders rechtsstaatlich motiviert, wenn man bei Kundgebungen aufgebrachter Eltern mitmarschiert und dabei zum Ausdruck bringt, dass Todesstrafe gegen Sexualstraftäter nicht schlecht, wenigstens aber eine Haft bis zum Tode unbedingt sinnvoll sei. All das verstößt gegen die Auffassungen, die den modernen Rechtsstaat eigentlich ausmachen. Das ist nicht aufgeklärt - es ist reaktionär; es ist nicht zukunftsweisend - es ist der Marsch zurück in eine Rechtspraxis, die Rache zum Gebot des Strafmaßes machte. In "Überwachen und Strafen" beschreibt Michel Foucault stichhaltig den Wandel zu einer Strafpraxis, die erziehen und integrieren wollte, die dem Täter eine weitere Chance einräumte. Vielleicht müsste ein futuristischer Soziologe, blickte er aus einem fernen Jahrhundert auf uns zurück, den Rückschritt ins Mittelalter erläutern.
Verfluchen, nicht Verstehen
Der schlimmste Fehler, den man in der Debatte machen kann: verstehen zu wollen, warum der Terrorismus gedeiht. Es ist ja kein Geheimnis, dass Terrorismus - wie nichts auf dieser Welt - nicht im Niemandsland entsteht. Niemand wacht morgens auf und beschließt, ein bisschen auf Terror zu machen. Es bedarf einiger Voraussetzungen. Basken und Iren lebten nicht mit dem Terror, weil sie besonders sturköpfige Völker wären, wie man das zuweilen lesen musste - gerade so, als sei Sturheit und Borniertheit der Einstieg zur terroristischen Gewalt. Und Moslems sind nicht per se radikal und gewaltbereit. Was also begünstigt den Terrorismus? Und sind die Gesellschaften, die unter ihm leiden - und sei es auch nur psychisch, weil sie sich in Hysterie begeben -, nicht nur Geschädigte, sondern auch Ursache? Ist Terrorismus damit nicht auch eine blutige und zu verurteilende Kommunikationsstrategie, wenn man ihn nüchtern unter kommunikationstheoretischen Gesichtspunkten betrachtet?
Verstehen zu wollen ist Sünde. Auch hier also Mittelalter! Damals waren es die biologischen oder kosmischen Abläufe, die man unverstanden lassen wollte - heute sind es soziologische oder historische Kontexte, die unangetastet bleiben sollten. Den Terrorismus verstehen zu wollen, wird als Rechtfertigung des Terrorismus gedeutet - Anti-Terror-Gesetze unter die Lupe zu nehmen, heißt Terroristen zu schützen - die Rolle der Wirtschaft und Politik westlicher Prägung zu hinterfragen, ihnen etwaige Mitverantwortlichkeit für terroristische Gesinnungen zu erteilen, versteht man ganz schnell als Legitimitätserklärung des Terrorismus. Zudem nenne man die Debatte niemals hysterisch - dies zu benennen wird mit dem Attribut "Terroristenfreund" belohnt.
Verflucht sollen sie werden, nicht verstanden. Rache ist der Antrieb, den man von der Justiz verlangt - Verfluchung ohne explizites Verstehen: das ist die Grundvoraussetzung hierzu. Nur gegenüber jemanden, den man nicht versteht, kann man rachsüchtig sein wollen. Verstehen bedeutet Nachdenken bedeutet Differenzieren bedeutet: dem Feind menschliche Züge zu verleihen. Der Feind wird somit zum Täter - zum Menschen, der gegen das Gesetz verstoßen hat, der aber dennoch unveräußerliche Rechte besitzt. Sicher steht aber auch dann am Ende die Strafe - aber sie würde unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten entstehen. Ohne Emotion, ohne Hysterie, ohne blanke Rachsucht. Doch genau davor scheut man zurück, so wie einst die Kirche scheute, dass der Mensch verstehe, er sei nur eine "biologische Maschine" - der ins Transzendente verfeinerte menschliche Körper, ausgestattet mit einer Seele durch Gott, er wäre zur ollen Kamelle geworden, schließlich hätte man keine Seele gefunden. Der Terrorist als Feind ohne Rechte, den man mit allen niederen Instinkten begegnen darf im Angesicht der Justiz, er würde zur ollen Kamelle, wenn man ihn im berechtigten Eifer, ihn zu strafen, auch noch verstehen wollte.
Bei jeder Gerichtsverhandlung ist das Motiv des Täters relevant - ein gewissenhafter Richter will wissen, was einen Räuber oder einen Mörder aus Habgier zur Tat verleitete. Die Strafzumessung hängt wesentlich auch vom Beweggrund ab. Mancher Grund macht die Tat besonders strafwürdig, andere Gründe strafmildern. Den Täter oder Tatverdächtigen - noch ist die Person, die angeklagt vor Gericht steht, ja nur verdächtigt - zu verstehen, das gehört mit ins richterliche Repertoire. Die Öffentlichkeit, die rigoros bestimmten Tatverdächtigen fundamentale Menschenrechte aberkennen möchte, will nicht verstehen. Sie tilgt diesen Punkt der Analyse. Sie nennt solche Gedankengänge intellektuell und arrogant, sie glaubt diese weltfremd und enthoben. Das Verstehen wird durch Aktionismus behoben - gleich zur Rache schreiten, ohne auch nur die Triebfedern benannt zu haben.
Hysterie, nicht Gelassenheit
Publiziert man Kritik am Umgang mit der Randerscheinung des Terrorismus, macht man dessen Aufbauschung präsent, die tragischen Folgen, die dessen Bekämpfung für uns alle hatten und haben werden, so stößt man auf hysterische Szenarien. Wie könne man Partei für Menschen ergreifen, bekommt man um die Ohren gehauen, die Züge entgleisen lassen und Bahnhöfe in die Luft sprengen. Nachfragen, welche Züge und Bahnhöfe denn so ein bitteres Ende nahmen, werden als rhetorische Fallstricke diffamiert. Die Hysterie ist so fest verankert in manchem Kopf, dass dem mit ausgewogener Analyse nicht mehr beizukommen ist. Die Debatte um den Terrorismus gründet vielleicht zu fünf Prozent auf realen Gegebenheiten - der Rest ist Szenario, Möglichkeit; etwas, was ausmalbar ist, wenn man bloß genug Phantasie besitzt.
Gesellt man sich nicht mit in Hysterie, wird man für Hysteriker verdächtig. Wieso bleibt der so gelassen?, fragen sie sich. Denn gelassen können in einem solchen Szenario nur die sein, die es diktieren - Terroristen also. Gelassenheit ist die vermeintliche Tugend derer, die etwas zu verbergen haben. Hysterie wird plötzlich zur Frage der Vernunft. Vernünftige Menschen verlieren den Kopf, ist die ungesagte Wahrheit. Wer es nicht tut, wer kühl begutachtet, gelassen verstehen will, nicht hysterisch auf Rache sinnt oder emotional überreagiert, der ist nicht ganz koscher. Vielleicht kein Terrorist - aber einer, der sich vielleicht die Hände reibt, wenn es mal kracht. Ein Freund und geistiger Helfer der Terroristen. Damals forderte man die Isolierung Heinrich Bölls und Peter Brückners - genau aus dieser Denkweise heraus rührte diese hanebüchene Forderung. Macht die mundtot, die nicht hysterisch sind wie wir!, war die Parole.Und sie ist es heute wieder.
Terror, nicht Terrorismus
Was entsteht ist ein Klima des Terrors. Nicht erzeugt von Terroristen, sondern von Politikern, Presseleuten, auch Wirtschaftsdelegierten und natürlich unbedarften Bürgern. Sie verüben den Terror gegen sich selbst und gegen andere; sie werfen Brandsätze auf das gesellschaftliche Klima und ersticken die Opposition. Man braucht kein Anti-Terror-Gesetz gegen Terroristen - die sind Randerscheinung, nicht organisiert, nicht bestückt mit technologischen Waffen oder dergleichen. Immerhin mussten einige Terroristen vor zehn Jahren ein Flugzeug mit Teppichmessern kapern. Man benötigte eigentlich ein Anti-Terror-Gesetz gegen jene, die ein solches Klima des Gesinnungsterrors anfachen. Der Kampf gegen den Terror hat in den Köpfen derer zu beginnen, die ohne Reflektierung der terroristischen Angst erliegen. Gegen den Terror zu sein, hat für jene, die einen offenen und tabulosen Diskurs fordern, eine ganz andere Bedeutung. Es bedeutet nämlich: endlich vom Terror der Hohlköpfe bewahrt zu werden, die einen der Einfachheit halber zum Freund des Terrorismus ernennen wollen...
Emotion, nicht Ratio
Wer denkt eigentlich an die Opfer? Man kann nicht leugnen, dass viele Opfer von Gewalttaten, auf sich alleine gestellt sich. Das ist ein gesellschaftliches, wahrscheinlich auch ein sozialstaatliches Problem. In einem Diskurs aber, der sich mit den juristischen Veränderungen, beziehungsweise mit dem, was einigen Veränderern und "Modernisierern" des Rechtsstaates so alles vorschwebt (Stichwort: Feindstrafrecht), hat dieser "Opferdialog" allerdings wenig zu tun. Es wird denen, die eine rückschrittliche Judikative anprangern, die glauben, dass die Modifikation der Rechtssprechung, indem man die terroristische Gefahr zu einem Mythos macht, dem der bereits installierte Rechtsstaat angeblich niemals Herr werden kann... es wird denen, die kritisieren, dass dieses Gedankenspiel des "präventiven Rechtsstaates" auch dazu führen wird, die Rechtspraxis generell, das heißt: gegen jeden angewandt, zu lockern... es wird denen, die glauben, dass ausgerechnet rationales Handeln zu Gericht etwas ist, was als verteidigenswertes Gut einzustufen ist... es wird denen durch Emotion, durch Opferdiskurs unmöglich gemacht, Gehör zu finden.
Man beanstandet, wie Terrorverdächtige - Verdächtige! - in Lager gehalten werden, ohne juristische Inanspruchnahme - und was hört man? Aber die Opfer! Kritik an der Diabolisierung des Terroristen, man will verstehen, woher er kommt und ob zum Terrorismus nicht immer auch zwei Seiten gehören - Und was ist mit den Opfern? Man fragt nach der Menschenwürde, wenn es zu Inhaftierungen kommt, die kein Vollzugsziel kennen - Denken Sie eigentlich jemals an die Opfer? Man argumentiert, dass das gängige bürgerliche Recht völlig ausreicht, um terroristische Verbrecher zu bestrafen - Was sollen die Opfer dabei denken?
Diese totale "Opferkultur", die wohlgemerkt an anderer Stelle ohne Zweifel Berechtigung hat, sie emotionalisiert eine Debatte, die möglichst trocken, möglichst gefühllos geführt werden sollte. Opfer zu instrumentalisieren, um die Debatte abzuwürgen - das ist infam! Der bürgerliche Rechtsstaat, der über ausreichend Mittel verfügt, Gewalttaten zu ahnden, ist keine emotionale Einrichtung. Wäre Judikative eine Angelegenheit, die hysterisch und emotional bestritten werden sollte, würde sie nicht im Gerichtsaal, sondern in einer Arena stattfinden. Emotionsbeladenes Rachegefühl ist nicht die Grundlage der Rechtssprechung - es geht um Sühne, Wiedergutmachung und Resozialisierung. Es geht auch darum, dass im Namen des Volkes einer verfügt, dass das begangene Unrecht im Namen der Gesellschaft bestraft wird - das Opfer ist somit nicht alleine, wie es oft lapidar heißt, denn die Gesellschaft hat in corpore des Richters Strafe verhängt. Zugegeben, das ist sehr theoretisch, aber Ausdruck dessen, dass das Opfer kein Anrecht auf Rache hat, sondern auf Anerkennung seines Rechts und auf Sanktionierung desjenigen, der den Schaden verursacht hat.
Rache, nicht Recht
In den Debatten, die sich immer dann entwickeln, wenn man die Phantasien der Sicherheitspolitiker im Bezug auf Terrorismus kritisiert, wenn man Partei für den Terrorismus ergreift, wie es einige geistig kurz angebundene Eiferer benennen, kommt relativ schnell zum Vorschein, dass es nicht um Rechtssprechung im modernen Sinne geht. Stattdessen ist Rache das Motiv. Vollzugsziele schließt der öffentliche Diskurs bei Gewalttätern bestimmter Fasson aus. Sexualstraftäter und Terroristen sind das beliebteste Ziel für gesellschaftliche Rachegelüste. Die Justiz wird als marode und malad beschrieben, um der Rache freie Bahn zu schaffen. Heutzutage würde man jeden Mörder verteidigen und auf seine Menschenwürde mehr schauen, als auf die von Opfern oder potenziellen Opfern, liest man häufig. Und die Richter spielten dieses Spiel mit - gewissenlos, skrupellos, ohne Schamgefühl. Das ist freilich ein Konstrukt, um der Rachsucht in die Schuhe zu verhelfen.
Man wähnt sich als besonders rechtsstaatlich motiviert, wenn man bei Kundgebungen aufgebrachter Eltern mitmarschiert und dabei zum Ausdruck bringt, dass Todesstrafe gegen Sexualstraftäter nicht schlecht, wenigstens aber eine Haft bis zum Tode unbedingt sinnvoll sei. All das verstößt gegen die Auffassungen, die den modernen Rechtsstaat eigentlich ausmachen. Das ist nicht aufgeklärt - es ist reaktionär; es ist nicht zukunftsweisend - es ist der Marsch zurück in eine Rechtspraxis, die Rache zum Gebot des Strafmaßes machte. In "Überwachen und Strafen" beschreibt Michel Foucault stichhaltig den Wandel zu einer Strafpraxis, die erziehen und integrieren wollte, die dem Täter eine weitere Chance einräumte. Vielleicht müsste ein futuristischer Soziologe, blickte er aus einem fernen Jahrhundert auf uns zurück, den Rückschritt ins Mittelalter erläutern.
Verfluchen, nicht Verstehen
Der schlimmste Fehler, den man in der Debatte machen kann: verstehen zu wollen, warum der Terrorismus gedeiht. Es ist ja kein Geheimnis, dass Terrorismus - wie nichts auf dieser Welt - nicht im Niemandsland entsteht. Niemand wacht morgens auf und beschließt, ein bisschen auf Terror zu machen. Es bedarf einiger Voraussetzungen. Basken und Iren lebten nicht mit dem Terror, weil sie besonders sturköpfige Völker wären, wie man das zuweilen lesen musste - gerade so, als sei Sturheit und Borniertheit der Einstieg zur terroristischen Gewalt. Und Moslems sind nicht per se radikal und gewaltbereit. Was also begünstigt den Terrorismus? Und sind die Gesellschaften, die unter ihm leiden - und sei es auch nur psychisch, weil sie sich in Hysterie begeben -, nicht nur Geschädigte, sondern auch Ursache? Ist Terrorismus damit nicht auch eine blutige und zu verurteilende Kommunikationsstrategie, wenn man ihn nüchtern unter kommunikationstheoretischen Gesichtspunkten betrachtet?
Verstehen zu wollen ist Sünde. Auch hier also Mittelalter! Damals waren es die biologischen oder kosmischen Abläufe, die man unverstanden lassen wollte - heute sind es soziologische oder historische Kontexte, die unangetastet bleiben sollten. Den Terrorismus verstehen zu wollen, wird als Rechtfertigung des Terrorismus gedeutet - Anti-Terror-Gesetze unter die Lupe zu nehmen, heißt Terroristen zu schützen - die Rolle der Wirtschaft und Politik westlicher Prägung zu hinterfragen, ihnen etwaige Mitverantwortlichkeit für terroristische Gesinnungen zu erteilen, versteht man ganz schnell als Legitimitätserklärung des Terrorismus. Zudem nenne man die Debatte niemals hysterisch - dies zu benennen wird mit dem Attribut "Terroristenfreund" belohnt.
Verflucht sollen sie werden, nicht verstanden. Rache ist der Antrieb, den man von der Justiz verlangt - Verfluchung ohne explizites Verstehen: das ist die Grundvoraussetzung hierzu. Nur gegenüber jemanden, den man nicht versteht, kann man rachsüchtig sein wollen. Verstehen bedeutet Nachdenken bedeutet Differenzieren bedeutet: dem Feind menschliche Züge zu verleihen. Der Feind wird somit zum Täter - zum Menschen, der gegen das Gesetz verstoßen hat, der aber dennoch unveräußerliche Rechte besitzt. Sicher steht aber auch dann am Ende die Strafe - aber sie würde unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten entstehen. Ohne Emotion, ohne Hysterie, ohne blanke Rachsucht. Doch genau davor scheut man zurück, so wie einst die Kirche scheute, dass der Mensch verstehe, er sei nur eine "biologische Maschine" - der ins Transzendente verfeinerte menschliche Körper, ausgestattet mit einer Seele durch Gott, er wäre zur ollen Kamelle geworden, schließlich hätte man keine Seele gefunden. Der Terrorist als Feind ohne Rechte, den man mit allen niederen Instinkten begegnen darf im Angesicht der Justiz, er würde zur ollen Kamelle, wenn man ihn im berechtigten Eifer, ihn zu strafen, auch noch verstehen wollte.
Bei jeder Gerichtsverhandlung ist das Motiv des Täters relevant - ein gewissenhafter Richter will wissen, was einen Räuber oder einen Mörder aus Habgier zur Tat verleitete. Die Strafzumessung hängt wesentlich auch vom Beweggrund ab. Mancher Grund macht die Tat besonders strafwürdig, andere Gründe strafmildern. Den Täter oder Tatverdächtigen - noch ist die Person, die angeklagt vor Gericht steht, ja nur verdächtigt - zu verstehen, das gehört mit ins richterliche Repertoire. Die Öffentlichkeit, die rigoros bestimmten Tatverdächtigen fundamentale Menschenrechte aberkennen möchte, will nicht verstehen. Sie tilgt diesen Punkt der Analyse. Sie nennt solche Gedankengänge intellektuell und arrogant, sie glaubt diese weltfremd und enthoben. Das Verstehen wird durch Aktionismus behoben - gleich zur Rache schreiten, ohne auch nur die Triebfedern benannt zu haben.
Hysterie, nicht Gelassenheit
Publiziert man Kritik am Umgang mit der Randerscheinung des Terrorismus, macht man dessen Aufbauschung präsent, die tragischen Folgen, die dessen Bekämpfung für uns alle hatten und haben werden, so stößt man auf hysterische Szenarien. Wie könne man Partei für Menschen ergreifen, bekommt man um die Ohren gehauen, die Züge entgleisen lassen und Bahnhöfe in die Luft sprengen. Nachfragen, welche Züge und Bahnhöfe denn so ein bitteres Ende nahmen, werden als rhetorische Fallstricke diffamiert. Die Hysterie ist so fest verankert in manchem Kopf, dass dem mit ausgewogener Analyse nicht mehr beizukommen ist. Die Debatte um den Terrorismus gründet vielleicht zu fünf Prozent auf realen Gegebenheiten - der Rest ist Szenario, Möglichkeit; etwas, was ausmalbar ist, wenn man bloß genug Phantasie besitzt.
Gesellt man sich nicht mit in Hysterie, wird man für Hysteriker verdächtig. Wieso bleibt der so gelassen?, fragen sie sich. Denn gelassen können in einem solchen Szenario nur die sein, die es diktieren - Terroristen also. Gelassenheit ist die vermeintliche Tugend derer, die etwas zu verbergen haben. Hysterie wird plötzlich zur Frage der Vernunft. Vernünftige Menschen verlieren den Kopf, ist die ungesagte Wahrheit. Wer es nicht tut, wer kühl begutachtet, gelassen verstehen will, nicht hysterisch auf Rache sinnt oder emotional überreagiert, der ist nicht ganz koscher. Vielleicht kein Terrorist - aber einer, der sich vielleicht die Hände reibt, wenn es mal kracht. Ein Freund und geistiger Helfer der Terroristen. Damals forderte man die Isolierung Heinrich Bölls und Peter Brückners - genau aus dieser Denkweise heraus rührte diese hanebüchene Forderung. Macht die mundtot, die nicht hysterisch sind wie wir!, war die Parole.Und sie ist es heute wieder.
Terror, nicht Terrorismus
Was entsteht ist ein Klima des Terrors. Nicht erzeugt von Terroristen, sondern von Politikern, Presseleuten, auch Wirtschaftsdelegierten und natürlich unbedarften Bürgern. Sie verüben den Terror gegen sich selbst und gegen andere; sie werfen Brandsätze auf das gesellschaftliche Klima und ersticken die Opposition. Man braucht kein Anti-Terror-Gesetz gegen Terroristen - die sind Randerscheinung, nicht organisiert, nicht bestückt mit technologischen Waffen oder dergleichen. Immerhin mussten einige Terroristen vor zehn Jahren ein Flugzeug mit Teppichmessern kapern. Man benötigte eigentlich ein Anti-Terror-Gesetz gegen jene, die ein solches Klima des Gesinnungsterrors anfachen. Der Kampf gegen den Terror hat in den Köpfen derer zu beginnen, die ohne Reflektierung der terroristischen Angst erliegen. Gegen den Terror zu sein, hat für jene, die einen offenen und tabulosen Diskurs fordern, eine ganz andere Bedeutung. Es bedeutet nämlich: endlich vom Terror der Hohlköpfe bewahrt zu werden, die einen der Einfachheit halber zum Freund des Terrorismus ernennen wollen...