Andreas Altmann – Triffst Du Buddha, töte ihn!

buddha_altmann_coverIch habe mich mit Urlaubslektüre ein­ge­deckt. Und was liegt näher, als im Urlaub ein Buch des “bekann­tes­ten deut­schen Reiseschriftstellers” (Zitat aus der WELT im Klappentext) zu lesen?

Allerdings ist mir Altmann weni­ger wegen sei­ner Reiseberichte bekannt gewor­den. Sondern viel­mehr wegen sei­nes umwer­fen­den (im wahrs­ten Wortsinne) Buches “Das Scheißleben mei­nes Vater, das Scheißleben mei­ner Mutter und meine eigene Scheißjugend” sowie aktu­ell “Dies beschis­sen schöne Leben“. Beide Bücher sind eigent­lich auch als “Reiseberichte” zu ver­ste­hen; aller­dings weni­ger als Berichte über Erlebnisse von ört­li­chen Veränderungen, son­dern die von zeit­li­chen.

Und inso­fern ist das jetzt gele­sene Buch auch nur auf den ers­ten Blick ein Bericht über Altmanns Indienreise. Sondern vor allem eines über eine Reise zu sich selbst.

gna­den­los ehr­lich

Ich mutiere lang­sam zu einem Altmann-Fan. Denn ich kenne wenige Menschen – und noch viel weni­ger Autoren – der der­art gna­den­los ehr­lich sind. Die in der Lage sind, auch ohne Selbstmitleid über ihre Ängste, Zweifel, Schmerzen zu schrei­ben.

Altmann ist so einer. Einer von den ganz Seltenen, die selbst beim Beschreiben eher für den Autoren pein­li­cher Szenen nicht in Seichtigkeiten abglei­ten (wie es dem von Altmann viel­ge­schol­tene Paulo Coelho meis­ter­haft in sei­nen Büchern gelingt). Wenn Altmann über “Kopfkino-Sex” schreibt, dann  weiß (zumin­dest der männ­li­che) Leser sehr genau, was er meint: jeder von uns – auch wenn wir nur äußerst sel­ten davon reden – kennt diese Filme, die ohne unser Zutun abzu­lau­fen begin­nen, wenn wir unsere Gedanken nicht unter Kontrolle und im Zaume hal­ten.

Doch wo andere nur über “unzüch­tige Gedanken im Kopf” schrei­ben, schreibt Altmann über Sex.

Nun soll das aber nicht hei­ßen, dass es im Buddha-Buch darum geht. Mitnichten! Der genaue Beobachter reist nach Indien, beschreibt sei­nen Besuch an Stätten, an denen Siddhartha Gautama gelebte, gewirkt, gestor­ben sein soll. Und – natür­lich – über den kom­mer­zi­el­len Rummel, der um sol­cher­lei Stätten gemacht wird.

“Indien” schreibt Altmann, “Indien ist ein gigantischer Spiegel. Jeder darf hineinblicken und sich anschauen. Wer das Land im selben Zustand verlässt, wie er es betreten hat, kam schon als Leiche.” Und mit allen Sinnen, mit allen Poren nimmt der Reisende dieses Land auf und schreibt darüber. – Ich wünschte, ich hätte einen Hauch der Altmann’schen Fähigkeit, die Dinge zu beobachten und niederzuschreiben… Er sieht das Kleine, er beschreibt das Kleine. Und dabei ist genau das das Leben. Das unüberschaubare, pralle, volle, schreiende, weinende, jauchzende Leben.

“Weil ich darauf bestehe, dass das Leben ein Geschenk ist, das man ausbeuten muss, ausleben und randvoll machen. Gerade weil ich streng ungläubig bin, mich nie mit der Aussicht auf Paradiese und jenseitige Schlaraffenländer tröste, gerade deshalb bleibt Leuten wie mir nichts anderes als der Planet Erde und die paar Jahre, die uns vergönnt sind. Deshalb die Hetze, die Suche, das neurotische Drängen.”

reli­gi­ons­kri­tisch trotz Buhhismus

Der Titel des Buches läßt bereits daran den­ken, dass Altmann Religionskritiker ist. (Und wer seine auto­bio­gra­fi­schen Bücher kennt, weiß, wes­halb das so ist) Er zeigt, dass man auch ganz unre­li­giös sein kann, um mit Meditation zu sich selbst zu fin­den. Denn Religion ist für Altmann vor allem Denkfaulheit: “Glauben ist tat­säch­lich wie Opium, er bewahrt vor jeder Kopfarbeit, macht dösig und trüb. ’Selig die Einfältigen, denn ihrer ist das Himmelreich.’ Verlockender kann man zur geis­ti­gen Trägheit nicht ein­la­den.”

Anders die Dition; Vipassana in die­sem Falle, das – so Altmann – hilft, sich selbst zu ent­de­cken und zu ler­nen, zu sich selbst zu ste­hen. Nicht: abzu­glei­ten in irgend ein ver­schwo­be­nes Jenseits, Nirwana oder was sonst noch an Absurditäten sich Menschen aus­dach­ten, um der Verantwortung für ihr (dies­sei­ti­ges) Leben zu ent­flie­hen. Das, was land­auf und -ab als “spi­ri­tu­ell” ver­kauft wird, “ist ein hef­tig geschu­ri­gel­ter Begriff, arg ver­hurt. Ich will mich anstren­gen, um als Schreiber nicht selbst in die Untiefen eso­te­risch ver­bla­se­nen Schunds abzu­stür­zen.” Was ihm erstaun­lich gut gelingt.

Denn – wie auch Schmidt-Salomons ent­spre­chende Artikel und Aussagen zeig­ten – es ist ein schwie­ri­ger Drahtseilakt, sich dazu zu beken­nen, den Anspruch, ein wis­sen­schaft­li­ches Weltbild zu ver­tre­ten mit den (ural­ten Lebens-)Weisheiten des Ostens in Verbindung zu brin­gen. Ohne sich dem Vorwurf aus­set­zen las­sen zu müs­sen, in die Eso-Ecke abzu­drif­ten.

Dass Altmann die­ser Gefahr nicht unter­liegt, soll die­ses Zitat bele­gen:  “Immer wer­den wir auf­ge­for­dert, ‘gro­ßen Respekt vor den Religionen’ zu zei­gen. Ergriffenes Schaudern soll über uns kom­men, wenn von den ‘gött­li­chen Weissagungen’ die Rede ist. Welch Mumpitz! Respekt vor was? Vor dem kle­ri­ka­len Lichtertalg, dem pro­phe­ti­schen Geraune, dem inbrüns­ti­gen Glaubensschmalz? Alles fabri­ziert, um uns Angst und Schrecken ein­zu­ja­gen. Davor Respekt? Vor der Intoleranz, zu der sie uns auf­wie­geln? Vor der Denkfaulheit, in der wir uns üben sol­len? Vor dem schafs­from­men, schafs­blö­den Geleier, das uns andere Schafe seit ein paar Tausend Jahren vor­lei­ern.”1

In sei­nem Buch ist Altmann nur ein Fehler unter­lau­fen: er schreibt posi­tiv über Mutter Theresa, der er unter­stellt, dass deren Leben – obwohl sie an kei­nen per­sön­li­che Gott mehr glaubte – ein “ful­mi­nan­ter Beweis dafür” sei, “dass Menschenliebe voll­kom­men reicht, um sich vom Leid ande­rer auf­wüh­len zu las­sen.” Meiner (und nicht nur mei­ner) Meinung nach war diese Frau alles mög­li­che; aber sicher­lich nicht men­schen­lieb. Es sei denn, man nennt das Verweigern von Medikamentengaben, das mehr­fa­che Benutzen von (dazwi­schen nicht des­in­fi­zier­ten) Spritzen und das Verreckenlassen Armer und Kranker Menschenliebe.

sprach­li­che Meisterleistung

Was aber – neben Altmanns Ehrlichkeit, Religionskritik und und und… mich zu sei­nem Bewunderer wer­den läßt, ist sein Umgang mit der Sprache.

Im “Beschissen schö­nen Leben” schreibt Altmann über seine Liebe zur Sprache. über das Glückgefühl, das prä­zi­ses Formulieren aus­lö­sen kann. Auch hier wie­der solch Zeilen: “Plötzlich fällt mir noch ein Grund ein, warum Sprache notie­ren das schiere Glück aus­löst. Nicht bei jedem Satz, aber oft: Schreiben macht bedürf­nis­los. 26 laut­lose Buchstaben rei­chen. Mehr hat man nicht, mehr braucht man nicht.” Dazu pas­send: “Kein Beruf ist so geräusch­los, so unkrie­ge­risch und so gefähr­lich. Schon Mohammed wütete: ‘Unter allen Sterblichen hat der Schriftsteller die größte Chance, in die Hölle zu kom­men.’ Eine sol­che Makulatur kann nur ein Analphabet ver­brei­ten.”

Andreas Altmann bin­det sich an nichts – das weiß ich. Aber ohne Notizbuch und ohne Bücher oder Zeitungen würde der Mann ver­küm­mern wie eine Seerose in der Sahara.  Wenn er schreibt, dass er ohne Sprache nicht leben könnte – ich glaube ihm das. Denn ich glaube ihm, weil er auch in ande­ren Dingen ehr­lich ist.

und die Meditation?

Altmann schreibt über zehn Tage Meditation. Und dar­über, wie er sich im Schweigen die­ser Tage selbst wie­der begeg­net – und genau diese Begegnung auch sucht. Sich eben nicht ver­ste­cken will; nicht fort­lau­fen vor den Erinnerungen, die ihn pei­ni­gen. Aber auch glück­lich machen. “Ist ein Leben ohne Herausforderungen nicht eine furcht­bare Veranstaltung? Ist es so mise­ra­bel, unser Dasein, dass alles erstre­bens­wer­ter scheint, als auf der Welt zu sein?” Er sucht nicht nach einem Guru, der ihm die Verantwortung für das eigene Leben abnimmt. Er sucht nach der uns alle innen­woh­nen­den Kraft, die es zu ent­de­cken gibt. Und des­sen oft auch zer­stö­re­ri­schen Wut man sich stel­len muss.

Dass das ziem­lich schwer sein kann, ver­schweigt Altmann nicht: “Vipassana ist nicht zim­per­lich, es ist ein Kampfsport für Erwachsene.” Wer es schafft, in seine eige­nen Abgründe zu schauen, schafft es (mög­li­cher­weise) auch, die der Anderen mit mehr Verständnis zu begeg­nen.

Dieses Credo sollte klar stel­len, wes­halb ich Andreas Altmanns Bücher mag.

Credo

Einfach nur das Leben leben. Mit allen Konsequenzen: “Ich fühle Schmerz, also bin ich. Ich verliere, also bin ich, ich platze vor Freude, also bin ich, ich empfinde Todesangst, also bin ich.”

Oder die­ser gran­dios arro­gant klin­gende Satz, den ich bereits zitierte: “Alles, was ich will, ist alles. So ein­fach ist das.” der, wenn man dar­über nach­denkt, auch das Eingeständnis der Schwäche, des Versagens und der Ängste davor ist. “Alles, was ich will, ist alles.” Einfach ist das nicht.

Nic

PS: Ach so: Altmann ver­sprach ja, Buddha zu töten. Drum ist noch nach­zu­tra­gen: “Jetzt hatte ich dank Buddha genug vom Buddhismus. Buddhist sein klingt in mei­nen Ohren heute so absurd wie Moslem sein oder Christ. Als ob eine, nur eine Lehre aus­rei­chen würde, um mit der aber­wit­zi­gen Vielfalt des Lebens, der Welt, der Weltgeheimnisse fer­tig zu wer­den. Ich will wie­der zu jenen zurück­keh­ren, die ich schon immer für aus­ge­spro­chen attrak­tiv hielt: zu den Fassungslosen, den halt­los Über­wäl­tig­ten.”
Denn “Buddha soll dir Hebamme sein, Guru und Mentor. Um das in dir schlum­mernde Potential zu wecken, es zur Welt zu brin­gen. Aber wenn es geweckt ist, dann musst du dich ver­ab­schie­den, ihn von dir wei­sen, ihn ‘töten’.
Oder, wie es ein Zen-Mönch aus­drückte: “Schau, da drü­ben steht das Scheißhaus. Ich kann dir nur die Richtung zei­gen, doch schei­ßen musst du selbst.”


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