Anderthalb Wochen danach

Von Stefan Sasse

Es gibt zwei Dinge, die Guttenberg ohne Zweifel geleistet hat. Das erste ist, die Wehrpflicht abzuschaffen. Das war eine politische Herkulesleistung, die der Politik seit 20 Jahren nicht gelungen ist, obwohl vier von fünf Parteien sie in ihren Wahlprogrammen regelmäßig fordern. Dass ausgerechnet ein Politiker jener fünften Partei, die sich stets für sie eingesetzt hat, ihr Ende bereitet hat ist bezeichnend: das Prinzip von "Nixon goes to China" hat einmal mehr seine Richtigkeit gefunden.

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Photo: Bundeswehr-Fotos

Die zweite Leistung hat er zwar nur ausgelöst, aber ohne ihn wäre sie kaum vorstellbar: er hat Deutschland den spannendsten politischen Skandal seit Jahren beschert. Man muss auch das würdigen. In den letzten 11 Tagen ist so viel passiert, so viel neue Information hinzugekommen, dass es sich lohnt die ursprüngliche Analyse einer Generalrevision zu unterziehen und noch einmal zu sehen, was eigentlich passiert ist und welche Schlüsse daraus nun zu ziehen sind. Als die Affäre begann war ich noch der Überzeugung, es handle sich um eine Kleinigkeit. Acht falsch gemachte Fußnoten, herrgott, das ist ja nichts Schlimmes. Nun, diese Einschätzung war ein folgenschwerer Irrtum. Als mehr Fehler erschienen, war der Umfang deutlicher hervorgetreten, und zum Wochendende hin rechnete man ja bereits stündlich mit seinem Rücktritt.

Bekanntlich kam es anders. Während ich die wohl größte Besucherzahl aller Zeiten auf diesem Blog versammelte, weil ich alle im Netz gefundenen Witze halb-plagiiert hier gesammelt habe (oh, die Ironie), verteidigte sich Guttenberg mit der einzigen Strategie, die ihm neben dem Rücktritt blieb: er gab eine Teilschuld zu, wälzte einen Teil ab und bagatellisierte den großen Rest. Vermutlich unter dem Entscheidungsdruck überfordert stellte sich die Regierung hinter ihn. Die Gefahr schien abgewendet, und zu Beginn der vergangenen Woche wurde allerorten eine Stabilisierung Guttenbergs prognostiziert: der Backlash setzte ein, meisterhaft propagiert von der Springerpresse, die eine aggressive Pro-Guttenberg-Kampagne abzog, die den Großteil der Werktage ohne einen Antagonisten auskam und deswegen so meinungsbildend wirkte, dass es schien, als würde Guttenberg tatsächlich gestärkt aus der Krise herausgehen. Das hat sich aber dieses Wochenende schon wieder geändert. Die Springerkampagne ist seither massiv in die Kritik geraten. Gerade dem Spiegelfechter ist es gelungen, mit seiner Entdeckung des Zusammenhangs der auffälligen Pro-Guttenberg-Kampagne auf Facebook und dem Springerkonzern den vielleicht ersten Scoop eines politischen Blogs in Deutschland zu landen.

Auch wenn das zeitliche Zusammenfallen Zufall sein mag - mit dem Wochenende begann eine aggressive Gegenkampagne. Die Anhörungen der Opposition am Mittwoch schien Guttenberg noch wegzustecken, da der Ton aggressiv war und die Fans sich von so etwas kaum aus der Ruhe bringen ließen, besonders dank der tatkräftigen Empörung der BILD. Tatsächlich schien es so, als würden ihn diese Angriffe nur noch mehr stärken. Der Gipfel der Unverschämtheit war erreicht, als am Donnerstag versucht wurde, die Schuld auf Professor Häberle abzuwälzen, ganz so als wäre die Tat nicht das Schlimme, sondern dass sie nicht sofort bemerkt wurde. Dieses Wochenende jedoch scheint eine Art Sammlung vieler Menschen ihren Abschluss gefunden zu haben. Namhafte CDU-Politiker verurteilten Guttenbergs Handlungen, praktisch alle Leitmedien mit Ausnahme der des Springer-Verlags stellten sich entschiedenen gegen ihn und der Spiegel wird am Montag mit einem massiven Angriff auf die BILD aufmachen. Selbst wenn Guttenberg die Affäre doch noch überstehen sollte, wofür die Zeichen nun wieder deutlich schlechter stehen, so hat es immerhin das Gute, dass die Medien einen schmerzhaften Selbsterkenntnisprozess durchgemacht haben. Es steht wenigstens zu hoffen, dass etwas von der hässlichen Fratze, die diverse Medienleute da im Spiegel erblickt haben müssen, in den Gedächtnissen haften bleibt. Die Kriegserklärung des Spiegel an die BILD jedenfalls dürfte deren Verhältnis erst mal nachhaltig trüben. 

Nach diesem Nebenkriegsschauplatz kommen wir zum Kern der Angelegenheit. Guttenberg hat mit seinem Plagiat einen direkten Schlag gegen die Wissenschaft gelandet. Das ist das eine. Mit seiner Lüge, das ganze irgendwie unterbewusst getan zu haben (und dass das eine Lüge ist sagt einerseits der gesunde Menschenverstand und andererseits die Erfahrung von jedem, der jemals eine solche Arbeit produziert hat), hat er einen direkten Schlag gegen den Konservatismus in Deutschland und die bürgerlichen Werte gelandet. Beides verdient eine nähere Betrachtung. Der Schlag gegen die Wissenschaft ist klar: wie sollte man jemals ernsthaft Wissenschaft betreiben und als Korrektor die Legitimation haben, anständiges Arbeiten einzufordern, wenn andere mit derart frappanten Verstößen durchkommen? Das ist völlig unmöglich. Gleichzeitig, und das ist subtiler und wird in seinen Folgen wohl erst in den nächsten Wochen und Monaten durchschlagen, hat das Guttenberg'sche Plagiat unabhängig vom Schicksal des Ministers doch die Bildungs- und Wissenschaftspolitik der Regierung delegitimiert: wie will Merkel denn ernsthaft von der "Bildungsrepublik" schwadronieren und vom Wert der Bildung philosophieren, wenn sie andererseits Kritik an Guttenberg mit dem Verweis abbürstet, keinen wissenschaftlichen Assistenten eingestellt zu haben? Jegliche Bildungspolitik der Regierung ist damit eigentlich demontiert. Der Schlag gegen die bürgerlichen Werte - Anstand, Respekt vor Eigentum, Ehrlichkeit - ist es aber, der Guttenberg die größten Probleme bereitet. Den Rest könnte man beiseitewischen, aber jedem, der sich ernsthaft konservativ schimpft und das nicht nur auf Friedrich-Merz-Niveau tut, muss doch die Zornesröte ins Gesicht steigen.

Guttenbergs bisheriger Aufstieg baute neben der massiven Hofberichterstattung fast aller Medien auf eben diesen Werten, die er in seiner Person verkörperte. Davon ist nichts als ein schlechter Witz übrig geblieben, sein Ansehen als Person ist genauso dahin wie das Otto Graf Lambsdorffs, als er wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde. Guttenberg hat dabei aber nicht nur sich beschädigt, sondern die gesamte Union. Diese Abfärbung seiner Verfehlung hat sich Merkel auf die Fahnen zu schreiben. Sie war es, die entschlossen hatte, am letzten Wochenende nicht so zu handeln wie das eigentlich angebracht wäre und den Rücktritt Guttenbergs zu forcieren, sondern in bester Kohl-Manier das Ganze versuchen auszusitzen. Dadurch dass sich die Regierung in Nibelungentreue zum Freiherrn bekannte, ist sie nun mitgehangen-mitgefangen. Alles, was Guttenberg verbockt wird auf Merkel zurückfallen. Wenn er fällt, reißt er sie zumindest ein Stück weit mit. Mappus könnte sich durch seine aggressive Unterstützung des Freiherrn ebenfalls verrechnet haben und nach S21 ein weiteres Politdesaster, nur dieses Mal kurz vor den Landtagswahlen, erleben.

Die Frage bleibt, welche Langzeitfolgen dieser Skandal haben wird. Es ist noch immer nicht ausgemacht, dass Guttenberg zurücktritt, wirklich vermeidbar scheint das aber tatsächlich nur zu sein, wenn er allen Anstand und alle bürgerlichen Werte tatsächlich über Bord wirft und sich auf Gedeih und Verderb an die BILD kettet. Die CDU/CSU wird ab sofort in jedem Fall gewaltige Legitimationsprobleme haben, wann immer es um die Verteidigung von "geistigem Eigentum" und damit vor allem den Kotau vor der Musikindustrie geht, wann immer man Universitätspolitik machen will und wann immer man auf klassische bürgerliche Werte rekurrieren will. Dass allerdings ein Sturz Guttenbergs tatsächlich Merkel in den Abgrund reißen und die Koalition zerstören sollte, halte ich für unwahrscheinlich - auch wenn es natürlich zu begrüßen wäre.

Links:

SZ

Weißgarnix

Augsburger Allgemeine


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