Meine Oma war ein ganz besonderer Mensch für mich und ich hatte einen sehr innigen Kontakt zu ihr. Viele Wochenenden habe ich bei ihr verbracht, habe sogar eine Zeit lang bei ihr gewohnt. Wenn ich Sorgen hatte oder auch wenn ich glücklich war, habe ich ihr das immer erzählt. Sie war die beste Großmutter der Welt. Auch früher, als meine Mutter es nicht so einfach hatte, habe ich mit meinen 2 Jahren (übrigens in dem Alter, in dem die Große jetzt ist) zu ihr gesagt: „Komm, Mama, wir fahren zu Oma Elpe". (Erklärung: Elpe ist der Ort, in dem meine Großeltern wohnten - 10 km von uns entfernt). 10 Kilometer - das ist viel näher als die Entfernung, die heute zwischen mir und meiner Mutter liegt. Das sind nämlich 140 km.
Diese Tatsache, dass wir so weit auseinander wohnen, ist zunächst meinem Job geschuldet - damals waren es aber „nur" 80 km. Inzwischen sind es 140 Kilometer, weil ich dann zu meinem Mann nach Leverkusen gezogen bin. So wurde es immer weiter, was mir allerdings kein Problem erschien, weil ich mobil bin und auch weite Strecken kein Problem für mich sind. Schließlich fahre ich schon 65 Kilometer pro Strecke zur Arbeit.
Als ich dann schwanger war, wurde es natürlich mit wachsendem Bauch immer schwieriger, Auto zu fahren. Irgendwie ist es eine ganz besondere Verbindung zu meiner Mutter - Gott sei Dank, obwohl es leider auch oft schwierig war. Trotzdem bin ich regelmäßig einmal im Monat zu ihr gefahren. Sie war auch die Erste, die erfahren hat, dass ich schwanger bin. Und als das Baby geboren war, war es mir noch wichtiger, einmal im Monat zu ihr zu fahren, denn ich wollte alles dafür tun, dass die Tochter auch einen speziellen Kontakt zur Oma bekommt, so wie ich es früher zu meiner Oma hatte. Auch als ich dann wieder schwanger war, bin ich anfangs noch regelmäßig zu ihr gefahren. Irgendwann verstärkte sich jedoch das Gefühl, dass dieser Kontakt ziemlich einseitig ist und wenn ich mich nicht melde, dann kommt auch von ihr nichts. Ok, ab und zu kam eine E-Mail, weil sie uns ja telefonisch „nicht stören wollte". Diese Aussage habe ich immer sehr kritisiert, denn wenn sie stört, dann habe ich ja immer noch die Möglichkeit, nicht dran zu gehen. Das sollte sie doch wissen. Also reduzierte ich meine Kontaktaufnahme und wartete einfach mal ab, dass sie sich meldet oder auch mal zu uns kommt. Ok, sie hatte einen kranken Hund, der nicht mehr lange zu leben hatte, aber auch als dieser verstorben war (ich verstehe natürlich, dass sie darüber sehr traurig war, weil er sehr lange bei ihr war und einfach zur Familie gehörte) machte sie keine Anzeichen, zu kommen oder sich mal zu melden.
Über meine Schwester erfuhr ich dann, dass sie nach einem Monat wieder einen neuen Hund hatte. Ich war sauer, dass sie in diesem einen Monat, in dem sie keinen Hund und somit keine Verpflichtung hatte, die sie davon abhalten konnte, trotzdem nicht gekommen ist. Und nun hatte sie ja wieder eine Ausrede (nämlich den jungen Hund, der auch erstmal nicht allein sein konnte), so kam es bei mir an. Dann stand der 2. Geburtstag der Großen an und ich wollte einfach mal abwarten, ob sie zusagt und es irgendwie möglich macht, trotzdem zu kommen. Es kam dann allerdings erstmal von meiner Schwester die Antwort, dass sie nicht kommen kann an dem Tag, zu dem wir eingeladen hatten, sondern lieber 2 Wochen später kommen wollte. Kurze Zeit später rief dann meine Mutter an und wollte ebenfalls 2 Wochen später kommen. Daraufhin war ich so enttäuscht, dass ich absagte und sie 2 Wochen später nicht kommen sollten. Sie schickten dann ein Paket mit den Geschenken für die Große und ich reagierte darauf ziemlich neutral, sagte der Großen zwar, von wem es war, aber mehr auch nicht. Ich war einfach sehr enttäuscht, dass sie sich die Zeit nicht an dem Termin nahmen und es kam mir so an, dass es ihnen nicht wichtig ist. Gleichzeitig sagte sie mir, dass sie die lange Autofahrt aufgrund ihrer Schmerzen im Rücken und Knie nicht überstehen konnte, was auch für mich als Jammern und Ausrede schien. Klar - ich wusste, dass es ihr gesundheitlich nicht optimal ging, aber meine Einstellung war, dass man sich davon runterziehen lassen und darauf ausruhen kann oder eben das Beste daraus machen.
Zu ihrem Geburtstag sind wir dann trotzdem gefahren, weil ich mir nicht vorwerfen lassen wollte, dass ich ja „genauso bin". Es war allerdings ein sehr nüchternes Treffen ohne viele persönliche Gesprächsthemen. Kuchen essen und Kaffee trinken war die Hauptaktivität des Tages. Zu Ostern schickte sie dann ein Paket mit Osterhasen für die Große mit dem Hinweis, dass der Osterhase die bei ihr abgegeben hat. Ich fand das völlig übertrieben, weil sie sowieso viel mehr Süßigkeiten hat als sie jemals essen kann. Anfang Mai wurde dann die Kleine geboren und auch meine Mutter bekam die Information, genau wie die anderen Verwandten auch. Ich dachte, dass das vielleicht ein Auslöser sein könnte, dass sie versucht, einen Weg zu finden. Wenig später schickten wir die Einladungen zur Taufe und ich wartete geduldig auf die Antwort. Sie sagte zu und fand einen Weg zu kommen. Ich war geschockt, als ich sie sah, weil es ihr wirklich schlecht ging und sie den Weg trotz Schmerzen auf sich nahm. Das war ein eindeutiges Zeichen, dass es ihr wichtig ist. Am Geschenk, das sie für uns und die Kinder zur Taufe mitgebracht hatte, konnte ich sehen, dass sie meinen Blog regelmäßig liest. Es war die einzige Möglichkeit, etwas über uns zu erfahren.
In mir ratterten die Gedanken: Was bin ich für eine undankbare Tochter, die ihrer Mutter so viele wertvolle Momente mit den Enkelkindern verwehrt hat, obwohl sie mir ja immer wieder sagte und schrieb, dass sie zurzeit nicht kommen kann, auch wenn sie gerne möchte? Wie soll das weitergehen, wenn es ihr jetzt schon in ihrem relativ jungen Alter (mit 57 Jahren) so schlecht geht, dass sie nicht schmerzfrei Auto fahren und nur humpelnd laufen kann? Gleichzeitig hatte ich ein schlechtes Gewissen, Sorgen vor der Zukunft (hinsichtlich Pflegebedürftigkeit) und starkes Mitgefühl.Ich sprang über meinen Schatten und bin hingefahren (dazu angeregt hat mich auch der Artikel von Mia „Mütter wie wir") - letzte Woche, kurz bevor sie ins Krankenhaus musste, um ihr Knie operieren zu lassen. Als ich mit der Großen redetete, dass wir zur Oma fahren, erzählte sie mir einige Sachen, die mich überwältigten. Sie hatte so viele Erinnerungen an sie, was ich niemals gedacht hätte: sie erzählte von der Kuckucksuhr, die einmal stündlich „Kuckuck" macht und von dem Hund und den Beeren, die sie im Garten essen konnte und und und. Morgens, bevor wir losfuhren, war sie sogar zu aufgeregt, um zu frühstücken. Wir kamen rein bei meiner Mutter und die Große war wie zu Hause - sie wusste, wo alles war und fühlte sich wohl. Auch wenn sie meine Mutter länger nicht gesehen hätte, war sie ihr vertraut und sie ging ohne Scheu auf ihren Arm.
Für mich war es gleichzeitig schön und traurig. Schön, dass die Bindung offensichtlich da ist - Lohn dafür, dass ich trotz der manchmal anstrengenden Autofahrt mit kleinem Baby regelmäßig zu ihr gefahren bin. Traurig, weil ich nicht auch mit der Kleinen von Anfang an hingefahren bin - denn ich möchte auch für sie eine solche Bindung haben und für mich ist die Anstrengung viel kleiner als für sie, unter Schmerzen zu uns zu kommen.Auch der Hund, den ich glaubte, sie immer als Ausrede nutzt, ist viel besser erzogen als ich dachte. Er hört auf's Wort, ist aber sehr verspielt, was normal ist für Hunde in dem Alter. Und da er eben ein großer Hund ist, sieht es viel gefährlicher aus als es ist. Die Große hat geweint, als der Hund bellte, aber ich denke, sie wird sich daran gewöhnen. Nach ein paar Stunden war es schon viel besser und sie streichelte den Hund sogar, der viel größer ist als sie.
Was ich daraus gelernt habe: Ich sollte nicht so viel in Geschriebenes oder Gesprochenes interpretieren, sondern mich immer selber von der Situation überzeugen. Und Aufrechnung lohnt sich gar nicht in persönlichen und familiären Beziehungen.Gestern schrieb ich mit meiner Schwester darüber und stellte fest, dass wir ziemlich gleich denken und sie hatte so tolle Worte für die ganze Situation:
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Ich habe gemerkt, dass wir zusammenhalten, wenn es darauf ankommt und dass ich eine tolle Familie habe. Hoffentlich wird es auch irgendwann mit meinem Bruder genauso sein, mit dem leider zurzeit kein Kontakt besteht. Meine Schwester hat ganz tolle Worte gefunden dafür.
Und nun die Worte, direkt an meinem Mama gerichtet (weil ich weiß, dass Du hier liest): Liebe Mama!Ich habe allergrößten Respekt vor all dem, was Du geleistet hast in der Zeit der schwierigen Beziehung zu meinem Papa und auch nachher in der Zeit, als Du allein erziehend warst mit 3 Kindern.
Es tut mir unendlich leid, dass ich nie ein dankbares Kind war, sondern mich immer darüber beschwert habe, dass wir uns nicht alles leisten konnten, was andere hatten.
Heute habe ich allergrößtes Verständnis dafür, als Du mal genervt warst über mein Verhalten und auch Deine Überforderung zum Ausdruck brachtest. All das ist menschlich - das weiß ich heute, auch wenn ich mich früher sehr darüber aufgeregt habe.
Ich bewundere, wie Du uns Kinder nie festgehalten hast, sondern uns immer bei dem unterstützt hast, was wir machen wollten - auch wenn ich jedes Wochenende bei Oma und Opa schlafen wollte. Sicherlich wolltest Du auch mal Zeit mit uns haben, aber ich wollte nicht. Du hast mich trotzdem gelassen gemäß dem Zitat „Was Du liebst, lass frei, wenn es zu Dir zurückkommt, gehört es Dir für immer." (Konfuzius) Ich weiß nicht, ob ich das so mit meinen Kindern könnte - ich weiß aber, dass es der beste Weg ist.
Danke schön für diese tolle Erfahrungen, die Du mir ermöglicht hast auf Klassenfahrten, Ferienfreizeiten und unseren unvergessenen Campingurlauben. Es war alles so toll für mich und ich denke heute so gern daran zurück. Besonders weiß ich das zu schätzen, weil ich nun weiß, wie teuer das alles war und Du es trotzdem aufgebracht hast.
Du hast immer Deine eigenen Interessen hintenan gestellt, Dich aufgeopfert und auch viel Druck und Stress ertragen, damit es uns gut geht. Auch wenn ich das früher nie zu schätzen wusste, weiß ich es heute umso mehr.
Es tut mir sehr leid, dass wir uns so selten sehen können. Ich genieße es immer, wenn wir uns sehen und wenn ich sehe, wie zufrieden die Kinder bei Dir sind. Du bist eine ganz tolle Oma für sie und die beste Mama für mich, die ich mir vorstellen kann. Entschuldigung, dass ich Dir vorgeworfen habe, Du hättest kein Interesse, und Dich damit sehr verletzt habe.
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Was ich Dir wünsche:Ich wünsche Dir noch ganz, ganz viele schöne schmerzfreie Jahre und eine innige Bindung zu Deinen Kindern und Enkelkindern.
Da Du bis jetzt nur für uns und andere Menschen gelebt hast (in der Familie, im Job und der Freizeit) wünsche ich Dir, dass Du jetzt nur an Dich denkst und Dein Leben so gestaltest, dass es Dir gefällt. Bitte denk dabei ausnahmsweise nicht an uns, sondern an Dich und wie es für Dich am Allerbesten ist.
Ich wünsche Dir, dass Du glücklich sein kannst, obwohl ich weiß, dass Du nicht viel hast und es Dir vielleicht ganz anders vorgestellt hättest. Mach das Beste daraus.
Ich möchte immer für Dich da sein und wünsche Dir, dass Du Dich nie einsam fühlst, auch wenn Du oft allein bist. In Gedanken sind wir bei Dir und wir kommen Dich besuchen, so oft wir können.
Bitte triff die Entscheidungen, die Du zu treffen hast, für Dich allein, damit Du jetzt leben kannst und zufrieden bist. Wir haben alle unser Leben - mal mehr und mal weniger gut - organisiert und kommen einigermaßen zurecht. Es ist immer hilfreich für uns, wenn wir auf Deine Erfahrungen zurückgreifen können und Du uns mit Rat und Tat zur Seite stehst. Dennoch wünsche ich mir nichts mehr, dass Du es Dir schön machst - einfach mal ganz ohne Rücksicht nur für Dich sorgst.
Zurzeit wirst Du operiert im Krankenhaus und ich denke so sehr an Dich und hoffe, dass die Operation so verläuft, dass Du keine Schmerzen mehr haben musst! Dafür bete ich und wir hoffen, dass die Kerze, die wir gestern angezündet haben, hilft.
Möge der Hase, den Dir die Große am Donnerstag mitgebracht hat, Glück bringen und Dir zeigen, dass wir für Dich da sind und Du nicht allein bist.
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Ich hoffe, dass Du mir verzeihen kannst, dass ich so stur und nachtragend war. Es tut mir leid. Ich liebe Dich! Danke, dass Du trotz all meinen Gemeinheiten immer noch für mich und uns da bist und Deine Traurigkeit nie hast anmerken lassen vor den Kindern.
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