Michaela Preiner
„UNBESTÄNDIG IST DIE LIEBE“ (Foto: Barbara Palffy) „Ich fordere nur Respekt mir gegenüber!“ Dieser Satz, heute nicht einmal mehr in einer hitzigen, politischen Debatte zu vernehmen, konnte vor 300 Jahren noch das Todesurteil bedeuten. Arlequin, Landei und Habenichts, aber von einem Mädchen gleichen Standes geliebt, begehrt genau mit diesem Statement gegen seinen Fürsten auf. Just in jenem Moment, als dieser ihm unmissverständlich zu verstehen gibt, dass er als Regent sich Arlequins Verlobte auch ohne seine Zustimmung zur Frau nehmen könne. Diese spannende Konfrontation zweier höchst ungleicher Männer ist der Kulminationspunkt im Stück „Unbeständig ist die Liebe“ von Pierre Carlet de Marivaux. „UNBESTÄNDIG IST DIE LIEBE“ (Fotos: Barbara Palffy) Uraufgeführt wurde es 1723, rund ein halbes Jahrhundert vor dem Sturm auf die Bastille, „aber schon vom Licht der Aufklärung beschienen“, wie Regisseur Gerhard Werdeker dies bei der Premierenfeier im Theater Spielraum dem Publikum erklärte. Ergänzt durch den Aufruf, dass wir auch heute, wie vor beinahe 300 Jahren, gefordert sind, gegen die Mächtigen dieser Welt Stellung zu beziehen. „Heute können wir demonstrieren oder Petitionen unterschreiben“, so der Regisseur weiter. Zu Marivaux` Zeiten jedoch hätte ein derartiger Aufstand mit Leichtigkeit im Gefängnis enden können.Theater mit Stücken zu machen, deren Autoren schon vor hunderten Jahren das Zeitliche gesegnet haben, mit Ausnahme vielleicht von Shakespeare oder der Deutschen Klassiker, ist völlig zu Unrecht in Verruf geraten. Vor allem, wenn dies auf so kluge Weise und gekonnt geschieht, wie es derzeit im Theater Spielraum zu sehen ist. Dort trifft man auf ein Aufgebot von jungen Schauspielerinnen und Schauspielern, die allesamt nicht nur untadelig, sondern hervorragend spielen, eine atemberaubende Bühnenpräsenz aufweisen und in einem puristischen, aber höchst effektvollen Bühnenbild agieren dürfen. Stilisierte Pferdeköpfe über den Logen und eine von der Mitte hängende, ovale, zeitgeistige Schaukel reichen völlig aus, um die höfische Umgebung im Frankreich des 18. Jahrhunderts zu markieren.
Dort möchte der Regent ein Bauernmädchen ehelichen, das seine Liebe jedoch vorerst zumindest nicht erwidert. Marivaux zieht in seinem Stück alle nur erdenklichen Register von Verführung, Zurückweisung, Machtgehabe, Intrigen, Standhaftigkeit oder Wankelmut und belässt es dennoch nicht bei leichtem Liebesgeplänkel. Denn so einfältig sich Arlequin zu Beginn auch gibt, so großartig und philosophisch kontert er den Bestechungsversuchen von „Le prince“, um letztlich – doch klein beizugeben.
Es ist nicht nur herzerfrischend, sondern erstaunlich, wie professionell das junge Ensemble seine Rollen ausfüllt. Aufbrausend und zornig bis hin zu verzweifelt und von Gewissensbissen geplagt, spielt Sofie Pint Silvia. Jenes Bauernmädchen, das ihrem geliebten Arlequin zumindest eine Zeitlang treu zugetan ist. Solange, bis eine andere „große“ Liebe erscheint. Jan C. J. Liefhold, der Regent, der sich lange Zeit jedoch nicht als solcher zu erkennen gibt. Er wechselt vom Bestecher-Modus hin zum überschwänglich Liebenden, lässt aber auch eine gehörige Portion Eifersucht durchblitzen, als ihm bei der Liebesrochade eine seiner Hofdamen abhanden kommt. Diese, Flaminia – Magdalena Mair – schafft das Kunststück, dass sich Silvia letztlich doch dem Heiratsantrag ihres Fürsten mit Liebe ergibt.
Gänzlich unerwartet und jeglicher Ratio enthoben, verliebt sich die Hofdame in den tölpelhaften, aber lustigen Arlequin. Ob tatsächlich nur von ihren Gefühlen geleitet oder doch von jener Apanage, die ihr der Fürst versprochen hat, als Belohnung für die erfolgreiche Verkuppelung mit Silvia, darf frei interpretiert werden.
„UNBESTÄNDIG IST DIE LIEBE“ (Foto: Barbara Palffy) „UNBESTÄNDIG IST DIE LIEBE“ (Fotos: Barbara Palffy)Ihre Schwester Lisette wiederum, Julia Lorünser, giftet sich nach einem vergeblichen Verführungsversuch Arlequins durch die Hofgesellschaft und schießt dabei ihre hasserfüllten Blicke und Beleidigungen in Richtung Silvia, dass einem naiven Gemüt dabei schwindlig werden könnte. Mit Trivelin, Mario Klein, steht ihr ein Höfling zur Seite, dessen Liebe zu Flaminia nicht erwidert wird. Er ist ein Vertreter jener Gattung Mensch, die sich ganz der Herrschaft angedient hat, der die Etikette in höchstem Maße als wichtig erachtet und für welche die Unterdrückung der eigenen Gefühle gang und gäbe ist. Trivelin lässt sich am Ende des Spieles mit Lisette zu einem Paar zusammenspannen. Frei nach dem Motto: Wenn es unserem Herrscher gefällt, dann soll es eben so sein.
Es ist die genaue psychologische Betrachtungsweise, die Marivaux seinen Figuren eingeschrieben hat, die bis heute nichts an Aktualität verloren hat. In ihr stellen sich alltägliche Fragen wie jene nach Treue, aber auch nach Loyalität, nach dem Wunsch, nicht auf der Strecke zu bleiben oder auch danach, selbst ein großes Stück vom Wohlstandskuchen abzubekommen. Nicht zu vergessen jene, wie denn Intrigen am besten gesponnen werden. Dabei malt der Schriftsteller nicht eine einzige seiner Charaktere im Schwarz-Weiß-Duktus, was auch in der Regie spürbar bleibt.
Ein ausdrucksvolles Mienen- und Bewegungsrepertoire, zum Teil der Commedia dell`Arte entnommen, gekonnt rhythmisierte Auf- und Abgänge, sekundengenaues Timing – in welchem so manches Liebesknistern spürbar wird – all das fügt sich zu einem extrem kurzweiligen Ganzen, dem man nicht müde wird, zuzusehen. Wie Arlequin seine Füße als Liebespärchen sprechen lässt, oder auch die Schaukel den Wankelmut der Verliebten verkörpert, sind nur zwei kleine Beispiele von vielen, welche die Inszenierung so farbig machen. Auch der Mix zwischen höchst zeitgeistigen Kostümen – Lisette und Flaminia bestechen in roten und violetten Reitoutfits wie frisch von einem It-Girl-Modelabel. Silvia und Arlequin tragen Leinen in unterschiedlichen Braun-Abstufungen, während sich Le Prince mit seiner silbernen Glitzerbluse zu erkennen gibt. (Bühne und Kostüme Anna Pollack)
„UNBESTÄNDIG IST DIE LIEBE“ (Fotos: Barbara Palffy) „Unbeständig ist die Liebe“ wäre nicht eine Produktion des Theater Spielraum, würde sie nicht im allerletzten Arlequin-Auftritt mit einer Überraschung aufwarten. So viel sei verraten: Die Gelbwesten-Bewegung, die sich zurzeit nicht nur auf den Pariser Straßen, sondern in ganz Frankreich einen Fixplatz im politischen Diskurs erobert hat, hält auch auf der Bühne in der Kaiserstraße in Wien Einzug. Unser Resümee: Temporeich, witzig, tiefgründig, wunderbar gespielt und: An dieser Inszenierung ist nichts, aber auch schon gar nichts alt. Sie machen uns eine Freude, wenn Sie den Artikel mit Ihren Bekannten, Freundinnen und Freunden teilen.