An der Pforte zum Terror

Der Moslem an sich, er hält nichts von Menschenwürde, Gleichberechtigung oder Meinungsfreiheit. Briefgeheimnis, Asylrecht oder der Schutz der Familie sind ihm gleichfalls Fremdworte. Denn der Moslem an sich, so liest man es derzeit überall, wolle sich nicht zum Grundgesetz bekennen. Islam und Grundgesetz, so weiß es der öffentliche Konsens in seiner Eigenheit als Nonsens ganz genau, gehörten nicht wirklich zusammen. Denn der Islam sei ja an die schari'a gekettet - und die schari'a an Unmenschlichkeit.

Mal ruft die Kanzlerin dazu auf, dass sich Moslems zum Grundgesetz bekennen sollen, mal ein farbloser Parlamentarier - das geht so weit, dass Muslime in Deutschland nach ihrem Namen und ihrer Begrüßung nachlegen müssen, zum Grundgesetz zu stehen: Achja, übrigens: Ich bekenne mich zum Grundgesetz! Und dass, obwohl ich Türke bin! Natürlich laufen auch domestizierte Paradetürken auf, die sich mit dem Nachbeten xenophober Suren Liebkind machen wollen - Achtet die Gesetze!, rezitieren sie: als ob alle Türken und Moslems hierzulande keine Rücksicht auf die Gesetzgebung nehmen würden! Deutschlands größtes Revolverblatt bauschte das Länderspiel zu einer Art Integrationswilligkeitsanalyse aus, befragte Türken auf der Straße und tätschelte denen den Kopf, die bekundeten, auch bei einem deutschen Sieg glücklich und freudetrunken zu sein. Überhaupt brauche Deutschland mehr Özils, wenngleich man doch mal nachfragen muß, weshalb Özil beim Spiel gegen das Land seiner Väter nicht über die Torerfolge jubelte! Sie lernen es eben nie, die bei uns lebenden Moslems, sind selbst dann noch integrationsunwillig, wenn sie in einer der hiesigen Länderauswahlen integriert sind. Fehlt nur noch, dass ein Aufmacher fragt: Warum sauft ihr Türken auf unseren Siegesfeiern nicht mit?

Die Integrationsunlust des Moslems an sich ist zum Allgemeinplatz geworden. Eine Prämisse, die endgültig und unabänderlich ist, die von keinem mehr beredt bezweifelt wird. Nicht bezweifelt, während man bei einem der vielen türkischen Obst- und Gemüsehändler oder in türkischen Supermärkten einkauft. Sie mögen sich ja nicht dem Grundgesetz verbunden fühlen, aber herrliche Früchte bieten sie an! Wenn der Preis und die Qualität stimmen, dann kauft man auch gerne mal beim Verfassungsfeind ein. Man sieht drüber hinweg, wenn der Döner mundet; man reist sogar ins Land derer, die sich an Grund- und Menschenrechte nicht orientieren wollen. Das Bekenntnis zum Grundgesetz ist Verhandlungssache! Süße Früchte, knackiges Gemüse und saftiger Döner machen alle Vorurteile vergessen. Grundsätzlich meinte man nicht den Ali aus dem Imbiss oder die Ayşe aus dem Istanbul-Market hinter dem türkischen Gemeindezentrum - die sind ja schwer in Ordnung und zuverlässige Geschäftspartner; man meine ja eher so den Moslems an sich halt, Moslems wie man sie sich vorstellte, wenn man wider besseren Wissens sich welche imaginieren müsste.

Man meint ja nur das Feindbild Moslem! Nicht den Türken, den man kennt. Den kann man ja einigermaßen gut leiden, denn der ist nützlich, wertvoll, tut was dafür, dass er akzeptiert werden kann. Aber all diese vorbeihuschenden Ausländer mit muslimischen Einschlag, diese Kopftuchweiber und Schnurrbartpeter, diese Schmarotzer und Verfassungsfeinde: die meint man! Solche kennt man zwar kaum oder gar nicht, aber dass es sie gibt, das weiß man - darüber schreibt Springer doch schließlich annähernd täglich. Gegen solche führen wir ja auch Krieg, gegen die moslemische Gefahr haben wir Armeen ausgesandt - und wir sollen die im eigenen Land dulden? Zu fremdartig, zu andersartig seien diese Moslems an sich - fremdartig, andersartig: abartig schon fast.

Der Diskurs zum Moslem ohne Grundgesetzbekenntnis, wird mit einer unglaublichen Simplifizierung betrieben. Den Moslem gibt es nicht - selbst die Unterteilung in Sunniten und Schiiten offenbart nicht, wie vielfältig die muslimischen Erscheinungsformen sind. So sind beispielsweise die muslimischen Tuareg eher matriachal organisiert - obwohl Moslems, wie man sie sich in der Öffentlichkeit als Feindbild entwirft, Frauen ja nicht schätzen; in Nigeria leben Moslems hingegen oftmals in Vielehen - wie dort lebende Christen übrigens auch: das ist sozio-ökonomisch bedingt, wie im mittelalterlichen Europa, in der die Polygynie vermutlich stark verbreitet war. Es gibt weder den Moslem - noch wird die schari'a als Gesetzesgrundlage überall gleichermaßen praktiziert. In vielen muslimischen Staaten ist sie sogar abgeschafft, beispielsweise in der Türkei.
Zudem wird nicht gesehen, dass moderne Muslime, im Westen ebenso wie im dar al-Islam, nicht derart reaktionär sind, wie man dies hier im blinden Eifer erzählt. Die Mehrzahl islamischer Frauen leben hierzulande ein selbstbestimmtes Leben - dass sie sich dennoch in der Überzahl für Familie und Kinder entscheiden, oft zusätzlich noch arbeiten, ist kein Anzeichen islamischer Repression, sondern kulturell anerzogen und womöglich sogar von jungen Muslimen gewollt - Familie ist für Muslime immer noch ein zentrales Lebensziel; die Aufweichung dieses Ideals in der westlichen Welt hat bewirkt, dass man solcherlei Lebensziele als oktroyiert zu entlarven versucht - möge sich die Psychoanalyse damit beschäftigen, ob dahinter Neid oder Minderwertigkeitskomplex einer ganzen Gesellschaft verborgen liegt. Emmanuel Todd berichtete zudem in seinem Buch "Weltmacht USA: Ein Nachruf", dass die Fertilitätsrate, die in der Demographie als ein maßgeblicher Faktor für Bildung und Selbstbestimmtheit von Frau und Mann gilt, selbst im Iran beträchtlich zurückging - 1981 gebar eine iranische Frau 5,3 Kinder, 2001 waren es nur noch 2,6. Das war freilich noch vor Ahmadinedschad, der jedoch immerhin nicht an die Macht geputscht wurde, sondern Wahlen gewann. Die Revolution hatte sich stückchenweise humanisiert, bis er die Bühne betrat. Aber auch seine Präsenz wird an der höheren Alphabetisierungsrate nicht rütteln können. Demonstrationen zeugten, und zeugen noch heute, von einer gesunden demokratischen Grundauffassung muslimischer Massen; dass es Leute wie Schirin Ebadi gibt, unterstreicht den demokratischen Geist ebenfalls. Wobei dies natürlich ein Geist ist, der nicht demokratisch im westlichen Sinne sein kann, sondern ein islamisches Demokratieverständnis darstellt.

Jene Demokratie, die der Westen ins dar al-Islam tragen möchte, kennen die Muslime ja schon. Sie haben sie als koloniale Erfahrung kennengelernt. Der Iran beispielsweise orientierte sich unter Reza Schah Pahlavi - und später unter seinem Sohn - schon früh am Westen. Es wurde eine brutale Säkularisierung betrieben; traditionelle Kleidung wurde verboten, religiöse Feste unterbunden und der hadschdsch, die Pilgerfahrt nach Mekka, durfte nicht mehr bestritten werden. Widerstand wurde mir aller Härte bestraft; der Schah ließ in die Menge schießen. Es war ein Angleichen an den Westen mit der Brechstange; Demokratie, die Menschenrechte bringen sollte, wurde mit den Bajonett erzwungen, war damit auch keine Demokratie mehr. All das geschah unter reger Teilnahme westlicher Industriestaaten. So wie westliche Staaten von jeher eingriffen, auch antidemokratisch eingriffen, wenn es ihren Interessen diente. Moslems haben Demokratie, so wie wir sie im Westen kennen, meist als Unterdrückung und Disziplinierung erfahren. Es ist geschichtsvergessen vom Westen, nun den Moslems ein Demokratieverständnis westlicher Machart auferlegen zu wollen.

Diverse Regime innerhalb des Haus des Islam haben eine Angleichung an den Westen betrieben - speziell der Iran wurde hierbei schon angesprochen. Wesentliches Konzept der Verwestlichung war es stets, die Religion von der Politik zu scheiden, eine Säkularisierung zu erstürmen. Dabei handelt es sich allerdings um eklatante Unkenntnis des Islam. Während das Christentum immer eine Religion der Weltabgewandtheit war, wo Nähe zu Gott nur erlangt werden konnte, wenn man sich in eine vita contemplativa stürzt, galt für den Islam die Geschichte und damit die Politik als Schaubühne der Gotteserfahrung. Der Christ wandte sich von der Politik angewidert ab; der Islam der ersten Stunde verbreitete, dass im Diesseits Gottesnähe erbracht werden muß: durch eine soziale und egalitäre Strukturierung der Gesellschaft. Die Kalifen der ersten Stunde, jene der Umaijaden, hatten beharrlich mit dem Vorwurf zu leben, den Islam verraten und pervertiert zu haben, weil sie ein Leben voller Luxus lebten - die Gottesnähe sei dadurch aufgegeben worden. Weltabgewandtheit hier, geschichtliche Präsenz dort: beides sind Kinder der Historie; das Christentum wandte sich ab, weil es lange verschmäht wurde, der Islam stand fest im Hier und Jetzt, weil er sich schnell verbreitete. Es ist durchaus als eurozentristische Lesart zu werten, wenn man die Verbreitung des Islam nur auf das Schwert zurückführt. Durch Gewalt mehrt man nicht unermüdlich sein Terrain - man muß schon mehr zu bieten haben.
Politik und Religion machten das Wesen des Islam von Anbeginn aus - das Christentum hat die Politik erst später für sich entdeckt, weswegen es für seine Kritiker nur eine Rückkehr zum ursprünglichen Zustand darstellte, wenn sie Säkularisierung oder Laizismus predigten. Ein unpolitischer Islam wäre keine Rückkehr: er wäre eine Neuheit! Man kann diese Verbundenheit von Politik und Religion sicherlich für problematisch erachten; westliche Betrachter sehen das im Regelfall ohnehin skeptisch: dennoch sollte die westliche Welt, wenn sie schnell über den Islam und die Muslime urteilt, über diese Zweisamkeit informiert sein. Sollte verstehen, warum Muslime verdutzt wirken, wenn man von ihnen verlangt, Religion sei die Sache des stillen Kämmerlein.

Doch es ist mitnichten so, dass die Moslems nichts von liberalen Grundrechten hielten - sie tun es; im fiqh, im islamischen Recht also, werden Prinzipien wie schura (Konsultation) und idschma' (Konsens durch einen repräsentativen Teil der umma) gefördert. Der Islam ist somit nicht nur als autoritärer Überbau zu verstehen - er kennt demokratische Säulen. Schon der Urislam war eine "demokratische" Bewegung, die auf sozialen Ausgleich und Besserstellung der Frau abzielte - natürlich erlebte der Islam, bzw. bestimmte islamische Auslegungen, wie jede Religion, einen Wandel im Laufe der Zeit. Die Frauenfeindlichkeit mancher muslimischer Gruppen scheint dem byzantinischen Christentum entnommen worden zu sein - die katholische Kirche, einst auch frauenfreundlicher, hat sich bei derselben Quelle bedient. Darüber weiß die westliche Welt in ihrer anhaltenden, fast schon angeborenen Islamophobie wenig zu berichten - vor den innerislamischen Prozessen verschließt sie obendrein die Augen. Denn jene Prozesse sind viel mannigfaltiger, lassen sich nicht auf die Taliban beschränken, die es als Beißreflex auf die westliche Einflussnahme natürlich auch noch gibt. Aber sie sind auf das gesamte Haus des Islam gemünzt, nur eine Randerscheinung - eine fanatische Splitterpartei wie jene christlichen Evangelikale oder jüdische Ultraorthodoxe, wahrscheinlich eine noch viel kleinere Gruppe als diese beiden der dhimmis. Alle zusammen ergeben sie eine Ökomene der von der Moderne Enttäuschten. Und die arabischen Wahhabiten sind gleichfalls nicht das Aushängeschild der umma. Und jene Moslems in Deutschland, in der Mehrzahl Türken, sind von den Taliban oder den Wahhabiten in etwa so weit entfernt, wie Anhänger der katholischen Soziallehre von kriegslüsternen Evangelikalen.

Die Moslems dieses Landes leben mehrheitlich ein friedliches Leben. Was wir hier aktuell erleben: es ist die Verhetzung einer Volksgruppe. Nichts von dem, was berichtet wird, entspricht einer objektiven Wahrheit, Extremfälle werden pars pro toto umgerechnet, wohltuende Alltagserfahrungen beim Türken um die Ecke zu Ausnahmefällen degradiert. Der ehemalige Leiter des Zentrums für Türkeistudien, Faruk Şen, erklärte einmal, dass die Türken "die neuen Juden Europas" seien. Die Schelte war riesig; sein Rücktritt Konsequenz - was freilich nicht traurig stimmt, sofern man seine Äußerungen zum Völkermord an den Armeniern kennt. Sieht man von dem ab, was später am Wannsee endgültig besiegelt wurde, so könnte man wirklich behaupten, dass diese deutsche Gesellschaft momentan in eine Phase eintritt, die man als Vorphase des Kesseltreibens oder als Pforte zum Terror bezeichnen könnte. Diese Gesellschaft wird aufpassen müssen, wohin sie sich entwickelt - der Moslemhass, er formt sich langsam aber sicher dahingehend, eine Bevölkerungsgruppe weiter zu marginalisieren, sie zum Prügelobjekte frustrierten Deutschtums zu machen. Ob noch mehr folgt, ob aus Hetze dann das folgt, was den Juden widerfuhr, konnte selbst der renommierte Historiker Wolfgang Benz in der "Kulturzeit" nicht entkräften. Kommt diese Gesellschaft nicht zur Besinnung, kann es bitter enden, so sei Resumee.

Man schaut verdattert zurück, begreift nach mehr als siebzig Jahren immer noch nicht, weshalb es damals hat dazu kommen können - obwohl man historisch natürlich wissen könnte - und auch weiß! -, wie es damals dazu kam. Pogromstimmung entsteht nicht durch Führererlass - sie entsteht durch kleine Nadelstiche, durch Tropfen, die man über Jahre und Jahrzehnte in ein Fass träufelt, bis dieses dann übergelaufen gemacht wird. Man schaut verdattert zurück und sieht nicht, was um uns geschieht...


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