AMOR HAT ES MANCHMAL SCHWER

An ihrem ersten Ferientag in Nizza begegnet Leonie im Hotel dem gutaussehenden Andreas Franke. Andreas sucht verzweifelt seine Traumfrau, der er vor einigen Tagen in der Altstadt begegnet ist …

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“Ferien!”, war Leonie Seidels erster Gedanke, als sie die Augen aufschlug. Sie sprang aus dem Bett und lief zum Fenster, um die blau gestrichenen Läden aufzustossen. Von ihrem Hotelzimmer aus hatte sie eine wundervolle Aussicht auf die Baie des Anges, die im sanften Halbrund vor ihr ausgebreitet lag. Tiefblau erstreckte sich das Mittelmeer bis zum Horizont, ging dort im leichten Hitzedunst in einen ebenso blauen Himmel über. Ein paar Boote mit weissen Segeln zogen glitzernde Spuren hinter sich her. Das Schauspiel war überwältigend.

Nach der ausgiebigen Dusche gestern Abend begnügte sie sich mit einer Katzenwäsche, schlüpfte in ein leichtes Sommerkleid und band vor dem Spiegel ihr widerspenstiges rotes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen. Kritisch musterte sie ihre Sommersprossen und den etwas zu gross geratenen Mund. Ihre grünen Augen, entschied sie, waren noch das Beste an ihr. Sie streckte sich die Zunge heraus und beschloss, frühstücken zu gehen.

Schwungvoll öffnete sie die Tür zum Flur.

“Bonjour”, grüsste ein etwa 30-jähriger Mann höflich im Vorübergehen.

“Bonjour”, erwiderte sie fröhlich.

Vor dem Frühstücksbüfett traf sie ihn wieder. Sie waren gleichzeitig fertig und strebten mit ihrem Tablett dem selben Tisch zu. Als sie es merkten, blieben sie stehen und lächelten sich verlegen an.

“Pardon”, murmelte er und schwenkte ab, wobei er fast mit einem älteren Ehepaar zusammenstiess. Nachdem er sich auch bei ihnen entschuldigt hatte, sah er so erschrocken und hilflos aus, dass Leonie, die schon Platz genommen hatte, lachen musste: “Setzen Sie sich lieber schnell hierher, ehe noch ein Unglück passiert!”

“Vielen Dank, tu’ ich gern”, meinte er erleichtert. Er war hochgewachsen und schlaksig, mit seinem dunkelblonden Haar und den blauen Augen war er ein Mann, der sich sehen lassen konnte, fand Leonie.

“Ich heisse Andreas Franke”, stellte er sich vor.

“Und ich Leonie Seidel.”

“Wir sind also Landsleute”, lächelte er. “Ich komme aus Berlin.”

“Tatsächlich? Ich auch. Ich mache Ferien hier.” Sie trank einen Schluck Café au lait und biss mit Genuss in ihr knuspriges Croissant.

“Und Sie, was machen Sie hier?” Leonie war schon immer mitteilsam und neugierig gewesen.

“Ich suche eine Frau.” Warum erzählte er ihr das? Ihr Blick ermunterte ihn jedoch zum Fortfahren: “Eigentlich war ich geschäftlich hier. Ich habe mich im Import-Export selbstständig gemacht. Und es passierte vor drei Tagen. Als ich nach einem Geschäftsessen zu Fuss ins Hotel zurück ging, weil ich mir noch etwas Bewegung verschaffen wollte, kam ich an einen kleinen Platz, auf dem getanzt wurde. Und dort sah ich sie. Meine absolute Traumfrau. Gross und schlank und schwarzhaarig, mit einem ovalen Gesicht, grossen dunklen Augen und geschwungenen Augenbrauen. Ich hatte das Gefühl, mein ganzes Leben auf sie gewartet zu haben. Wir haben miteinander getanzt, aber als ich sie nach ihrem Namen und ihrer Adresse fragen wollte, war sie verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt! Seitdem suche ich sie. Zum Glück kann ich es mir erlauben, noch ein bisschen hierzubleiben.”

“Wie romantisch”, seufzte Leonie, meldete aber Bedenken an: “Sind Sie sicher, dass es Liebe ist? Sie kennen sie doch kaum.”

“Das Kennenlernen werden wir nachholen. Sobald ich sie wiedergefunden habe”, meinte er voll Zuversicht. Dann beugte er sich zu ihr vor: “Haben Sie das mal erlebt, Liebe auf den ersten Blick?”

“Leider”, meinte Leonie trocken.

“Wieso leider?” er zog die Augenbrauen hoch.

Sie dachte an den blendend aussehenden Oliver, mit dem sie zwei Jahre lang zusammengelebt hatte. Natürlich hatte es berauschende Höhepunkte gegeben, aber noch viel öfter hatte sich ihr Herz auf Talfahrt befunden, denn Oliver konnte nicht treu sein. Vor einem Jahr hatte sie endlich die Kraft gefunden, ihm seine Koffer vor die Tür zu stellen. Aus reinem Selbsterhaltungstrieb. Überrascht stellte sie fest, dass sie schon eine ganze Weile nicht mehr an ihn gedacht hatte. Aber vielleicht würde bei diesem Mann und seiner schönen Unbekannten alles anders sein? Also sagte sie herzlich: “Ich wünsche Ihnen auf alle Fälle viel Glück.”

“Danke, es ist lieb, dass Sie das sagen.”

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Leonie flanierte durch die malerische Altstadt mit ihren engen Gassen, ihren Treppen und schattigen kleinen Plätzen. Auf welchem dieser Plätze war dieser Andreas wohl seiner Traumfrau begegnet? Zwischen den Fenstern trocknete Wäsche, auf den Gehsteigen vor den Läden waren Obst, Gemüse und Blumen in bunter Überfülle ausgestellt. Es duftete nach Gewürzen, nach Ratatouille und Olivenöl. Sie stand gerade vor der Kathedrale Sainte-Réparade mit seiner grün und gelb verputzten Fassade, als sie die nun schon vertraute Stimme hörte: “Haben Sie die Kirche schon von innen besichtigt?”

Sie wandte sich um und lächelte Andreas zu: “Ich wollte es gerade tun.”

“Darf ich mitkommen?” Hoffnungsvoll setzte er hinzu: “Vielleicht ist sie ja just in der Kirche?”

Sie bewunderten die reiche Stuckdekoration in Gold und Blau, den schönen Puttenfries, der sich um den Chor zog. Als sie wieder draussen standen, seufzte er: “Wieder ein Fehlschlag. Haben Sie nicht auch Hunger? Irgendwie macht Suchen hungrig.”

“Eher das Herumlaufen”, meinte sie, “denn ich bin auch hungrig.” Ihr Magen bestätigte es knurrend.

Er musste lachen: “Gut gesprochen. Kommen Sie, ich lade Sie ein.” Er stellte fest, dass er diese Leonie mochte, wie man eine kleine Schwester mochte. Sie war so fröhlich und resolut, und mit ihrem flammend roten Haar immer schon von weitem zu erkennen.

Sie fanden ein nettes kleines Restaurant, liessen sich das leckere Tagesmenü schmecken und tranken eine Karaffe Roséwein dazu. Um Andreas von seiner Enttäuschung abzulenken, erzählte Leonie ihm, dass sie sich ebenfalls selbstständig gemacht hatte: “Vor fast zwei Jahren, mit einem Büro-Service. Ich erledige sämtliche Schreib- und Büroarbeiten. Vorher war ich Sekretärin, aber ich habe meinen Arbeitsplatz verloren, als mein Chef pensioniert wurde. Das wird mir nun nicht mehr passieren.” Zufrieden schloss sie: “Der Laden läuft inzwischen so gut, dass ich mir zwei Wochen Urlaub gönnen kann. Ich verbringe, wenn es irgend möglich ist, jedes Jahr zwei Wochen in Frankreich, um Französisch zu sprechen.”

“Danke für die Einladung”, sagte sie, als sie wieder auf der Strasse standen.

“Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite”, versicherte er galant.

“Das nächste Mal lade ich Sie ein, wenn wir uns wieder über den Weg laufen sollten”, lachte sie, “aber ich wünsche Ihnen natürlich, dass Sie statt dessen endlich Ihrer Traumfrau wiederbegegnen.”

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Leonie lag am Strand. Sie hatte ein Buch mitgebracht, konnte sich aber nicht auf die Lektüre konzentrieren. Sie dachte an Andreas und seine schöne Unbekannte. Seit fünf Tagen erlebte sie nun schon seine Suche mit. Jeden Abend steuerte er direkt auf ihren Tisch zu, wenn sie vor ihm im hoteleigenen Restaurant eintraf, oder stand auf und lud sie an seinen Tisch ein, wenn er der Erste war. Sie frühstückten auch zusammen, und oft begegneten sie sich sogar tagsüber in der Stadt. Jedesmal sah sie die kurze Enttäuschung in Andreas’ Augen, die allmählich verdammt weh tat. Seufzend wandte sie sich wieder ihrem Buch zu, als zwei grosse, mit Espadrillos bekleidete Füsse vor ihr stehen blieben.

“Ich hab den ganzen Strand abgeklappert, und auf wen treffe ich? Natürlich wieder auf Sie! Darf ich mich neben Sie setzen?”

“Nur zu.” Es war klar wie Klossbrühe, dass er ihr nur wieder sein Herz ausschütten wollte. Sei’s drum, seufzte sie innerlich.

Richtig schlang er die Arme um seine Knie und liess seinen Blick in die Ferne schweifen: “Heute Morgen war ich sicher, dass sie es war. Sie kam aus einem Geschäft. Aber als ich sie eingeholt hatte und sie sich umdrehte, war es doch nicht sie. Können Sie sich meine Enttäuschung vorstellen?”

Energisch klappte Leonie ihr Buch zu und stand auf: “Ich geh’ jetzt ein bisschen schwimmen.”

“Gut”, meinte er enttäuscht, “ich passe auf Ihre Sachen auf.”

Andreas sah sich das Buch an, das sie gerade las. Es war ein französischer Roman. Er hatte schon öfter Gelegenheit gehabt, Leonies perfektes Französisch zu bewundern. Sie hatte ihm erzählt, dass sie nach dem Abitur ein Jahr als au-pair Mädchen in Paris gewesen war. Ein schwacher Duft nach ihrem Sonnenöl stieg von ihrem Handtuch auf, und plötzlich sah er sie ganz deutlich vor sich mit ihrem kupferroten Pferdeschwanz, den lustigen Sommersprossen, die sich in den letzten Tagen rasant vermehrt hatten, und den grünen Augen, in denen goldene Lichter tanzten, wenn sie lachte. In letzter Zeit lachte sie nicht mehr so oft, dachte er auf einmal. Etwas schien sie zu bedrücken. Er würde sie nachher danach fragen. Sie hatte gut ausgesehen in ihrem schwarzen Badeanzug, als sie entschlossen auf ihren langen, wohlgeformten Beinen über den Strand zum Meer ging, sinnierte er weiter. Und fragte sich dann, warum er plötzlich an Leonie dachte, wenn sein Herz doch der schönen Unbekannten gehörte? Er schloss die Augen, um das Bild seiner Traumfrau heraufzubeschwören.

Er musste eingeschlafen sein, denn plötzlich fuhr er hoch. Ein harter Schlag hatte ihn an der Schulter getroffen. Es war der Sonnenschirm, der umgefallen war und nun über den Strand rollte. Er holte ihn eilends zurück und merkte, dass ein scharfer Wind aufgekommen war und der Himmel sich schwarz bezogen hatte. Wieviel Zeit war vergangen, seit Leonie schwimmen gegangen war? Warum war sie noch nicht zurück? War sie wenigstens eine gute Schwimmerin? Angestrengt spähte er auf’s Meer hinaus. Es war niemand mehr im Wasser, niemand, ausser Leonie! Ihr roter Haarschopf leuchtete weit draussen zwischen bedrohlichen Wellen auf.

Andreas überlegte nicht lange. Schon war er im Wasser und schwamm mit kräftigen Zügen hinaus. Nur noch ein Gedanke beherrschte ihn: Er musste Leonie heil zurückbringen.

Endlich tauchte ihr erschöpftes Gesicht zwischen zwei Wellen auf. Das Land war kaum noch zu sehen, stellte er beunruhigt fest. Er keuchte: “Leonie, bist du verrückt, bei diesem Wetter so weit hinauszuschwimmen?” Vor Schreck duzte er sie.

Sie spuckte Wasser aus und schrie zurück: “Vorhin schien noch die Sonne. Und überhaupt, sind Sie nicht enttäuscht, auch hier nur auf mich zu treffen?”

Er musste lachen und schluckte promt selbst Wasser: “In diesem Fall bin ich froh”, rief er ihr zu und befahl: “Wir kehren sofort um!”

Bin doch schon dabei, du Trottel, siehst du das nicht? dachte sie unfreundlich, aber in Wahrheit hatte sie das Gefühl, überhaupt nicht voranzukommen. Das rettende Ufer lag als dünner Strich in gleichbleibender Ferne. In erschreckender Ferne! Bevor Andreas auftauchte, war sie nicht sicher gewesen, es überhaupt noch zu erreichen. Natürlich war es leichtsinnig gewesen, so weit hinauszuschwimmen, zumal sie gesehen hatte, wie der Himmel sich dunkel bezog. Und das alles, weil sie es nicht mehr ausgehalten hatte, wie Andreas diese Unbebekannte suchte und sie, Leonie, gar nicht wahrzunehmen schien, jedenfalls nicht so, wie sie es sich wünschte. Denn sie hatte sich in ihn verliebt. Und wie! Natürlich war das Pech. Sie schien sich immer in die falschen Männer zu verlieben. Aber jetzt war Andreas bei ihr, und sie fühlte, wie sie ruhiger wurde und Mut und Zuversicht zurückkehrten. Sie fand sogar die Kraft zu fragen: “Wen hätte es denn gekümmert, wenn ich nicht zurückgekommen wäre?”

“Wen das gekümmert hätte? Mich schon mal”, schnauzte er. “Wäre ich sonst hier? Und jetzt verschwende deinen Atem nicht nicht mit blöden Fragen, sondern schwimm!”

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“Leonie, Leonie!” Von ganz weit drang die Stimme an ihr Ohr. Jemand gab ihr kräftige kleine Klapse auf die Wangen: “Leonie, bitte sag was!”

“Autsch, nicht so fest!” Sie schlug die Augen auf. Andreas kniete vor ihr. Ein kleiner Kreis hatte sich um sie gebildet.

“Sie ist zu sich gekommen”, sagte jemand auf Französisch. “Na, nochmal Glück gehabt!”

“Du bist ohnmächtig geworden, als alles überstanden war”, erläuterte Andreas.

Die Umstehenden verliefen sich rasch, und Andreas holte tief Luft, um ihr eine Standpauke zu halten. Streng schloss er: “Mach so etwas nie wieder, hörst du?”

“Ich verspreche es dir”, erwiderte sie folgsam. Und fügte aufmüpfig hinzu: “Aber andere machen auch verrückte Dinge.”

“Was willst du damit sagen?”

“Ach, vergiss es”, seufzte sie und wrang ihr nasses Haar aus, das schon wieder anfing, sich zu kringeln. Die Sonne schien erneut, und der Wind hatte sich so plötzlich gelegt, wie er aufgekommen war. Andreas rubbelte erst sie und dann sich selbst trocken und sagte: “Komm, wir packen die Sachen zusammen und gehen einen Café und einen Kognak trinken. Das können wir jetzt auf unseren Schreck brauchen.”

Sie kamen an ein Strassencafé und suchten nach einem freien Tisch, als Andreas wie angewurzelt stehen blieb. Leonie prallte auf ihn.

“Was ist?” fragte sie. Und dann sah sie ebenfalls die äusserst attraktive Frau, die Andreas ihr so oft beschrieben hatte, so dass auch sie sie überall wiedererkannt hätte. Sie sass allein an einem Tisch.

“Das ist sie!” Andreas war ganz aufgeregt. “Wartest du bitte einen Augenblick auf mich, Leonie?”

Leonie wünschte, sie wäre doch ertrunken, blieb aber ergeben stehen, während Andreas auf seine Traumfrau zueilte. Sie schloss sogar einen Augenblick die Augen, weil es heiss dahinter brannte.

Sie öffnete sie wieder, als Andreas leicht ihren Arm berührte.

“War sie es doch nicht?” fragte sie hoffnungsvoll.

“Doch”, antwortete er nachdenklich, “aber plötzlich merkte ich, dass ich nichts mehr für sie empfand. Es hatte sich irgendwie erledigt. Und dann ging mir Hornochsen ein grosses Licht auf: Leonie, ich bin verliebt!”

“In wen denn jetzt?” fragte sie atemlos.

“In dich, natürlich. Wie hab ich denn nur so blöd sein können? Die andere Frau kenne ich doch überhaupt nicht.”

Hab ich doch gleich gesagt, dachte Leonie zufrieden. Sie gingen zum nächsten Café, Andreas schob ihr den Stuhl zurecht und setzte sich dann neben sie an den kleinen runden Tisch: “Glaubst du, dass du meine Gefühle erwidern kannst, Leonie?” Es klang, als hätte er Herzklopfen.

“Bist du sicher, nie wieder von einer anderen Frau zu träumen? Das würde ich nämlich nicht ertragen.”

Er neigte sich zu ihr und küsste sie. Es war ein zarter, andächtiger und schliesslich sehr leidenschaftlicher Kuss. Endlich lösten sie sich voneinander, und er sagte leise: “Ja, ich bin ganz sicher, Liebste.”

“Und ich dachte schon, du würdest nie merken, dass ich die Frau deines Lebens bin”, seufzte sie glücklich.

ENDE


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