Amin Maalouf – Mörderische Identitäten

Amin Maalouf – Mörderische Identitäten 

Es sind vor allem die Erfahrung seines eigen Lebens, die den Autor darüber zum Nachdenken bewegten, was dazu führen konnte, dass sich der Islam heute in einer Weise darstellt, die nicht nur, aber vor allem den Westen ängstigt. Dieses Nachdenken in Form des Essays „Mörderische Identitäten“ nach-zu-lesen ist genussvoll und lehrreich; wenn auch nicht immer unwidersprochen.

Amin Maalouf, geht von der unbedingt richtigen Prämisse aus, dass die Identität eines Mensch sich aus verschiedenen Zugehörigkeiten zusammensetzt, dieser sich zum Beispiel als Angehöriger einer Nationalität, einer Glaubensgemeinschaft, einer Fangruppe oder Ähnlichem selbst begreift; doch immer in seiner Gänze zu betrachten ist. Und sich auch nach Außen als Gesamtheit seiner Zugehörigkeiten, also: seiner Identität, darstellt. Dieser Gedanke ist mir sehr vertraut; habe ich doch auch große Probleme, wenn ich jemanden über sich sagen höre: „Ich als… meine dies oder das.“, denn das impliziert, dass der gleiche Mensch in einer anderen Zugehörigkeit sich selbst widersprechen könnte.
Interessant an Maaloufs Idee der Identitäten ist jedoch die Schlussfolgerung, die er daraus zieht.

Ich habe bislang stets die Tatsache betont, dass sich die Identität aus vielfältigen Zugehörigkeiten zusammensetzt [...] Oft neigt man übrigens dazu, sich gerade in seiner am stärksten angegriffenen Zugehörigkeit wiederzuerkennen [...] Die betreffende Zugehörigkeit – Hautfarbe, Religion, Sprache, Klasse etc. – beherrscht dann die gesamte Identität. Diejenigen, die sie miteinander teilen, finden sich zusammen, werden aktiv, stärken sich gegenseitig den Rücken und geben “der anderen Seite” die Schuld. (Seite 27)

Hier trifft sich Maaloufs Einschätzung mit der derer, die davon ausgehen, dass sich in einer immer fremder werdenden Welt Gruppen (Zugehörigkeiten) finden, die dem Einzelnen Halt zu geben versprechen. Und das erklärt auch, dass sich fundamentalistische Strömungen innerhalb der Religionen solch eines erstaunlichen Zulaufs erfreuen können. (Vgl. auch Seite 85: „Es besteht kein Zweifel, daß als Reaktion auf die fortschreitende Globalisierung ein verstärktes Bedürfnis nach Identität entsteht…“) Der letzte Satz des Zitats lässt mich auch an Navid Kermani denken, der schrieb, dass die in Europa lebenden Muslime den Eindruck haben (und haben müssen), „niemals dazugehören zu können – niemals gemeint zu sein, wenn ein Staatsführer oder Fernsehkommentator “wir” sagt.(Navid Kermani – Wer ist wir? – Deutschland und seine Muslime, C.H. Beck, München, 2009, Seite 87)
Wenn der einzige Zusammenhalt einer Community darin besteht, sich durch eine gemeinsame Religion von der restlichen (Mehrheits)Gesellschaft zu unterscheiden, kann gerade diese vormals nicht unbedingt wichtige Zugehörigkeit zur bestimmenden werden. Und damit zur bestimmenden Identität.

Damit korrespondiert, dass Einwanderer aus sog. islamischen Ländern in dem Moment, in dem sie es mit einer deutschen Behörde (zum Beispiel) zu tun bekommen, zu Muslimen werden. Völlig unabhängig, ob der Islam im kulturellen Leben des Individuums eine Rolle gespielt hat oder nicht. (Vgl. dazu auch Nazanin Borumand bei ihrer Rede in Berlin am 25.02.2010)
Diese – staatlich verordnete – Abgrenzung und auch die Solidarität der Muslime untereinander, bei der sich die in Europa lebenden mit den bekriegten und unterdrückten Glaubensbrüdern in Nahost und Asien solidarisieren, ergeben verheerende gedankliche Konsequenzen. Gepaart mit einer Ideologie und Lehre aus dem Mittelalter ergibt das eine explosive Mischung, wie 9/11 und die fast täglichen Selbstmordattentate im Irak aber auch in der Londoner U-Bahn oder in Spanien zeigen.

Zwar schreibt Maalouf:

Ich denke nicht, daß irgendeine ethnische, religiöse, nationale oder sonstige Zugehörigkeit zu Mordtaten prädestiniert.

fährt dann aber fort:

Man braucht nur die Ereignisse der letzten Jahre Revue passieren zu lassen, um festzustellen, daß jede menschliche Gemeinschaft, die sich nur irgendwie gedemütigt oder in ihrer Existenz bedroht fühlt, die Tendenz zeigt, Individuen hervorzubringen, die die schlimmsten Greuel verüben, in der Überzeugung, im Recht zu sein und das Himmelsreich und die Bewunderung der Ihren zu verdienen.(Seite 30)

Nun kann man sicherlich Abstriche machen an allen Aussagen, die der Autor macht, um die Religionen zu verteidigen. Interessant ist dabei jedoch seine eigene Biographie: Geboren im Libanon in einer christlichen Familie hat er auch einen toleranten Islam erlebt. Allerdings kommt er nicht – wie es mir schon geschah – in den Ruch des Kulturrelativismus.

Immer dann, wenn in der islamischen Gesellschaft Zuversicht herrschte, vermochte sie sich aufgeschlossen zu zeigen. Das Bild des Islam, wie es sich in solchen Zeiten darstellt, hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit seinen heutigen Karikaturen. Ich will nicht behaupten, daß sein einstiges Bild den ursprünglichen Geist des Islam besser widerspiegelt, nur soviel, daß diese Religion, wie alle anderen Lehren auch, in jeder Epoche von zeitlichen und geographischen Faktoren geprägt ist. (Seite 60)

Amin Maalouf versucht in diesem Buch auch, eine Lanze für einen aufgeklärten, modernen Islam zu brechen. Und letztlich verständlich zu machen – das vor allem an seine westeuropäischen Leser gerichtet – dass auch das Christentum sich in den letzten Jahrhunderten nicht unbedingt als die tolerante und aufgeklärte Religion gezeigt hat, für die sich hält oder zumindest darzustellen bemüht. (Wie wenig aufgeklärt und wie überaus intolerant diese Religion tatsächlich in der Moderne war und ist, zeigt ein Blick in die tägliche Presse…)

Ich weiß, dass es Einige gibt, die der Meinung sind, dass die Kolonialgeschichte nichts mit dem Entstehen des fundamentalistischen Islam gemein hat; dass hier keine kausalen Zusammenhänge bestehen. Antimuslimismus – ein Begriff, den Armin Pfahl-Traughber prägte – stellt sich in diesen Fragen taub. Das „eigene“, das westliche Versagen, die gnadenlose Ausbeutung von Menschen und natürlichen Ressourcen im ölreichen und zufällig islamischen Nahen Osten (seit mehr als einem Jahrhundert) stehen nicht zur Debatte. Doch

die Muslime der dritten Welt [feinden] den Westen nicht … deshalb so heftig an, weil sie Muslime sind und der Westen christlich, sondern auch, weil sie arm, unterdrückt und gedemütigt sind, der Westen dagegen reich und mächtig ist. (Seite 61)

Amin Maalouf streift in seinem Essay auch die Vereinbarkeit von Religionen mit der Demokratie. Und stellt dabei fest, dass das Christentum sich von einer intoleranten und totalitären Religion zu einer offenen wandelte, während der Islam eine umgekehrte Entwicklung nahm und nimmt. (Vgl. Seite 55) Er plädiert dafür, Menschen als Identitäten aus verschiedenen Zugehörigkeiten zu begreifen und auch selbst als Identität (Gesamtheit) zu handeln. Denn Demokratie bedeute auch die Verpflichtung zu Toleranz, Integration, Pluralismus und Verständnis. Und damit eben auch den Schutz von Minderheiten. Wenn eine Mehrheit beschließt, eine Minderheit zu unterdrücken, ist die Demokratie gezwungen, nötigenfalls auch gegen die Mehrheit zu entscheiden und zu handeln. (Der Essay ist 1998 erstmalig in Französisch erschienen, da gab es die schweizerische Minarett-Abstimmung noch nicht!)

Unantastbar an der Demokratie sind ihre Werte, nicht ihre Mechanismen. (Seite 135)

Oder, wie Hannah Arendt es ausdrückt: „das Unglück des Rechtlosen liegt nicht darin, daß er des Rechtes auf Leben, auf Freiheit, auf Streben nach Glück, der Gleichheit vor dem Gesetz oder gar der Meinungsfreiheit beraubt ist [...] die Rechtlosigkeit … entspringt einzig der Tatsache, daß der von ihr Befallene zu keiner irgendwie gearteten Gemeinschaft gehört.(Hannah Arendt – Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, C.H. Beck, Seite 611)

Amin Maalouf hat hier ein kluges, nachdenkliches und sehr menschenfreundliches Buch geschrieben (für das er 1999 den Charles-Veillon-Preis erhielt). Es ist wegen der besonderen Biographie des Autors keineswegs ein säkulares Buch; als religionskritisch kann man es aber guten Gewissens bezeichnen. Da es zudem in einer hervorragenden Sprache geschrieben ist und es einfach nur Spaß macht, es zu lesen, möchte ich es gern empfehlen. Und obwohl es nur knapp 150 Seiten stark ist, ist es voller neuer Sichtweisen. Ich habe hier kaum etwas von der Fülle darstellen können.

Nic

[Erstveröffentlichung: 20. März 2010]


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