Beim Lesen von American War stellt sich bei mir das Gefühl ein, alles sei ganz ohne Farbe. Als würde ich einen alten Schwarz-Weiß-Film mit braunen Tönungen schauen. Da ist immer wieder das morastige Wasser des nahen Flusses, da ist die Hütte der Familie Chestnut (selbst die tropfende Wäsche auf der Leine besteht aus unauffälligen Kleidungsstücken in weiß und beige), da sind die trostlosen Weiten Amerikas. Kein Grün. Kein Leuchten. Keine Hoffnung. Es ist das Jahr 2074 und zwischen den Nord- und den Südstaaten Amerikas herrscht Krieg. In all dieser Tristesse leuchtet eine kleine Heldin. Mutig, entschlossen und wild. Sara T. Chestnut. Allein wegen ihr lohnt sich diese Story.
Als kleines Mädchen trägt das dunkeläutige Mädchen Sarat Chestnut gern die grobe Jeans-Latzhose ihres großen Bruders Simon. Ganz im Gegenteil zu ihrer zarten Zwillingschwester Dana wirkt Sarat oft jungenhaft. Sie interessiert sich brennend für Lebewesen aller Art. Egal, ob Schildkröten, Moskitos oder Fische – sie muss die Myriaden Geheimnisse dieser Wesen herausfinden. So langweilig und abstoßend Dana diese Dinge findet, so spannend sind sie für die Schwester. Für Sarat waren sie die Adern, in denen die Geheimnisse und der Zauber des Lebens flossen (S. 37).
Ihr Mut und ihre Neugier machen Sarat zu einem außergewöhnlichen Mädchen, das auch im späteren Leben als Frau vor nichts zurückschreckt. Selbst schlimmste Folter im Frauengefängnis Sugarloaf auf einer der letzten noch nicht untergegangenen Inseln Floridas übersteht sie schweigend. Fast! Denn beim Waterboarding kapituliert auch der härteste Häftling. Beim Lesen dieser Passagen werden Erinnerungen an Medienberichte über die unmenschlichen Foltermethoden auf der Gefangenen-Insel Guantánamo wach.
Sarat steht im Kampf gegen die Nordstaaten ganz klar für die Sache der Südstaatler. Das hat sehr persönliche Gründe. Denn gerecht ist diese Position nicht unbedingt, sind es doch die Südstaaten, die weiterhin ihre Benzinautos wollen und gegen jede klimafreundliche Neuerung sind. Und die dabei untergehen. Denn das Meer rückt unerbittlich voran.
American War ist eine Dystopie – düster und grausam in den Bildern, voll kritischer Anspielungen und Visionen. Der kanadische Autor El Akkad zeigt eine Zukunft, die beängstigend realistisch scheint. Und in der ich keinen einzigen Tag leben möchte. Dennoch strahlen viele seiner Figuren kraftvoll und schön – allen voran Sarat. Und dann ist da noch der alte Benjamin, der sich im Prolog des Romans an die Tage des Schnees und an seine Zeit im Waisenhaus erinnert:
Als ich jung war, sammelte ich Postkarten. Ich hatte sie in einer Schuhschachtel unter dem Waisenhausbett … Ich fand immer, für jemanden, der fast sein ganzes Leben damit zubrachte, die Geschichte des Krieges zu erforschen, waren diese Momentaufnahmen aus einer verklärten, heiteren Welt ein schönes Gegengewicht, ein Ausgleich (9).
Man vergisst Benjamin, da er in der Story vorerst nicht auftaucht. Bis er am Ende wieder da ist und ich erfahre, wer dieser alte Mann wirklich ist. So tragisch dieses Ende schließlich ist, es gräbt sich ganz tief in mein Herz. El Akkad schließt damit nicht nur einen Kreis, er verführt mich, direkt auf Start zu gehen und den Prolog und die ersten Kapitel nochmal zu lesen. Und erneut zu spüren, wie düster, melancholisch und gleichzeitig flammend schön und kraftvoll diese Story ist.
Omar El Akkad. American War. Aus dem Amerikanischen Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié. S. Fischer Verlag GmbH 2017.
442 Seiten. 24,- €