Datierungen anhand der Fossilgeschichte und der Genomvergleiche
Wenn man sich mit den Details der Monogamie-These von Jacobus Boomsma beschäftigt wie sie aus der Erforschung der sozialen Insekten hervorgegangen ist und in den letzten zehn Jahren auf zahlreichen Gebieten Bestätigung erfahren hat (siehe früherer Blogbeitrag), beginnt man sich auch für die konkreten Erdepochen zu interessieren, in denen die sozialen Insekten evoluiert sind, bzw. in denen altruistisches Verhalten ganz allgemein evoluiert ist. Das wird anhand von Fossilien und molekularer Uhr in ganz eigenen Forschungsbereichen erforscht. Und man braucht - natürlich - eine ganze Weile, bis man sich in einen solchen einigermaßen befriedigend eingearbeitet hat. Auch ist das Bild, das die Forschungen auf diesem Gebiet ergeben, noch keineswegs lückenlos und überall in sich widerspruchsfrei und eindeutig.
Im folgenden sollen einmal überblicksartig ein paar Einblicke gegeben werden dahin gehend, in welchen Erdepochen eigentlich altruistisches Verhalten bei Insekten, Säugetieren und Vögeln evoluiert ist. Womöglich kann dieser vorliegende Blogartikel künftig noch inhaltlich überarbeitet und ergänzt werden. Der Schwerpunkt liegt im folgenden zunächst auf den Insekten.
Die Insekten gehörten zu den frühesten Eroberern des Landes und der Luft. Sie entstanden im Späten Silur vor etwa 420 Millionen Jahren (1, S. 1). Das Leben im Meer wies zu jener Zeit schon viel Ähnlichkeit auf mit dem heutigen Leben im Meer. Es gab schon Knochenfische und Korallen. Aber das Leben an Land (auf den beiden Superkontinenten Laurussia und Gondwana) stellte sich noch völlig anders da als heute: Außer Insekten gab es nur noch skorpionähnliche Spinnen und einige sehr einfache Landpflanzen. Diese einfachen Landpflanzen standen den heutigen Bärlapp-Arten nahe ("Cooksonia") (s. a. Wiki). Also schon lange bevor Amphibien, Reptilien und Säugetieren auf der Erde entstanden und sich entfalteten, gab es auf ihr Insekten. Sie gehören also zu den ursprünglichsten Tiergruppen auf dem Land und in der Luft.
Auch waren sie von den zahlreichen Aussterbe-Ereignissen - insgesamt gesehen - weniger betroffen als andere Tiergruppen. Zumindest auf der Ebene von "Ordnungen" haben sie nur wenige solcher zu Aussterbe-Ereignisse zu verzeichnen. Dagegen sind viele moderne Insekten-Ordnungen schon vor 250 Millionen Jahre entstanden. Viele heutige Insekten-Familien sind vor 110 Millionen Jahren entstanden (1). Zum Vergleich: Die modernen Ordnungen der Säugetiere sind deutlich jünger, nämlich weniger als 65 Millionen Jahre alt. Die Insekten entwickelten das Fliegen außerdem hunderte von Millionen Jahren vor den Pterosauriern und den Vögeln (1).
So "fremd" uns deshalb auch die Insekten als Tiere sein mögen. Man hat es bei ihnen mit einer außerordentlich interessanten und erfolgreichen Tiergruppe zu tun. Die Bauplan-Evolution der Insekten weist insgesamt - wie eben dargestellt - viel mehr Stasis ("Stillstand") in ihrer evolutionären Geschichte auf als jene bei den Wirbeltieren, wo es im Vergleich dazu noch viel mehr Umwälzungen und Neuerungen gegeben hat. Doch in ihrem Verhalten haben sie noch viele Weiterentwicklungen erfahren und erwiesen sie sich erstaunlich anpassungsfähig.
In der Grafik einer neuen Studie (14) (Abb. 2) wird schön heraus gearbeitet, welche Veränderungen sich in der Insekten-Evolution ergeben haben dadurch, daß die Blütenpflanzen (die Angiospermen) in der Hochzeit der Dinosaurier, in der Mittleren Kreidezeit zu den dominierenden Landpflanzen auf der Erde wurden und in dieser Hinsicht die Nacktsamer (Nadelbäume, Gymnospermen) abgelöst haben. In dem Zusammenhang gibt es auch viele Theorien, daß die Blütenpflanzen erst im Wechselspiel mit Insekten zu jenen Blütenpflanzen evoluierten, die sie heute sind. Allerdings sind auch viele Insektenarten, die an Nacktsamer angepaßt waren, heute ausgestorben. Einige von ihnen haben mit ihren Anpassungen an Nacktsamer auch überlebt bis heute. (Schließlich gibt es ja heute immer noch Nadelbäume.) Vielen Insektenarten gelang die Neuanpassung von Gymnospermen zu Angiospermen. Und schließlich sind viele Insektenarten ganz neu evoluiert mit den Blütenpflanzen.
Moderne Formen von Altruismus evoluierten während der Hochzeit der Dinosaurier und nach ihrem Aussterben
Nach heutigem Forschungsstand ganz grob zeitlich parallel zu einem der vielleicht wichtigsten evolutionären Umbrüche in der Geschichte der Wirbeltiere, nämlich zu der Entwicklung der Säugetiere, der Vögel und der Blütenpflanzen in der Kreidezeit vollzog sich nun auch - in der Hochzeit der Dinosaurier - bei den Insekten der bislang bedeutendste und letzte große evolutionäre Umbruch: der Übergang zahlreicher Insekten-Arten von solitärer Lebensweise zur Bildung gemeinschaftlicher Nester mit "Helfern am Nest" und von dort weiter zur Staatenbildung. Das heißt zum "Superorganismus" mit einer Trennung von "Keimbahn" und "Soma" wie in jedem vielzelligen Organismus aufgrund einer der erstaunlichsten Formen von Altruismus im Tierreich: Der Ausbildung von spezialisierten, auch im Körperbau gegenüber der Königin unterschiedlichen "Kasten".
Diese Kasten sind emsig - und oft ausgesprochen intelligent - tätig in "Säuglingsheimen", "Kitas", "Schulen", im Pilz-Anbau (Ackerbau), als Soldaten in der Kriegsführung und Verteidigung, als Sammler von Nahrung und in vielfältigen anderen Tätigkeiten - zum Wohl und Gedeihen des Staates, dem sie angehören und vor allem: unter dauerhaftem Verzicht auf das Leben eigener Geschlechtlichkeit und Fortpflanzung.
Im Fossilbericht gibt es zwar Hinweise, daß Termiten schon im Jura Staaten gebildet haben. Diese Arten scheinen jedoch alle ausgestorben zu sein. Die heutigen Termiten auf der Südhalbkugel haben sich erst vor 30 Millionen Jahren von Afrika aus ausgebreitet (siehe unten).
Man darf womöglich sagen, daß alle modernen Formen von Altruismus im Tierreich, die in der Soziobiologie so umfangreich erforscht werden (und vor ihr in der Klassischen Verhaltensforschung), und die auf Seiten des Menschen so viel Bewunderung hervorrufen - abgesehen von vielleicht den Termiten -, sich im wesentlichen im "Schatten" der Dinosaurier sowie nach ihrem Aussterben entwickelt und entfaltet haben.
Vor 110 Millionen Jahren, in der Hochzeit der Dinosaurier, kam es also, wie gesagt zur Arten-Entfaltung sowohl der Vielfalt der Blütenpflanzen wie der auf sie bezogenen Insekten, insbesondere auch der Ameisen (Abb. 1). Die älteste bekannte fossile Ameise ist 130 Millionen Jahre alt ( Ameisen-Wiki). Zur evolutionären Geschichte der Ameisen können derzeit etwa 250 fossile Ameisen erforscht werden, die sich im Bernstein erhalten haben ( Ameisen-Wiki). Die älteste bekannte fossile eusoziale Biene stammt aus der Späten Kreide, ihr Alter wird auf 92 bis 75 Millionen Jahren datiert. Aufgrund der Evolutionsgeschichte der Blütenpflanzen kann die Evolution eusozialer Bienen auf die Mittlere Kreide vor 110 Millionen Jahren zurück datiert werden, aufgrund weiterer Überlegungen sogar auf die Frühe Kreidezeit vor 120 oder 130 Millionen Jahren ( Wiki) (Hervorhebungen nicht im Original):
Heutige Bienen sind auf Blütenpflanzen, die Bedecktsamer (Angiospermen), angewiesen, die in der Erdgeschichte in der frühen Kreidezeit auftauchten und seit der späten Kreidezeit die Nacktsamer und Gefäßsporenpflanzen verdrängten. Blütenpflanzen aus der Zeit vor etwa 110 Millionen Jahren weisen bereits Merkmale auf, die auf eine Bestäubung durch Bienen schließen lassen, der Ursprung der Bienen liegt damit wahrscheinlich schon vor Mitte der Kreidezeit. Möglicherweise waren diese Pflanzen aber schon früher verbreitet, lassen sich durch die geringeren Mengen produzierten Pollens nicht nachweisen. Die heutigen ursprünglichsten Blütenpflanzen werden von Käfern bestäubt, es liegt daher nahe, diese auch als Bestäuber der ersten kreidezeitlichen Blütenpflanzen zu vermuten. Im weiteren Verlauf der Stammesgeschichte haben sich aber Bienen und Blütenpflanzen gemeinschaftlich entwickelt und gegenseitig gefördert: Indem Bienen die Pollen von Pflanze zu Pflanze weiter trugen, verbesserten sie deren Fortpflanzungschancen. Die Pflanzen begannen sich darauf einzustellen und entwickelten süße Säfte, um die Tiere an sich zu binden. Mit der Zeit passten sich beide, Bienen und Blütenpflanzen, immer besser aneinander an (Ko-Evolution): die Pflanzen entwickelten ihre heutigen Blütenformen mit tiefen Nektarkelchen und Staubfäden, die Bienen ihre langen Rüssel, um gut an den Nektar heranzukommen, und ihr speziell an den Pollentransport angepasstes Haarkleid. Ob Bienen sich ursprünglich von Pollen windbestäubter Pflanzen ernährten, ist ungewiss, aber schon mehrfach vermutet worden. Die älteste fossile Biene ist als Cretotrigona prisca bezeichnet und wurde - eingebettet in Bernstein - im amerikanischen Staat New Jersey gefunden. Der Fund ist auf ein Alter von ca. 75 bis 92 Millionen Jahren datiert. Bemerkenswert ist, daß das Tier in eine Tribus (Meliponini) eingegliedert werden kann, die ausschließlich staatenbildende Arten enthält, was auf eine sehr frühe Abspaltung der entsprechenden Teilgruppe schließen lässt. Ursprünglich wurde sie sogar in einer noch lebenden Gattung beschrieben.
Zur entscheidenden Entfaltung der Artenvielfalt kam es sowohl bei den Ameisen wie bei den soziallebenden Bienen vor 45 bis 40 Millionen Jahren im sogenannten "Eozän" (1, S. 1; 2-5). Die Artenvielfalt der soziallebenden Bienen war im Eozän in Europa viel größer als heute. Heute besteht nur noch 2 % der früheren Artenvielfalt fort (4), ein Trend, der analog wäre, so schreibt der Forscher Michael Engel zur Evolution der Hominiden. Eine kühne aber interessante These.
Vor 65 Millionen Jahren starben mit den Dinosauriern nicht nur viele Blütenpflanzen aus, sondern auch Bienenarten, die von diesen lebten (Spiegel 2013).
Wie sich die Evolution der modernen Formen der Vögel - Entenvögel, Sperlingsvögel und Singvögel - vor und nach dem Aussterben der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren (dem so genannten K/T-Umbruch) gestaltet, scheint in der Forschung noch umstritten zu sein (Mayr 2013). Ein Fossil, das den Entenvögeln nahe steht, ist 68 bis 66 Millionen Jahre alt ( Wiki). Klar ist, daß sich die eigentliche Artenentfaltung der Vögel - bei den Singvögeln von Australien aus - mehrere zehn Millionen Jahre nach dem K/T-Umbruch vollzogen hat.
Die Termiten - Ausbreitung vor 30 Millionen Jahren
Die Termiten ( Wiki, engl.) leben in allen wärmeren Erdregionen (bis hinauf nach Südfrankreich). Sie stammen von Tieren ab, die am ehesten den heutigen Kakerlaken, also Tieren wie der "Gemeinen Küchenschabe" ähnelten. Alle heutigen Termiten-Arten bilden - ohne Ausnahme - Staaten, bei denen die Tiere unterschiedlichen Kasten angehören und sich morphologisch unterscheiden. In einer der neuesten Studien über die Evolution der Höheren Termiten heißt es (13):
The termite fossil record dates back to 140 Ma (Engel et al. 2007), but a recent molecular analysis of 66 termite species placed the origin of Termitidae at only 54 Ma (Bourguignon et al. 2015). For this reason, the origin of Termitidae is believed to postdate the breakup of Pangaea and Gondwana.
Also es sind Insektenstaaten der Termiten - oder Vorläufer derselben - als Fossilien schon im Erdzeitalter des Jura nachgewiesen (vor 200 bis 150 Millionen Jahren). Aber die heutige Verbreitung der Termiten auf der Südhalbkugel begann nach diesem neuesten Forschungsstand erst vor 30 Millionen Jahre und zwar - so diese neue Studie - aus Afrika heraus ("Out of Africa") nach Südamerika und nach Indien (s. Abb. 5). Da sich die Kontinente damals schon lange getrennt hatten, können sich die Termiten nur über Treibholz ausgebreitet haben. Vor 15 Millionen Jahren haben sich die Termiten von Südamerika aus nach Südasien und Australien ausgebreitet, zugleich kam es auch zu Rückwanderungen von Indien aus nach Afrika (Abb. 5).
Nachdem sich die Termiten ausgebreitet hatten, konnten auf den Kontinenten jeweils auch mehrere Säugetier-Arten entstehen, die auf den Verzehr von Termiten und Ameisen spezialisiert waren oder sind. Der genaue zeitliche Abgleich zwischen dem Auftreten dieser Tierarten und der jeweiligen staatenbildende Insekten muß natürlich auch widerspruchsfrei erklärt werden.
Vorlauf im Jura
Aber wie gesagt, die frühesten staatenbildenden Termitenarten scheinen schon im Jura gelebt zu haben, danach aber ausgestorben zu sein. Im Jura herrschten auf der Erde Nadelbäume und Nacktsamer vor, es war die Zeit der ersten Blüte der Dinosaurier und des Archäopterix. Die Entstehung der Säugetiere hatte damals zwar schon einen langen Vorlauf in Übergangsphasen von den Reptilien ausgehend ( Wiki). Unauffällig und abseits lebten wohl vor allem eierlegende Säugetiere schon im Jura. Zu diesen zeitlich parallel scheinen jedenfalls die Termiten die für die damalige Zeit vermutlich fortgeschrittenste soziale Lebensweise ausgebildet zu haben ( Wiki):
The oldest unambiguous termite fossils date to the early Cretaceous, but given the diversity of Cretaceous termites and early fossil records showing mutualism between microorganisms and these insects, they likely originated earlier in the Jurassic or Triassic. Further evidence of a Jurassic origin is the assumption that the extinct Fruitafossor consumed termites, judging from its morphological similarity to modern termite-eating mammals.
Also schon im Jura finden sich auch Termiten-fressende Reptilien. Man möchte das Sozialleben der Termiten übrigens aus menschlicher und männlicher Sicht - bei aller weiter fortbestehenden Fremdheit - das "sympathischste" aller staatenbildenden Insekten nennen. Denn Königin und König leben nach ihrem Hochzeitsflug lebenslang zusammen, das heißt, die Königin ersetzt nicht ein lebendes Männchen durch eine Samenbank wie das bei den anderen staatenbildenden Insekten der Fall ist. Und auch in den Arbeiterkasten kommen Tiere beider Geschlechter zum Zuge. Da wird also nicht gegen männliche Tiere "diskriminiert" wie das sonst unter den staatenbildenden Insekten der Fall ist. Für unsere vormenschlichen Vorfahren in Afrika übrigens waren Termiten immer Leckerbissen. Schon für Schimpansen handelt es sich ja um eine eiweißreiche Delikatesse.
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- Engel, Michael S., Grimaldi, David A., Krishna, Kumar: Primitive termites from the Early Cretaceous of Asia (Isoptera). In: Stuttgarter Beiträge zur Naturkunde. Serie B: 371, 2007, S. 1-32, https://www.researchgate.net/publication/237508583_Primitive_termites_from_the_Early_Cretaceous_of_Asia_Isoptera
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- Vrsanky, P.; Aristov, D. (2014). "Termites (Isoptera) from the Jurassic/Cretaceous boundary: Evidence for the longevity of their earliest genera". European Journal of Entomology. 111 (1): 137-141, http://www.eje.cz/artkey/eje-201401-0014_termites_isoptera_from_the_jurassic_cretaceous_boundary_evidence_for_the_longevity_of_their_earliest_genera.php
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