Meine DNA-Verwandten

Neue Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten
- auf familiärer Ebene und darüber hinaus

Soeben ist eine interessante neue Studie veröffentlicht worden (1), die aus dem berühmten isländischen Genomprojekt "deCODE genetics" ( Wiki), begründet von Kári Stefánsson (geb. 1949) ( Wiki), hervorgegangen ist. Dieses haben wir hier auf dem Blog schon häufiger behandelt, weil wir sehr begeistert davon sind.


Diese neue Studie ermutigt mich nun dazu, meine eigenen neuesten Erfahrungen mit Gensequenzierung und Stammbaumforschung der letzten Wochen zu referieren. Denn bei meinen eigenen Forschungen ist mir dasselbe bewußt geworden, was nun mit dieser neuen Studie so schön aufgezeigt wird, nämlich daß man mit genügend Daten von genetischen Verwandten in der Gegenwart das Genom eines Vorfahren, der vor über hundert Jahren gelebt hat, rekonstruieren kann! Eine tolle Sache wie ich finde. In uns selbst können wir "Archäologie" betreiben und brauchen nur die Puzzelteile, die ein jeweiliger Vorfahre in Form von Genabschnitten hinterlassen hat, mit den Puzzelteilen zusammen setzen, die ein anderer entfernter genetischer Verwandter von diesem Vorfahren vererbt bekommen hat.

Genau das nämlich tut diese neue isländische Studie (1). Und sie wirft darum Licht auf die Möglichkeiten, die in dem isländischen Genomprojekt beschlossen liegen, und daß uns allen dieselben Möglichkeiten offen stehen, um so mehr Menschen ihre Gene sequenzieren lassen und die gewonnenen Daten mit anderen teilen, und um so mehr sie das auch mit Familien-Stammbaumforschung verbinden. Ich hoffe, daß es bald dazu Open Source-Internetseiten gibt. Denn zum Beispiel auf "My Heritage" muß man zum dafür nötigen vollständigen gegenseitigen Vergleichen von Stammbäumen und Genomen etwa 100 Euro jährlich zahlen. Das muß doch mit Open Source-Programmen viel kostengünstiger möglich sein.

Jedenfalls im folgenden mein Aufsatz wie er von mir schon geschrieben war, bevor ich gerade die neue isländische Studie (1) entdeckte. Auch mein bisheriger Entwurf war schon mit Erkenntnissen aus einer spannenden Studie eingeleitet worden, die aus dem isländischen Genomprojekt vor zehn Jahren, 2008, hervorgegangen war, und die wir schon damals hier auf dem Blog behandelt hatten (2, 3).

Nach einer isländischen Studie aus dem Jahr 2008 (2) hatten auf Island über die Jahrhunderte hinweg Ehen zwischen Cousins und Cousinen dritten und vierten Grades mit einem Verwandtschaftgrad (r) zwischen 0.0625 und 0.0039, also mit 6,25 % bis 0,39 % gemeinsamen Gene, die höchste Nachkommenzahl. Man kann also davon ausgehen, daß dieser Verwandtschaftsgrad zwischen Ehepartnern nicht der ungünstigste sein wird. Die Ehepartner auf Island, die diese Ehen eingegangen sind, haben in der Regel von dieser ihrer Verwandtschaft aufgrund von Herkunft und gemeinsamen Genen gar nichts gewußt, sie haben sich also un-, bzw. unterbewußt gegenseitig nach diesem Verwandtschaftsgrad ausgesucht.

Besitzt man nun dieses Vorwissen und hat man seine Gene sequenzieren lassen, kann man sich auf den jeweiligen Internetseiten (zum Beispiel "23andme", "MyHeritage") die dort angezeigten "DNA-Verwandten" ("DNA-Relatives"), "DNA-Matches" genauer anschauen. Das hatte ich bisher noch nie gemacht, da ich mir den durch (2) aufgezeigten Zusammenhang noch nicht genügend bewußt gemacht hatte, bzw. nicht gemerkt hatte, daß die Angabe von 6 % gemeinsamer Gene einen solchen Verwandtschaftsgrad wiederspiegelt. "DNA-Verwandte", bzw. "-Matches" sind Menschen, die beim jeweiligen Sequenzierungs-Anbieter ebenfalls ihre Gene haben sequenzieren lassen, und von denen einem nun aufgrund rein statistischer Auswertung angezeigt wird, wie viele Gene man mit ihnen gemeinsam hat.

So finde ich dort zunächst - oh Wunder - daß ich mit meiner Mutter 47,7 % meiner Gene teile. Das ist natürlich meine nächste DNA-Verwandte, die sich ihre Gene in den letzten Monaten hat sequenzieren lassen. (Aber man frage mich jetzt bitte nicht, warum nicht genau 50 %.) Außerdem fand ich, daß zwei meiner Vettern ebenfalls schon ihre Gene hatten sequenzieren lassen und mir als solche Vettern 1. Grades angezeigt werden.

Aber die nächstnahe Verwandtschaft über diese engeren Verwandten hinaus ist ja nun - wie an der isländischen Studie von 2008 (2) abzulesen - auch interessant.

1. Fall: Rudd Evansky

Auf 23andme wird mir diesbezüglich nun zunächst ein Mensch angezeigt mit Namen "Rudd Evansky" (Name leicht verändert), mit dem ich 0,97 % meiner Gene teile, also fast 1 %. Das entspricht einem Verwandtschaftsgrad r von grob 0,01. Und das ist ja nicht wenig. Man kann es erstaunlich finden, daß sich unter den vielen Kunden dieser Firma - vor allem in den USA - einigermaßen willkürlich (?) eine so hohe genetische Verwandtschaft mit mir hier in Deutschland findet. Dieser Verwandtschaftsgrad fällt jedenfalls bestens in den Bereich evolutionär günstiger Heiratspartner für mich. Wir teilen aber weder die mütterliche mitochondriale noch die väterliche Y-chromosomale Haplogruppe. Ich schrieb ihm gerade:

Hello Rudd, it is interesting that we have a share of nearly 1 % of DNA in common. Do you like to talk about that? May be it would be interesting to know something about your forebears. I am from Germany.

Es wird angezeigt, daß wir gemeinsame Genabschnitte haben auf den Chromosomen 8, 11, 12, 13 und 17. Und wenn man allmählich mitbekommt, aufgrund welcher Zusammenhänge solche Gemeinsamkeiten zustande kommen können (siehe nächster Fall), muß ich ja fast annehmen, daß wir gemeinsame Vorfahren haben. Aber welche? Leider hat er mir noch nicht geantwortet.

2. Fall Sylvia I. aus Ontario, Kanada

Bei der nächsten angezeigten DNA-Verwandten habe ich das inzwischen schon klären können. Es ist dies die etwa 80-jährige Sylvia I. aus Ontario in Kanada. Ich sehe sie schon seit Jahren als DNA-Verwandte angezeigt, aber wie gesagt war mir bisher gar nicht klar, welche Bedeutungen man diesem Umstand zusprechen kann. Sie gab an, daß ihre Vorfahren aus Großbritannien stammen, daß es aber auch Verbindungen mit Deutschland gab. Sie hat auch ihren Stammbaum verfügbar gemacht. Das wird - wie etwa auf Facebook - freigeschaltet für jene, für die sie es freischalten möchte, deshalb kann ich auf den Link dazu geben ( MyHeritage).

Als Länder, in denen ihre Vorfahren gelebt haben, nennt sie England, Schottland und Irland. Unter den Familiennamen, die sie als jene benennt, die in ihrem Stammbaum vorkommen, finden sich lauter britische, die mir ansonsten unbekannt sind. Aber ich entdecke einen Familiennamen, den wir in unseren Stammbäumen gemeinsam haben, nämlich den Familiennamen Morley. Mütterlicherseits stamme ich zurück in der Mitte des 19. Jahrhunderts nämlich unter anderem ab von einer Engländerin namens Morley, die auf Neuseeland geboren wurde und als junges Mädchen nach Deutschland gekommen war und dort einen Deutschen mit Familiennamen von Samson-Himmelstjerna geheiratet hatte. Es war dies der Leibarzt des Fürsten Pleß in Pleß in Oberschlesien. Dort ist noch meine eigene Großmutter 1910 geboren worden, weil ihre Mutter sich von ihrem Vater hat entbinden lassen. Von dieser Morley-Vorfahrin habe ich und haben alle meine Verwandten über die mütterliche Seite auch unsere Mitochondrien! Zum Glück hat einer meiner Onkel den Stammbaum schon seit Jahren sehr intensiv bearbeitet ( MyHeritage), wo ich dann feststellen kann: Sylvia und ich stammen beide von dem jungen Ehepaar Morley-Locker aus Leeds in England ab, dem 1858 in Sneulou Mautra, Neuseeland die älteste Tochter Alice geboren wurde. Diese heiratete später einen Hadgkinson. Und von diesen beiden stammt Sylvia I. ab. 1864 wurde dem genannten jungen Ehepaar in Otahuhu, Auckland auf Neuseeland die zweite Tochter geboren. Und bei ihr handelt es sich um meine Vorfahrin Mary Morley, spätere verheiratete von Samson Himmelstjerna, die Urgroßmutter meiner Mutter. Ich schrieb deshalb an meine neu entdeckte Verwandte Sylvia in Kanada:

Hello Mrs. I., it is interesting to know that we share 0,68 % of our genes. I am from Germany, but my mothers great-grandmother has been a woman from England with family name Morley. Her father has been William Henry Morley (1834-1917), born in Leeds, died in Quito, Ecuador. He had a lot of children (10) together with Elizabeth Morley, born Locker. His eldest daughter was Alice Hadgkinson (geb. Morley), born in Sneulou Mautra, New Zealand 1858. Maybe this is one of your great-grandmothers? It would be interesting to exchange some thoughts about that. Best wishes, Ingo Bading

Und Sylvia hat sehr schnell und sehr interessiert geantwortet. Sie berichtet noch von einigen Details ihrer eigenen Familiengeschichte, die sie zwischenzeitlich herausbekommen hatte über ihren Urgroßvater Hadgkinson. Und sie erzählt, daß man sich in ihrer Familie einer entfernten deutschen Verwandtschaft bewußt gewesen ist. Nun, vielleicht kann man sich künftig einmal gegenseitig besuchen. Aber nun halte man sich einmal fest, was man alles herausbekommen kann, wenn man sich einigermaßen sicher ist, daß man gemeinsame Vorfahren hat. Unsere gemeinsamen Gene liegen nämlich auf Chromosom 16 und 17. Und das ist die Erkenntnis, die mir bei dieser Gelegenheit zum ersten mal kam: Man kann also sagen, daß unsere gemeinsamen Vorfahren, die Eheleute Morley/Locker (der Ehemann war britischer Forschungsreisender) auch diese Gene auf Chromosom 16 und 17 hatten. Jetzt müßte man nur noch schauen, welche Gene das sind und man wüßte schon wieder einiges mehr auch über diese Vorfahren. Und man merkt dabei: Um so mehr Menschen mitmachen würden bei diesen DNA-Tests, um so mehr könnte man auch über die Gene ganz entfernter Vorfahren heraus bekommen! Ist das nicht verrückt?!

3. Fall: Andreas T. aus Deutschland


Die nächste auf 23andme angezeigte DNA-Verwandte wäre zur Zeit eine Abigail A. (vermutlich aus den USA), mit der ich 0,44 % gemeinsame Gene habe. Ich habe sie angeschrieben aber noch keine Antwort erhalten. Auf MyHeritage ist es ein Andreas T., mit dem ich 0,4 % der Gene teile (Abb. 1). Ihm habe ich geschrieben anhand jener Daten, die auf MyHeritage für DNA-Verwandte zur Verfügung gestellt sind, wenn jemand dort auch schon seinen Stammbaum eingestellt hat (wie es hier der Fall ist):

Hallo Herr T.,
alle Ihrer acht Urgroßeltern wurden in der Stadt Brandenburg an der Havel geboren oder ihrem näheren Umfeld. Ihre Großmutter war eine Martha Helene Bading (1893-1960), geboren in Kade bei Genthin. Ich selbst (geb. 1966) stamme aus einer Familie Bading in Bahnitz an der Havel, 18 Kilometer nördlich von Kade. Fast all meine Vorfahren väterlicherseits stammen aus den Dörfern grob zwischen Bahnitz und Zollchow im Elb-Havel-Winkel.
Und nun teilen wir außerdem 0,4 % unserer Gene auf unseren Chromosomen 2, 8 und 12. Ob man heraus bekommen kann, worauf diese Gemeinsamkeit beruht?
Mein Vater war ein begeisterter Ahnen- und Ortsfamilienbuch-Forscher, der auch mit anderen Familienforschern der Region in Kontakt stand. Und mir klingt in den Ohren als ob die Familiennamen Giese und Kabelitz, die in ihrem Stammbaum vorkommen, ihm keine Unbekannten waren. In Bensdorf und Kirchmöser haben wir auch Vorfahren (vor allem Familienname Parey).
Es wäre nun interessant zu erfahren, ob unsere genetischen Gemeinsamkeiten erklärt werden können aufgrund direkt nachweisbarer Verwandtschaft oder einfach aufgrund des Herstammens aus derselben Gegend, in der über Jahrhunderte wenig genetischer Zufluß von außen dazu gekommen ist, wodurch sich bestimmte Chromosomen-Abschnitte "angereichert" haben können unter der Population, weil entfernt Verwandte miteinander geheiratet haben so daß auf diese Weise unsere genetische Verwandtschaft zustande gekommen ist.
Ich bin jedenfalls gerade überrascht und fasziniert von den Möglichkeiten der Gensequenzierung und ihrer Kombination mit Stammbaum-Forschung. Auch über den mütterlichen Stammbaum (in Österreich) habe ich da in den letzten Tagen schon interessante Entdeckungen gemacht. Da stellte sich ein gemeinsamer Genanteil von 0,4 % als Folge direkter genetischer Verwandtschaft heraus.
Vielleicht haben Sie Lust, sich darüber auszutauschen.
Mit freundlichen Grüßen

Ich bin gespannt auf die Antwort. Da einige der angezeigten DNA-Verwandten auch Fotos von sich hoch geladen haben, kann man mit einigem Erstaunen feststellen, daß 0,3 % gemeinsame Gene doch auch einen sehr unterschiedlichen Phänotyp mit sich bringen kann. Ich als Mensch vorwiegend nordeuropäischer Herkunft finde unter ihnen zum Beispiel auch eine sehr mediterran aussehende Frau aus Portugal, die - nach MyHeritage - 0,3 % ihrer Gene mit mir teilt. Da darf man gespannt sein auf die weiteren Erfahrungen, die man auf diesem Gebiet machen kann.

Ein neuer Heiratsmarkt? - Nutzen für die Partnerwahl

All diese Zusammenhänge werden bis heute noch nicht unter "Genetic Matchmaking" ( Wiki, engl.) behandelt, auch von Firmen, die DNA-Tests zur Partnerfindung anbieten, offenbar nicht genutzt, (soweit das zumindest meine bisherige Recherche ergibt). Aber wenn erst einmal viele Menschen ihre Gene sequenziert haben werden und wenn sie ihre Daten auf Open-Source-Internetseiten geteilt haben werden, wird man gerne unter ihnen auch nach Heiratspartnern suchen können. ;) Jedenfalls habe ich damit wieder einmal mich sehr faszinierende Möglichkeiten der "consumer genetics" entdeckt, der modernen "Mitmach-Genetik". Frühere Beiträge zur Auseinandersetzung mit meinem persönlichen Genom-Daten sind übrigens hier zu lesen: "Meine Gene" Teil 1, Teil 2 und Teil 3. Es sei jedenfalls noch einmal festgehalten:
Es ist nach derzeitigem Kenntnisstand am günstigsten für eine Ehe, wenn die Ehepartner zwischen 6 und 0,4 % ihrer Gene miteinander teilen, wenn sie also Cousin und Cousine dritten und vierten Grades sind (2). Und ob man es ist, kann heute leicht festgestellt werden.

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  1. Anuradha Jagadeesan, Ellen D. Gunnarsdóttir, S. Sunna Ebenesersdóttir, Valdis B. Guðmundsdóttir, Elisabet Linda Thordardottir et al.: Reconstructing an African haploid genome from the 18th century. Nature Genetics, 50/2018, 15. Januar 2018, pp199-205, doi:10.1038/s41588-017-0031-6, https://www.nature.com/articles/s41588-017-0031-6. https://www.researchgate.net/publication/322507343_Reconstructing_an_African_haploid_genome_from_the_18th_century
  2. Helgason A, Pálsson S, Guðbjartsson DF, Stefánsson K, Kristjánsson T (2008) An association between the kinship and fertility of human couples. Science 319(5864):813-816
  3. Bading, Ingo: Genetische Verwandtschaft - ein wichtiger Faktor auch auf Gruppenebene? Studium generale, 30. August 2008, http://studgendeutsch.blogspot.de/2008/08/genetische-verwandtschaft-ein-wichtiger.html

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