Irgendwann sind die Nachwuchs-Menschen keine Babys mehr, sondern Kleinkinder, die damit beginnen, die Welt auf ihren eigenen zwei Beinen zu entdecken. Festgehalten wird dies und wurde dies auch schon früher mit den Kameras der Eltern oder anderer Personen aus dem Umfeld. Diese Fotos von einst erlauben dabei einige Eindrücke davon, wie Kindheit früher definiert wurde und welche Erwartungen man an die zukünftigen Erwachsenen hatte.
So interessant alte Babyfotos und die Abbildungen von Teenagern der Vergangenheit, die ich in einem späteren Beitrag natürlich auch noch aufgreife, sind, habe ich die Aufnahmen von Kleinkindern immer als besonders aufschlussreich über eine Zeit empfunden. In jenem Alter zwischen ca. 2 und 5 Jahren sind Kinder sehr formbar. Sie verstehen schon vieles, sind aber noch sehr abhängig von ihrem Umfeld und werden von diesem stark beeinflusst.
Aus welcher Zeit dieses Bild stammt, lässt sich leicht erahnen. Der kleine Junge, stilecht mit Pickelhaube, Spielzeugwaffe und Schaukelpferd, ist ein Kind der deutschen Kaiserzeit. Das genaue Entstehungsdatum der Aufnahme ist mir nicht bekannt, es dürfte wenige Jahre vor oder nach 1910 liegen. Dieses Foto verdeutlicht sehr eindrucksvoll den Militarismus, der damals die deutsche Gesellschaft durchzog. Das Militär wurde glorifiziert, soldatische Tugenden angepriesen. Für Kinder mag das zunächst nur ein Spiel gewesen sein, aber der Hintergrund war so ernst wie fatal. Viele Jungs, wie dieser kleine Mann offensichtlich auch, wuchsen in dem Glauben auf, es gäbe keine höhere Ehre als in den Krieg zu ziehen. Dieser selbstherrliche Glaube an die Stärke des eigenen Militärs und an die Legitimität des Krieges als „bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" war ein Pflasterstein auf dem Weg in die Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts, die wir heute den Ersten Weltkrieg nennen.
Dieses Foto entstand ungefähr zur selben Zeit wie das obere. Der kleine Junge zieht nicht gerade spielerisch in den Krieg, aber er trägt den klassischen Kinderlook jener Tage: den Matrosenanzug. Dieses Kleidungsstück kam um das Jahr 1870 herum in Großbritannien auf und entwickelte sich gut 20 Jahre später auch in Deutschland zu einem sehr beliebten Dress für Knaben, mit der Zeit auch für Mädchen. Die Beliebtheit dieses Kleidungsstückes in Deutschland war auch auf die damalige Begeisterung für die Kaiserliche Marine, die sich im Ersten Weltkrieg freilich nicht im erhofften Maße bewähren konnte, zurückzuführen.
Auch noch nach dem Ersten Weltkrieg wurden viele Kinder von ihren Eltern mit dem Matrosenlook ausgestattet. Dies änderte sich in den 1930er Jahren durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten, die Kinder zwar ebenfalls militärisch drillten, aber sie dazu lieber in andere, hässlich-braune Uniformen steckten. Nach 1945 gelang dem Matrosenanzug kein echtes Comeback, was nach zwei Weltkriegen durchaus nachvollziehbar war.
Nicht jung, aber doch jünger als die ersten beiden Bilder ist diese Aufnahme von zwei kleinen Mädchen, die einen Spaziergang durch die Landschaft genießen. Heute verläuft dort wahrscheinlich eine Autobahn. Gut, vielleicht auch nicht, aber wir können uns sicherlich darauf einigen, dass es vor 60 bis 70 Jahren noch wesentlich mehr unbebaute Flächen gab als heute. Dementsprechend existierte auch mehr Freiraum für Kinder. Diesem natürlichen Freiraum stand auf der anderen Seite eine begrenztere Informationswelt gegenüber: kein Fernsehen, kein Internet, kein Smartphone. Viele Familien konnten ihre Kinder noch nicht so oft mit auf Reisen nehmen wie heute oder Ausflüge mit ihnen machen. Aber vielleicht wollten sie das auch gar nicht, weil gleich nebenan ein großer Wald war.