Alle Tage – Terézia Mora

IMG_7683Um eins vorneweg zu schicken: Dieses Buch ist etwas für Zeiten, in denen man Muße genug hat. Liest man das Ganze morgens im Zug, findet man es wahrscheinlich scheiße, weil man nichts versteht. Doch sobald man sich Zeit nimmt, könnte man ziemlich begeistert sein. So man es denn dann versteht, denn in dieser Hinsicht bin ich mir bei mir gar nicht so sicher… Aber hey, zumindest bei dem 40 Seiten langen Drogentrip gegen Ende bin ich wohl entschuldigt.

Protagonist ist Abel Nema, ein Typ (geschätzt) in seinen Zwanzigern. Er musste aus seiner Heimat, die irgendwo in Südosteuropa (auf dem Balkan?) liegt, vor einem Krieg fliehen. Er landet zwar in irgendeiner Stadt (in Österreich oder Deutschland?), kommt aber nirgendwo wirklich an, obwohl er ohne große Mühe zehn Fremdsprachen erlernt. Das schien mir ein vorherrschendes Gefühl in diesem Buch zu sein: Die Heimatlosigkeit, das Nirgendwo-Dazugehören, das Suchen, die Einsamkeit. Nicht nur Abel, viele andere Charaktere dieser Geschichte scheinen sich irgendwo dazwischen aufzuhalten. Es gibt wenige, die wirklich dort leben, wo sie herkommen, die nicht irgendwelche Brüche in ihren Biografien haben oder irgendwann mal etwas erlebt haben, das ihr Leben durcheinander brachte.

Abel heiratet schließlich Mercedes und wird von deren Sohn Omar wie ein Vater oder großer Bruder angenommen. Das Ganze ist und bleibt jedoch eben: eine Scheinehe – zum einen, weil Abel eine Aufenthaltsgenehmigung braucht, zum anderen, weil der einzige Mensch, den er jemals geliebt hat, sein bester Freund Ilia war (und auch hier wieder eine unerfüllte Liebe). So ist schon fast klar, dass auch diese Beziehung ihm nicht den Halt gibt, den er bräuchte. Aber ob er überhaupt so leben könnte, bürgerlich-gesettled? Sucht er nicht immer die Einsamkeit und das Unterwegssein?

Als wäre diese schwere Kost noch nicht genug, hält sich Mora außerdem nicht sonderlich an konventionelle Erzählweisen. Sie springt ohne irgendwelche Kenntlichmachung zwischen Zeitebenen und Erzählern hin und her. Das ist anstrengend, weil es volle Aufmerksamkeit erfordert. Aber es ist auch spannend, weil man sich die Geschichte auf diese Weise erarbeiten muss. Und man taucht voll und ganz in Moras Sprache ein, die ich sehr toll fand. Sie zeichnet Bilder, die mich zum Teil sehr angesprochen haben. Indikator dafür: Mehrmaliges Lesen – Grinsen/Nicken/beides – nochmal lesen – geistige Notiz, sich diesen Ausdruck oder diese Metapher bitte zu merken – (sie schließlich doch wieder vergessen).

Anstrengend, aber gut!

ISBN: 978-3-442-73496-2
430 Seiten
btb
€10,00
 

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