Die Autorin Alexandra Bracken absolvierte ihr Studium in Englisch und Geschichte an einem speziellen Ort. Sie studierte am College of William and Mary in Williamsburg, Virginia. Die Hochschule liegt in Colonial Williamsburg - ein Stadtteil, der im Stil des 18. Jahrhunderts restauriert wurde und als Living History - Museum besucht werden kann. Kein Wunder, dass in Bracken bereits in ihrem ersten Studienjahr die Idee reifte, eines Tages einen Zeitreiseroman zu schreiben. Sieben Jahre nach ihrem Abschluss setzte sie diese Idee in die Tat um und veröffentlichte „Passenger", Auftakt der gleichnamigen „Passenger"-Dilogie, die die Protagonistin ebenfalls ins 18. Jahrhundert entführt.
Es sollte ein bedeutender Abend für Henrietta Spencer werden. Doch sobald sie ihrer Geige im renommierten Metropolitan Museum of Art in New York die ersten Töne entlockte, überwältigte ein disharmonisches Geräusch ihre Sinne. Verwirrt floh sie von der Bühne und suchte nach dem Ursprung des Geräuschs. Benommen spürte sie, wie sie durch eine Tür geschubst wurde. Danach wurde alles schwarz. Als Etta wieder erwachte, befand sie sich im Jahr 1776. Ihr Sprung durch die Zeit war jedoch kein Unfall. Etta entdeckt, dass sie einer Linie von Zeitreisenden entstammt. Die vielen Geheimnisse ihrer Mutter Rose ergeben plötzlich einen Sinn, denn ein Mann kontrolliert alle Familien, in denen das Talent vererbt wird: Cyrus Ironwood. In seinem Anwesen stellt der skrupellose, herrschsüchtige Patriarch Etta ein Ultimatum. Sie soll einen wertvollen Gegenstand finden, den ihre Mutter stahl und irgendwo in der Zeit versteckte. Weigert sie sich, wird er Rose töten und Etta jede Möglichkeit nehmen, nach Hause zurückzukehren. Etta bleibt keine Wahl - begleitet von dem jungen, attraktiven Kapitän Nicholas begibt sie sich auf eine halsbrecherische Suche durch Raum und Zeit.
Ach, Zeitreisegeschichten. Ihr hört mich tief seufzen. Um ein altes Filmzitat zu bemühen: Sie sind wie eine Pralinenschachtel - man weiß nie, was man kriegt. Das Zeitreisethema ist meiner Meinung nach eines der schwierigsten und kompliziertesten, das sich Autor_innen vornehmen können, weil die Balance in einem solchen Buch entscheidend ist. Mechanik und Logik des Zeitreisens müssen plausibel und verständlich sein; es muss ein Konflikt existieren, der es rechtfertigt, die Figuren durch die Zeit zu schicken; persönliche Beziehungen müssen überzeugend sein und die gewählten Epochen müssen authentisch beschrieben werden. Wird nur einem Aspekt zu viel oder zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, gerät die ganze Geschichte ins Schlingern. Leider entspricht dies genau meiner Erfahrung mit „Passenger" von Alexandra Bracken. Mir wurde ein Zeitreiseroman versprochen, bekommen habe ich eine schmalzige Jugendromanze voller Klischees und kitschiger Stereotypen, in der eben zufällig auch durch die Zeit gereist wird. Der gesamte Roman dreht sich ausschließlich um Etta (was für eine dämliche Abkürzung für den hübschen Namen Henrietta) und Nicholas. Ich bin ja durchaus bereit, meine Erwartungshaltung anzupassen und hätte mich vielleicht mit dieser Fokusgewichtung arrangieren können, wenn Bracken sich etwas geschickter angestellt hätte. „Passenger" wird von einer Liebesbeziehung dominiert, die mich weder berührte noch sonst irgendwie abholte, weil ich nicht den Hauch einer Bindung zu den beiden Hauptcharakteren verspürte. Sie verhalten sich vollkommen unnatürlich: In einer Minute können sie die Finger nicht voneinander lassen, in der nächsten gehen sie völlig abrupt auf Abstand, ohne dass ich ihre Gedanken nachvollziehen konnte. Ähnlich undurchschaubar gestalteten sich ihre weiteren Beziehungen; beispielsweise fand ich Ettas Verhältnis zu ihrer Mutter bizarr. Mit Etta selbst konnte ich ebenfalls nicht viel anfangen, da sie eine vorhersehbar unglaubwürdige Blitzentwicklung vom scheuen, nervösen, rehäugigen Naivchen zur mutigen Draufgängerin durchläuft. Entsprechend rasant verlor ich das Interesse an allen Figuren und hätte mich gern auf andere Aspekte in „Passenger" konzentriert, bedauerlicherweise fand ich jedoch keine Alternativen. Den Zeitreisen liegt kein schlüssiges Konzept zugrunde, es wirkte grob skizziert, nicht sorgfältig ausgearbeitet, wodurch ich die inhärente Logik nicht entschlüsseln konnte. Ich zweifle daran, dass Brackens Entwurf überhaupt logisch ist, weil ich nicht mal definieren konnte, ob wir über eine Zeitlinie sprechen oder über mehrere. Die Zeitsprünge an sich sind unbefriedigend vage gehalten und vernachlässigen im Verlauf der Geschichte den vielversprechenden Bezug zu Musik, Tönen und Noten, den ich wirklich originell fand. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass die Zeitreisen im Grunde nur eine nette Ergänzung darstellen, durch die das Schnitzeljagd-Motiv der Handlung interessanter wirken sollte. „Passenger" hätte auch ohne sie funktioniert - für mich war die Lektüre hingegen wohl einfach ein Fehlgriff, ob mit oder ohne Zeitreisen.
Ich fand „Passenger" von Alexandra Bracken langweilig. Ich fälle dieses Urteil nicht gern und hätte gern Besseres über diesen Roman zu berichten, aber das ist nun mal die Wahrheit und lässt sich nicht ignorieren. Je weiter ich mit der Lektüre fortschritt, desto größere Schwierigkeiten hatte ich, dranzubleiben und mich zu konzentrieren. Gegen Ende war ich mit den Gedanken oft woanders und definitiv nicht in der Geschichte. Das ist sehr schade, denn hin und wieder blitzte ein höchst sympathischer Schreibstil durch, manchmal überraschte mich Alexandra Bracken mit sprühendem Charme und Witz. Doch kaum schöpfte ich Hoffnung, rückte die romantische Ebene wieder in den Vordergrund und verzerrte alles, was ich glaubte, entdeckt zu haben. Deshalb erschien mir „Passenger" schnulzig, melodramatisch und unausgeglichen. Ich werde die Fortsetzung „Wayfarer" auf keinen Fall lesen. Lieber versuche ich mein Glück mit einer anderen Pralinenschachtel.