Im letzten Teil meines kleinen Kulturprogrammes habe ich festgestellt, dass wir alle Kinder der französischen Revolution sind. Irgendwie. Und wie diese Revolution in Terror, kleinen Kaisern und Russlandfeldzügen endete, stehen wir am Rande der größten Gefahr, der sich die Moderne in ihrer relativ kurzen Geschichte je gegenüber sah: Coca-Cola!
Aber der Reihe nach.
Kultur ist an und für sich unsichtbar. Wie ein Fisch wohl keine Vorstellung von Wasser hat, „schwimmen“ wir im Medium Kultur. Im Gegensatz zu unserem ichtyotiotischen Beispiel erzeugen wir aber Kultur, wo wir gehen und stehen und vor allem: kommunizieren. Wenn wir doch auf dem Trockenen sitzen ist das ein Schock. Ein Kulturschock.
Sichtbar wird die Kultur, wenn sie in den Kontakt mit einer anderen, fremden kommt. Wenn unsere Symbole nicht verstanden werden. Wenn unser Gegenüber die Pointe nicht kapiert, die Fernsehsendungen unserer Kindheit nicht kennt. Mit unserem Essen nichts anfangen kann, mit Mode oder unseren Vorstellungen von Partnerschaft, Moral oder guter Musik. Kurz: Welten prallen aufeinander.
Es ist fast unmöglich, heute nicht anderen Kulturen zu begegnen. In der modernen Welt schon gar nicht. Die Folge ist, dass das Eigene und das Fremde fast schmerzlich bewusst sind. Der Kontakt der Kulturen ist die Norm und also muss es, wie in einem Raum voller einander fremder Menschen, Strategien geben, wie man miteinander auskommt. Früher war das einfach. Da wurden fremde Kulturen entweder unterworfen und die Menschen assimiliert (oder abgeschlachtet). Oder man fand von alleine, dass die Leute aus X eigentlich viel cooler sind und deswegen wollte jeder aus X sein. In der Kulturwissenschaft nennt man das „Akkulturation“. Laut Wörterbuch der Völkerkunde ist das der Prozess, mit dem sich eine Kultur einer anderen, überlegen geglaubten, anpasst. Man kann Akkulturation in Deutschland wunderbar beobachten, bzw. hören. Z.B. bei der Deutschen Bahn: „Senk ju for trävelling“.
In der modernen Welt gilt es inzwischen als unfein, andere zu unterwerfen und zieht end – und fruchtlose UN-Resolutionen, sowie das ebenso plakative wie nutzlose Engagement alternder Künstler nach sich. Heute möchte man, zumindest im aufgeklärten Westen, integrieren. Zu wissenschaftlich: „inkulturieren“.
Wir stellen also den Fremden in unserem Haus nicht mehr vor die Wahl, entweder Schwein zu essen oder eins in die Fresse zu kriegen. Heute versuchen wir ihn von den Vorteilen, leckeren Schweinefleischs zu überzeugen. Natürlich kann er auch verhungern, seine Wahl.
Ungeschoren kommt niemand davon beim Kulturkontakt. Weder das Eigene noch das Fremde. Der Kontakt zu anderen Kulturen war schon immer ein Motor des Kulturwandels. Wie ich ja schon ausführte, verändert sich Kultur ständig. Aber Veränderung erzeugt Angst. Schon Plato träumte von seinem idealen, weil ursprünglichen, Staat und die Aufklärung war bekanntermaßen auf der Suche nach dem „Urzustand“ des Menschen, weil jede Veränderung immer eine Veränderung zum Schlechten sei. Und wann hat sich die Welt, die Kultur, je schneller verändert als, sagen wir, in den letzten 20 Jahren? Die gravierenden Veränderungen seit dem Ende des Kalten Krieges muss ich wohl nicht im Einzelnen ausführen. Da würden auch 475 Seiten und 1200 Fußnoten nicht ausreichen. Aber die gravierendsten sind natürlich in zwei Symbolen zu finden, die alles überstrahlen mit ihrem Angstpotenzial: Globalisierung und 9/11.
Wird fortgesetzt …