Bis zum 30.01.2012 zeigt die Berlinische Galerie Videoarbeiten der jungen polnischen Künstlerin Agnieszka Polska (*1985).
Die Erinnerung an die Vergangenheit ist ein zentrales Thema in ihren Videoarbeiten. Stets bedient sie sich der (Kunst-) Geschichte der Moderne und nutzt das historische Material für eigene, neue Werke. Eine höchst individuelle Bildsprache, die Animation mit gefundenen Fotografien und dokumentarisch anmutenden Videofilmen kombiniert, spielt für die Ästhetik ihrer Arbeiten eine besondere Rolle: So treffen Kamerafahrten durch nachgebaute Studiosettings auf zeitlich verlangsamte Bildanimationen, die sich deutlich vom dokumentarisch gefärbten Stil der Videos unterscheiden.
Das übergeordnete Interesse der Künstlerin gilt den Archiven und Archivalien der Kunstgeschichte und der Bewahrung der Artefakte. Dabei setzt sie sich insbesondere mit Fragen auseinander wie: Warum erscheint die Dokumentation eines Kunstwerkes oftmals interessanter als das Kunstobjekt an sich? Wie wird die Rezeption einer künstlerischen Arbeit durch deren Archivierung beeinflusst? Und wie verhält sich die Sehnsucht nach der Rekonstruktion von Vergangenheit zu den Mechanismen des Archivierens?
How the work is done (2011)
In dieser Quasi-Dokumentation beschäftigt sich Agnieszka Polska mit dem Studentenstreik des Jahres 1956, der im Keramik- und Skulpturatelier der Akademie der Künste in Krakow stattfand. Die Studenten protestierten gegen die politische Situation des Landes, indem sie die Arbeit niederlegten und wochenlang den Arbeitsraum der Hochschule besetzen. Diese Situation sowie ihre Verbindung zu dem besonderen Ort des Streiks lässt die Künstlerin lebendig werden: Sie beschreibt dem Betrachter nicht nur die alltäglichen Arbeitsprozesse des Ateliers, sondern stellt auch die protestierenden Studenten in Form von Skulpturen aus Kleidungsstücken nach. Einen besonderen Stellenwert nehmen die Träume der schlafenden, von den kleinen Essensrationen geschwächten Streikenden ein – hier kippt die Arbeit von der Dokumentation in die Animation. Erst diese Traumsequenz bringt die künstlerische Arbeit, d.h. die alltäglichen, künstlerischen Arbeitsprozesse der Studenten zur Darstellung. So markiert die Szene einerseits die Verschiebung des Alltags in eine Traumrealität und andererseits jenen Moment, in dem der Film zu seiner eigentlichen Fragestellung findet: Wie wird die Arbeit, also Kunst gemacht? Vollzieht sich der kreative Akt in dem Moment, in dem das Werk entsteht, oder ist es der reflektierende Prozess, in dem sich die Idee und damit das eigentliche Werk Bahn bricht?
Plunderer’s Dream (2011)
Die Arbeit „Der Traum des Plünderers“ entstand in Erinnerung an die Erzählungen von Polskas polnischem Großvater. Bedingt durch die Not und Armut der Kriegsjahre suchte er in den verlassenen Häusern seiner Umgebung nach Wertgegenständen und Lebensmitteln. In traumähnlichen Animationssequenzen greift die Künstlerin diese persönliche Erinnerung auf, um sowohl mit der Vorstellung des typischen Meisterdiebs als auch mit den Bildern von Verbergen und Offenlegen, Aneignung und Umwertung zu spielen. Das Plündern dient ihr als Metapher, mit der sie ebenso auf ihre Familiengeschichte wie auch auf den Kern ihrer eigenen Arbeitsweise verweist.
Schließlich wohnt Polskas Herangehensweise an Archivalien und Randnotizen der Kunstgeschichte eine ähnliche Strategie wie jener des Großvaters inne: Wie er in seinem Traum aus den zusammengetragenen Gegenständen ein neues Ensemble kreiert, bearbeitet sie das dokumentarische Material, arrangiert es neu und bereitet es auf. In ähnlicher Weise wie sich der Akt des Plünderns als ambivalenter Akt darstellt – lebenserhaltend und zugleich räuberisch -, pendelt Polskas Kunst einerseits zwischen Neuinterpretation und damit schöpferischer Zerstörung. Andererseits macht sie keinen Hehl daraus, wie wichtig die Vergangenheit für sie ist. Ihr Ikonoklasmus birgt viel Liebe zu Detail und Geschichte – vergleichbar mit der Behutsamkeit und Zärtlichkeit, mit der sich der Plünderer in ihrem Film seinen Schatz aneignet.
Drei Filme mit Erzähler (2009/2010)
Dieses Trio von Videoarbeiten besteht aus den Filmen „The Forgetting of Proper Names“ (2009), „Sensitization to Colour“ (2009) und „My Favourite Things“ (2010). Das verbindende Element aller Arbeiten ist die Erzählstimme aus dem Off sowie der enge Bezug der Handlung zur polnischen und westlichen Kunst der Postmoderne. Die Miniaturen, die Polska in „My favourite things“ nachgestellt hat, oder die akribisch recherchierte Performance von Wodzimierz Borowski, die in „Sensitization to Colour“ die Form eines reenactments annimmt, weisen darauf hin, dass sie mit diesem Videotrio einen Versuch der Selbstverortung als Künstlerin unternimmt. Die Achtung und Verehrung der Künstlergeneration der 1950er und 1960er Jahre spielt eine ebenso große Rolle wie das Bewusstsein darum, dass – wie schon Walter Benjamin proklamierte – das Original im Akt der Rekonstruktion seine Aura einbüßt. Polska jedoch zeigt eindrucksvoll, dass dieser Prozess auch eine kathartische Wirkung haben kann. In der Überzeugung, dass „Missverständnisse, Falschinterpretationen (…) die Faktoren [sind], die Kultur antreiben, indem sie neue Eigenschaften kreieren und neue Fragen aufwerfen“, ermöglicht sie einen unkonventionellen und damit erfrischenden Zugang zur Kunst der Moderne.
Berlinische Galerie, Alte Jakobsstr. 124-128 , U-Hallesches Tor, Öffnungszeiten: Mi-Mo 10h-18h
Agnieszka Polska My Favourite Things, 2010, © the artist, courtesy AK | BRANICKA, Berlin
Agnieszka Polska How the Work Is Done, 2011, © the artist, courtesy AK | BRANICKA, Berlin