AfD-Wähler, die unter der AfD nichts zu wählen hätten

oder Diese Leute nicht mit Vorurteilen zu sehen, stellt auch eine Kulturleistung dar.
AfD-Wähler, die unter der AfD nichts zu wählen hätten Der alte Mann schleppte sich in die Straßenbahn, lehnte seinen Stock an die Haltestange und kramte eine Bildzeitung aus seiner Einkaufstasche. Er wirkte ungepflegt, sein Haar war strähnig, hatte Zähne wie Sterne, gelb und weit auseinander. Auf seinem Hemd klebten die Überreste einer Mahlzeit. Ein jüngerer Mann entschuldigte sich, er würde ihm ja seinen Sitzplatz anbieten, aber er sei erst kürzlich am Knie operiert worden. Die Alte fragte nach, hörte vermutlich schlecht, winkte dann jedoch ab, er wollte ohnehin stehen, so behindert sei er ja noch gar nicht. Der Jüngere entschuldigte sich nochmals, erwähnte nochmals seine OP. Wahrscheinlich wollte er seine Story loswerden. Er trug schmutzige Jeans und sein Blick schien ungewaschen und stumpf. So quatschten sie ein wenig belanglos vor sich her. Nach wenigen Sätzen deutete der Alte auf einen Text in der Zeitung, es ging um die AfD, um die berechtigte Angst der Politiker, darum, dass diese Regierung fortgejagt werden müsse und die AfD hoffentlich an die fünfzig Prozent bei der nächsten Wahl bekommen sollte. Der Jüngere nickte, keuchte etwas Unverständliches durch das schwarze Loch in seinem Gesicht und beide ergossen sich in wütenden, aber rhetorisch unbeholfenen Floskeln.

Das waren die ersten AfD-Wähler, die mir tatsächlich und bewusst begegnet sind. Zwei abgeranzte Kreaturen, wie sie nur der Moloch einer Großstadt ausspucken kann. Zwei Organismen aus Dreck und Speck, wie sie nur in der Urbs darben können, ohne provinziell gemustert zu werden. Der eine wahrscheinlich ein vorzeitig gealterter Frührentner, der langsam der Verwahrlosung anheimfiel; der andere einer, der irgendwelchen Räuschen nacheilte und schon lange in eben derselben vor sich hin gammelte. Die Art ihrer Rede verriet, dass sie sich nicht sonderlich viel aus Literatur oder Bildung ganz generell machten. Sie lebten ihr Leben, hielten sich über Wasser, jagten dem kurzen und wankelmütigen Glück eines Alltages nach, der schon zufriedenstellte, wenn er sie nicht auffraß, sie irgendwie überleben ließ.
Die Wohlstandsgesellschaft hat ihre Gesichter. Auch diese beiden gehören dazu. Sie sind die Verlierer, die Gewinne ermöglichen. Nachvollziehbar wütend, nachvollziehbar voller Hass auf diejenigen, die vermeintlich noch schwächer sind als sie. Man braucht Adressaten seiner Unzufriedenheit. Und all die Krawattenträger in der Straßenbahn, die aus ihren Hochhäusern herunterkommen, um zwei Stationen weiter Mittagspause zu machen, jagen diesen Figuren zu viel Respekt ein, als dass sie dorthin ihre Enttäuschung zustellen würden.
Vor Jahren schrieb ich darüber, dass es einer Kulturleistung gleichkomme, sich im Alltag nicht in Vorurteile und ins Rechtsextreme zu verstricken. Jeder von uns ist grundsätzlich voller Ressentiments und Ansichten, die nur bedingt menschlich sind. In Gedanken würgen wir die Wichser, die uns über den Weg laufen; wir machen sie nieder, sind Helden unserer Phantasie, selbstgerechte Totschläger, sinnieren uns Strafen für diejenigen aus, die uns ärgern. Das ist menschlich und dies zu leugnen wäre nur unmenschlich und eine nicht normale Überethik. Ich schrieb damals, dass das Rechtsradikale in uns schlummert, es aber zu bändigen, das ist Zivilisationsauftrag und Kulturleistung. Aber wenn man am Boden einer Zivilisation herumkrebst, brechen auch solche Errungenschaften weg. Man holt die schlechtesten Seiten aus sich heraus, kultiviert den Menschenhass, wo er kanalisiert gehörte.

Gewissermaßen hatte ich im Nachgang dieser kurzen Geschichte in der Straßenbahn Verständnis für beide. Ich rechtfertigte es nicht, konnte es aber nachvollziehen. Im Augenblick aber, da ich dieser beiden Männer lauschte, wuchs nur meine Wut und mich packte Abscheu. Der Alte dürfte in den Augen der elitären Bonzen aus dieser Partei, auch nur ein Krüppel sein, den man zu nichts gebrauchen kann. Und der andere, der junge Mann, den werden sie zwangseinweisen oder zwangsarbeiten lassen. Je nachdem, was günstiger ist. Ich spürte, dass ich diese Dummheit, als Lamm zum eigenen Schlachter zu kutschieren, nicht begreifen konnte und wie es mich zornig machte.
Dummer alter Mann, fünfzig Prozent für diese AfD und du bist noch weniger als jetzt. Blöder junger Idiot, dich haben sie sicher am Wickel, wenn du bist das, was sie ganz sicher nicht wollen für ihr neues Deutschland, dachte ich bei mir. Und überhaupt, wenn ich es mir recht überlege, empfinde ich es als Beleidigung, dass ich als Teil der Allgemeinheit für Leute wie euch aufkommen muss, Steuern bezahle, damit ihr halbwegs überlebt, um dann in öffentlichen Verkehrsmitteln über Parteien zu schwärmen, die den Hass und die Verkleisterung sozial- und rechtsstaatlicher Gedankengänge und die Abkehr von Menschen- und Bürgerrechte an sich, predigen. Sozialkassen dafür, dass ich mir diese Wahlbereitschaften anhören muss? Damit diese Leute bestimmen, wo es langgehen soll? Aber was wäre die Konsequenz? Ihnen das Wahlrecht entziehen? Die AfD würde das bei Arbeitslosen wollen. Wäre ich nur etwas dümmer, müsste ich die AfD wählen, damit sie so einer nicht mehr wählen kann. Aber der junge Knieoperierte wusste davon natürlich nichts. Die Dummen, die zersetzen unser Land, man sollte ihnen wenigstens alle Mittel strei...
Und dann wurde es mir bewusst. Auch ich muss zuweilen hoffen, dass der Zivilisationsauftrag an mir nicht versagt, muss Kulturleistung vollbringen. Bei dem einen schlägt das Rechtsextreme durch, beim anderen der Neoliberalismus in ihm. Jeder muss sich hie und da in den Griff kriegen, muss die blanke Wut an die Leine nehmen und seine Mitmenschen weiterhin als Menschen betrachten, auch wenn es schwer ist. Ich hielt mich im Griff, sagte nichts, dachte es mir bloß, überdachte nochmal und sah ein, dass Wut normal ist, aber man sich davon nicht leiten lassen dürfe. Wenn das noch der Alte und der Junge einsehen würde und all die anderen, die Protestwähler werden, dann hätte sich die AfD erledigt, weil sie am gelungenen Zivilisationseffekt gescheitert wäre. Aber der Lack ist bekanntlich dünn und Wut wieder ein Ratgeber, dem man folgt.

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