Achsbruch der Hoffnung?

 

Chávez ist krank - unter Umständen sterbenskrank. So ist das mit Menschen, sie können sterben. Mit Chavez' Erkrankung könnte aber auch der Gegenentwurf zum Neoliberalismus, Die Achse der Hoffnung wie Tariq Ali das neue südamerikanische Selbstbewusstsein und die Bolivarische Revolution nannte, dem Sterben überstellt sein.
Nur Venezuales Opposition erklärt der Welt Venezuela
Venezuela sei keine Monarchie, wetterte die bürgerliche Opposition, nachdem die Vereidigung des neuen und alten Präsidenten aufgrund Erkrankung auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. Der Einwand klingt vernünftig, wenn man es denn mit vernünftigen Leuten zu tun hätte. Chávez' politische Gegenspieler im eigenen Land sind allerdings alles andere als anständig. Sie halten die Medienmacht weiterhin aufrecht, leiten Fernsehsender und führen Zeitungen und vermitteln der westlichen Auslandspresse ein Bild von Venezuela, wie sie es inszenieren, um Chávez und den Bolivarismus international unmöglich zu machen.

Chávez, so erzählen sie herum, sei ein Diktator. Er treibe das Land in den Ruin und sei kommunistisch getrieben. Weshalb der oppositionelle Putsch von 2002 am Widerstand eines Volkes scheiterte, das angeblich unterjocht wird, konnte bis heute nicht geklärt werden. Dass seine "auf Lebenszeit ausgerichtete Diktatur" nur eine Reform für längere Legislaturperioden war, dass in Venezuela weiterhin Wahlrecht herrscht, darüber liest man in den Medien der Industrieländer, die von der venezolanischen Opposition mit Informationen gefüttert werden, noch weitaus weniger.
Yankee come here!
Es ist eine heikle Angelegenheit, einen Präsidenten an der Macht zu haben, der sein Amt nicht erfüllen kann. Die Bedenken der Opposition könnte man teilen, wenn man nicht wüsste, in welche Richtung sie Venezuela treiben möchte. Die Sozialisierung von Ressourcen, um für die unterprivilegierte Bevölkerung Hilfe, Bildung und ein Gesundheitswesen zu schaffen, würden schnell qua Privatisierung abgeschafft werden; internationale Konzerne schöpften erneut den Rahm ab, wie schon Jahrzehnte und Jahrhunderte bevor der Bolivarismus, das südamerikanische Selbstbewusstsein, sich des Washingtoner Konsens' zu entziehen, politische Gestalt annahm.
Natürlich haftet die Regierung nun an der Macht. Sie fürchtet, dass mehr Chávismo als Bolivarianismo in der Revolution steckt, dass also ohne Chávez dieser Gegenentwurf zum neoliberalen Kurs der Weltökonomie straucheln könnte. Die Opposition aus Grundbesitzern, Großunternehmen, Militärs und Medientycoons wird kaum dort weitermachen, wo Chávez aufgehört hat, sondern das Rad der Geschichte zurückdrehen und sich dem US-amerikanischen Imperialismus nach Art des Washington Consensus andienen. Möglicherweise werden sie bolivarische Relikte nicht nur abschaffen, sondern den Bolivarismus kriminalisieren und juristisch verfolgen, Anhänger Chávez inhaftieren und die Geschichte aller Sieger schreiben, was heißt: Die anderen waren und sind Verbrecher! in Geschichtsbücher diktieren. Oppositionen gegen die bolivarischen Revolutionen in Südamerika sind nicht zimperlich, wie man vor einigen Jahren in Bolivien sah, als sich die ehemalige Oberschicht aus Weißen und Mestizen und Nachfahren von Flüchtigen auf Basis der Rattenlinie gegen die indigene Revolte Morales' stellte und in Santa Cruz eine Art autoritäre Gegenregierung auf Grundlage klassistisch-rassistischen Traditionalismus' installierte.
Achsbruch! oder Die Achse der verlorenen Hoffnung?
Bricht mit Chávez' Abbleben der starke Mann der bolivarischen Revolution weg, so geht dem globalen Anti-Neoliberalismus nicht nur eine streitbare Gestalt, sondern womöglich die Portion Selbstvertrauen flöten, die nötig ist, um dem Zeitgeist der Totalökonomie zulasten der Menschen entgegenzuwirken. Die Gefahr ist, und die venezolanische Regierung weiß das, dass sich Venezuela drastisch wandelt, wieder die Hinterhofrepublik wird, die sie einst war. Und mit Venezuela geht der Welt die Hoffnung verloren, dass es durchaus anders sein kann als so, wie es uns die programmierte Alternativlosigkeit täglich wissen lassen möchte. Vor Jahren träumte man davon, dass eine antineoliberale Bewegung von Südamerika aus gegen die Interessen der Konzerne und der Finanzindustrie ihren Lauf nehmen könnte. Wäre das alles dahin, wenn die Parteigänger Chávez' nun aufsteckten?
Man kann über etliche Konzepte von Chávez' Politik streiten - die erdölbasierte Wohlfahrt kann kein Dauermodell sein, sie muss sich Säulen bauen, die dann greifen, wenn die Ressourcen zur Neige gehen oder sie durch eine Energierevolution im Bereich des Antriebs, wertlos werden. Aber am Grundgedanken, dass Armut kein Zustand für einen Menschen sein darf, dass Teilhabe unbedingt und eine Gesellschaft der Fürsorge innovativ ist, gibt es wenig zu rütteln. Das sind die Pfeiler des Anti-Neoliberalismus. (Sein lauter Stil hingegen, der für europäische Verhältnisse sonderbar ist, oder der um ihn wirkende typisch südamerikanische Verehrungskult, ist aufgrund von Mentalitätsunterschieden kaum kritisierbar.) Und diese Pfeiler brechen womöglich weg, wenn der Achsbruch der Hoffnung mit dem möglichen Tod Chávez und der Resignation seiner Erben geschehen ist.


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