Der Holocaust ist ein Missbrauchsopfer

 

Jemanden für einen Antisemiten zu erklären, um ihn politisch mundtot, ihn gesellschaftlich untragbar zu machen, ist nicht nur eine fiese Masche, sondern eine faschistisch anmutende Ideologie. So wie antisemitische Kapriolen öffentlich geächtet und als unannehmbar angesehen werden, so müssen auch Anfälle von Schau, das ist ein Antisemit! gesellschaftlich verpönt sein - nicht zögerlich und bedächtig, sondern mit derselben Empörungsgewalt, mit der zuweilen - leider nicht immer! - Antisemitismus geahndet wird.
Letztes Jahr sollte Günter Grass ein Antisemit gewesen sein - Friedman nennt dessen Gedicht furchtbar, vermutlich nicht sprachlich betrachtet, sondern weil ihm der Inhalt nicht gefällt. Broder und das Wiesenthal-Zentrum benennen Augstein ebenfalls als einen. Leider (oder zum Glück) geht den Wiesenthalern die Arbeit aus, Altnazis gibt es kaum noch, sie überdauern nicht. Jetzt sind deutsche Linke - nennen wir Grass und Augstein mal so; für Broder und Konsorten dürften beide wohl radikale Linke sein -, die gejagt werden müssen. Der Vorwurf, die europäische Linke sei antisemitisch geworden, schwebt schon länger im Raum. Grund dafür ist die Kritik an der israelischen Politik, die leider viel zu oft aus Vertreibung und Totschlag besteht und eine internationale Kriminalisierung der Palästinenser betreibt.

Eine Preziose der Dummheit dürfte indes Wickerts Zensurvorwurf sein. Broder nach seinem Schweinsgalopp erstmal dem Schweigen zu überstellen, sei nämlich eine Zensur der Mutlosigkeit. Er nennt den kleinen bösen Mann sogar einen Polemiker, nennt ihn in einem Atemzug mit Heine oder Kraus. Wickert übersieht, dass diese beiden gegen die politische Agenda ihrer Tage polemisiert haben; sie haben ihre Polemik nicht benutzt, um pseudo-intellektuelle Gesinnungsherrschaft im Verbund mit der amtierenden political correctness zu errichten. Nicht die Zensur ist mutlos, wie Wickert das schreibt: Eine Polemik, die auf Staatsagenden baut, die weitestgehend mit dem konform geht, was eine breite Basis hat, ist mutlos. Und die Kritik an israelischer Politik ist immer noch tabuisiert und gilt gemeinhin als geschichtsvergessen und als Revisionismus. Die beiden Polemiker aus der deutschen Geschichte, die Wickert aufzählt, waren jedoch insofern mutig.
Man muss Leuten wie Broder vorwerfen, dass sie den Holocaust missbrauchen, um die Politik eines heute agierenden Staates für sakrosankt zu erklären. Ist das das viel bemühte Wahren des Andenkens? Kritiker an Israels Politik für antisemitisch zu erklären, mit Blick auf die deutsche Geschichte freilich, immer die Shoa mitschwingen lassend in der Abkanzelung kritischer Positionen? Was Friedman und sein Kollege da errichten, ist nicht weniger als ein Wohlfahrtsausschuss moralisch fadenscheiniger Scharlatane und publizierender Kraftmeier. Le terreur auf rhetorischer Basis ohne Guillotine.
Vom Holocaust kann Gebrauch gemacht werden. Das ist gut und richtig. Nämlich als Warnung, als Mahnmal, als Beweis dafür, zu welchen Verbrechen Menschen an Menschen fähig sind. Avraham Burg beklagt in seinem Buch Hitler besiegen: Warum Israel sich endlich vom Holocaust lösen muss, dass die Ideologie, den Holocaust als israelische Staatsdoktrin, als Gründungsmythos aufzuführen, endlich abgeworfen werden müsse. Diese Doktrin hat Israel zu einem selbstgefälligen Staat in Dauernotwehr gemacht, hat der Verhandlungsfähigkeit Israels nachhaltig geschadet und zudem die fundamentalistische Losung vom auserwählten Volk neu entflammt. In der dauerhaften Betonung der Singularität des Massenmordes an den Juden, zeigt sich diese Auserwähltheit, die neben sich das Leid beispielsweise der Sinti und Roma schluckt. Burg meint natürlich nicht, dass man den Holocaust vergessen sollte, wie das Broder in seinem Buch mit ähnlich klingenden Titel gerne gesehen hätte (sic!), sondern dass man ihn generalisieren muss. Er ist sicherlich ein Verbrechen Deutschlands gegenüber den Juden, aber er ist weiterführend auch ein Verbrechen Europas (aufgrund der bereitwilligen Hilfsvölker Deutschlands) gegenüber Sinti und Roma, Kommunisten, Homosexuelle und weitere Gruppen. Anders gesagt: Ein Verbrechen des Menschen am Menschen. Dies zu betonen, immer wieder zu mahnen, wenn mal wieder ein Volksverhetzer auftritt, zu warnen, dass Hetze der Beginn war, bevor der Blutrausch entfachte, das ist der Gebrauch von Holocaust.
Missbrauch hingegen ist es, wenn man ihn benutzt, um die Politik des heutigen Israel für unantastbar erklären zu wollen. Das linke politische Spektrum kritisiert tatsächlich viel stärker diese Politik, als es der Konservatismus tut. Diesen Umstand nennen die Beschützer israelischer Außenpolitik kurios, denn ausgerechnet die Linke sei doch traditionell weniger antisemitisch gewesen, sei humanistischer und grundsätzlich philosemitisch. Womöglich ist es aber so, dass die Linke die Generalisierung des Holocausts bereits vergeistigt hat und demgemäß israelische Politik gegen Palästinenser ebenfalls als brutale Akte des Menschen an anderen Menschen erkennt. Und die angeblich antisemitische Linke kritisiert nicht das Judentum, sondern Israel als Staat - der Antisemitismus ist also nicht auf die Linke übergegangen. Es ist der Popanz eines Antisemitismus, der aufgebaut wird, um Israel in seinen Handlungen als moralisch unantastbar zu halten.
Antisemitismus ist geächtet, kann manchmal auch juristisch geahndet werden. Das ist richtig so. Diejenigen aber, die mit Der ist ja Antisemit!-Beschuldigungen aufwarten, die den Holocaust zum Missbrauchsopfer machen, indem sie nicht sein Andenken waren, sondern ihn zum geschmacklosen Argument gegen jegliche Kritik an einem Staat benutzen, der kriegs- und gewaltbereit gegenüber seinen Nachbarn agiert, muss mindestens auch gesellschaftlich geächtet sein - und wenn möglich, sollte man diesen Missbrauch unter Strafe stellen können. Den Holocaust leugnen ist die eine Seite der Medaille, die Opfer für politische Zwecke zu verwenden, das ist die Kehrseite derselben Medaille. Normal Finkelstein nannte einen etwas anders gearteten Missbrauch mit der Shoa im Jahre 2000 übrigens eine Industrie. Und wie am Fließband wird die Shoa auch von Broder und Konsorten missbraucht, um die Staatsdoktrin vom dauerhaften Notwehrzustand zu rechtfertigen, Angriffskriege als Verteidigung und Atomwaffenbesitz als Vernunftakt hinstellen zu können.
Wer dies tut ist nicht nur politisch unverantwortlich, sondern beleidigt auch  noch das Andenken der Menschen, die damals den Tod fanden. Denen ist zu gedenken; ihr Tod sollte, wenn man schon einen Sinn herausfiltern möchte, eine bessere Welt zur Folge haben, und nicht als Rechtfertigung für sozialen Ausschluss, gesellschaftliche Isolation, Ghettos, Stigmatisierung und Krieg herhalten müssen.


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