„Meiner“ und ich haben es nicht so mit dem Alkohol. Hin und wieder ein Frauenbier – so genannt, weil „Meiner“ jedes Mal belächelt wird, wenn er eins bestellt – alle paar Monate ein Schluck Likör in den Kaffee und ganz selten mal ein halbes Glas Wein, mehr nicht. Also wirklich nicht viel, oder? Nun, in den Augen unserer Kinder ist auch das zuviel. Die Predigten, die Karlsson mir jeweils hält, wenn ich ausnahmsweise mal Alkoholisches kaufe, bringen mich regelrecht ins Schwitzen. Dabei bin ich mir in Bezug auf Abstinenzpredigten einiges gewohnt, besuchten wir als Kinder doch Woche für Woche den „Hoffnungsbund“ des Blauen Kreuzes. Dort warnte uns ein alter, herzensguter Mann, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, die Jugend vor dem Alkohol zu bewahren, vor der Gefahr aus der Flasche. Er predigte aber nicht nur, er liess uns auch mit Blasrohren auf Flaschen, die er aus Sperrholz ausgesägt hatte, schiessen. Wer es schaffte, die Schnapsflasche, die am kleinsten war, umzublasen, bekam einen Preis. Dazu lehrte er uns das Sprüchlein „Bier, Schnaps, Wein – Nein!“, woraus wir Kinder natürlich „Bier, Schnaps, Wein – Fein!“ machten.
Nun, diese Zeiten sind längst vorbei und wie man sieht, hat der Hoffnungsbund mich zwar nicht zur Abstinenzlerin, wohl aber zu einer sehr zurückhaltenden Alkoholkonsumentin gemacht. Dennoch fühlte ich mich heute wie eine notorische Säuferin, als mir Karlsson ins Gewissen redete, bloss weil sich unter den Bergen an Einkäufen auch vier Flaschen Bier befanden. Frauenbier, wohlverstanden. „Mama, bist du verrückt geworden, so viel Bier zu kaufen?“, entrüstete sich Karlsson. Ich erklärte, das sei nun wirklich nicht besonders viel für zwei Menschen, zumal wir ja nicht alles an einem Abend trinken würden. „Das ist trotzdem zuviel“, beharrte Karlsson. „Ich will doch nicht, dass Papa und du morgen besoffen seid. Und überhaupt: Glaubst du, ich will, dass die uns ins Heim bringen?“ Verständnislos schaute ich unseren Ältesten an. „Warum sollen die euch ins Heim bringen?“ „Weil die euch die Kinder wegnehmen, wenn ihr besoffen seid“, erklärte Karlsson und zwar laut vernehmlich mitten im Supermarkt.
So langsam wurde mir die Sache peinlich. Und deshalb versuchte ich Karlsson zu erklären, dass ich nichts davon halte, wenn man Alkohol verbietet. Ich erzählte ihm von Bekannten, die mit striktem Alkoholverbot aufgewachsen waren und die später, als sie alt genug waren, vom Saufen nicht genug bekommen konnten. Ich legte ihm dar, dass ein Unterschied darin besteht, ob jemand Abend für Abend sein Feierabendbier braucht, oder ob er sich alle paar Monate mal etwas Alkoholisches gönnt. Doch je länger ich erklärte, umso skeptischer wurde Karlsson und am Ende fühlte ich mich wie ein Alkoholiker, der krampfhaft versucht, sein Laster kleinzureden. Vor allem dann, als Karlsson auch noch anfing, meine Jugendsünden, die ich ihm in einem schwachen Moment einmal gestanden hatte, auszubreiten: „Also wenn ich du wäre, würde ich mich ja heute noch schämen. Zweimal schon bist du betrunken gewesen.“ „Ja, als ich fünfzehn war“, verteidigte ich mich, aber Karlsson liess mein Hinweis auf meinen jugendlichen Leichtsinn nicht durchgehen.
Ich durfte mir dann noch den ganzen Heimweg lang anhören, wie ungesund so ein Bier sei – „Stell dir mal vor, wie viel Zucker es in so einer Flasche hat!“ – und dass das alles ja bloss herausgeschmissenes Geld sei und jetzt, wo die Kinder im Bett sind und ich eigentlich Zeit hätte, mit „Meinem“ den Abend gemütlich ausklingen zu lassen, ist mir die Lust auf unseren kleinen Genuss vergangen. Ich meine, man stelle sich mal vor, was geschehen würde, wenn ich danach besoffen wäre. Die würden uns ja die Kinder wegnehmen…