Abgesackt

„Molly-Maus, lass uns alle wohin fahren!“
Ich zucke zusammen. GANZ schlechte Idee. Eine von Herrn L.s Spontaneinfällen und wer mich kennt weiß, ich bin so spontan wie ein Felsen. Oder ein Block Granit. Oder Marmor.
Dummer Weise hätte ich allerdings damit rechnen können: Herr L. hat nämlich heute frei, die Sonne scheint und da ausnahmsweise auch keiner von uns krank ist, strotzt mein Liebster vor Tatendrang.
„Und was hast Du vor?“, frage ich kummervoll – mir schwant Übels!
Und wirklich: Mit einem gefährlichen Glitzern in den Augen verkündet er: „Wir könnten ja irgendwohin fahren und da spazieren gehen.“
„Das geht nicht!“ Ich schüttele den Kopf. „Ich muss heute dermaßen oft, na Du weißt schon, dass ich in Nähe einer Zivilisation und vor allem einer Toilette bleiben möchte!“
„Alte Frau“, grummelt Herr L.
Ich werfe eine Kartoffel nach ihm und will gerade zu meiner „Das ist der Preis für die Frucht Deiner Lenden!“-Rede ansetzen, als Herr L. fortfährt: „Wir könnten ja auch schön bummeln gehen oder ins RiesengroßeMöbelgeschäft in WeiterwegZivilisation fahren!“
„Nee!“ Ich schüttele nochmal den Kopf und zeige dann anklagend auf meinen leergefutterten Teller. „Das hättest Du mir früher sagen müssen. Jetzt bin ich vollgestopft und vollgeproft und will nur noch aufs Sofa!“
„Nix da, Fräulein“, entmündigt mich mein Mann, „Ab ins Badezimmer mit Dir, und glaub nicht, dass wir ewig auf Dich warten*!“
(* Zur Erläuterung: Zwischen Herrn L. und mir besteht die unausgesprochene Vereinbarung, dass er sich und die Kinder und ich mich selbst fertig mache; ist jedes Mal ein Kopf-an-Kopf-Rennen.)
Grummelnd trolle ich mich. Muss aber erst ins Wohnzimmer, weil da die Socken auf der Heizung hängen.
5 Minuten später kommt Herr L. „Ach hier bist Du, Molly! Ich hab Dich schon gesucht, ich dachte, Du wolltest ins Badezimmer.“
„Uahrg“, kommt es von irgendwo auf dem Sofa, „Ich brauche Pause!“
„Auf, Du Luder!“ Spricht`s und reißt die Kuscheldecke von mir runter.
Frechheit!
Grummelnd schlappe ich in den Flur, dabei stets darauf bedacht, der Schwerkraft zu strotzen; das dritte Stück Hackbraten war vielleicht doch etwas viel …
Ha, das ist es doch!
Ankagend drehe ich mich zu Herrn L. um und deute auf meinen Bauch. „Damit weiß ich eh nicht, was ich anziehen soll, macht also gar keinen Sinn, mich zu scheuchen. Ein schönes Verdauungsschläfchen, danach können wir gerne wohin fahren!“
„Nix da“, grinst Herr L.
„Aber wenn ich jetzt eine richtige Hose anziehe, schnürt es mir den Wabbelbauch ab“, heule ich.
Herr L. kennt kein Mitleid. „Dann ziehst Du halt einen Rock an!“
„Bist Du irre????“ Ich bin empört. „Wenn ich so im Rock rausgehe, fragen mich wieder alle, wie weit ich schon bin!“
„Selbst schuld, Süße, was musstest Du Dich auch so vollstopfen?“
Grrrr!
Ich schlappe weiter. Erstmal ins Schlafzimmer, Sachen zum anziehen raussuchen, bisher habe ich ja nur die Socken.
10 Minuten später stürmen ein komplett angezogener Herr L. und drei komplett angezogene Kinder ins Schlafzimmer.
„Molly-Maus?“ – „Mama?“
„Gnnnnrg“, kommt es von irgendwo aus dem Bett.
„Jetzt aber zackig!“, befindet Herr L. und reißt die schöne, dicke Daunendecke von meinem unförmigen Leib.
„Ich will nicht“, jammere ich kläglich.
Größtes mustert mich kritisch. „Ja, Mama, also wenn Du nicht in 2 Minuten fertig bist, dann musst Du halt hier bleiben, dann fahren wir ohne Dich!“
Das zieht.
Dank jahrelanger Übung schaffe ich es tatsächlich binnen kürzester Zeit, mich gesellschaftstauglich zu machen. Dann fahren wir auch schon los.

45 Minuten später.
„Wasn? Gnrg?“, frage ich Herrn L. und wische mir etwas Sabber vom Kinn.
„Wir sind da, mein Schatz!“
Recht hat er: Vor uns befindet sich RiesengroßesMöbelgeschäft. Ich überschlage kurz alle Fakten bezüglich Kontostand und Behandlung durch den Ehemann. Dann beuge ich mich vor, küsse Herrn L. und dieses Mal sind es meine Augen, die gefährlich glitzern.
„So, Süßer“, verkünde ich, „dann kauf mir jetzt mal ein neues Bücherregal!“
„Äh, was? Wir wollten doch nur bummeln?“ Herr L. ist entsetzt.
„Ja, da hab ich jetzt Lust zu, ich brauche schon lange ein Neues“, verkünde ich, Und, weil ich nunmal ein wenig rachsüchtig bin, füge ich hinzu: „Dann können wir den Rest des Tages Bücher umräumen – ist das nicht großartig?“
Pech für ihn, denn ich bin wieder voll aufgeladen, aufgetankt an Körper und Geist. Der Tatendrang ist mir und der Bauch ist auch wieder flach! Geht doch nichts über ein Verdauungsschläfchen, während Herr L. sich aufs Autofahren konzentrieren und gleichzeitig die Logansmeute unter Kontrolle halten musste. Aufgabenteilung, so muss das sein!
Ich verteile die Kinder in und neben den Einkaufswagen. Herr L. erwidert mein Lächeln mit dem müden Blick eines Mannes der weiß, dass er verloren hat und jetzt bluten muss.
Vielleicht lässt er mich das nächste Mal einfach zuhause schlafen.


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