"A more perfect union" - Vorbild USA?

Von Stefan Sasse
In der LA Times vergleicht Bruce Ackerman die Philadelphia Convention von 1787 (siehe hier im Geschichtsblog) mit der derzeitigen EU-Krise und Großbritannien mit dem damals ähnlich renitenten Rhode Island. Wenn wir seine Prämisse akzeptieren - dass das, was wir gerade erleben, sehr wohl die Geburt der Vereinigten Staaten von Europa sein könnte und dass die Weigerung der Briten effektiv ihre Exklusion zur Folge haben könnte - dann könnten wir das Beispiel gleich auf die Spitze treiben. Einmal angenommen, es würde tatsächlich eine Föderation europäischer Staaten gegründet, an deren Spitze dann eine echte, gewählte, europäische Regierung steht - warum modellieren wir diese nicht nach dem erfolgreichen Abbild der Politikstruktur der USA? Die einzelnen Mitgliedsstaaten behalten relativ umfrangreiche Rechte zurück (wesentlich mehr als etwa die Bundesländer), besitzen weiterhin ihre lokalen politischen Strukturen und Prozesse, die auch nach völlig unterschiedlichen Regeln funktionieren, während es eine Art darübergestülpte Europa-Ebene gibt, eine ganz neue Bundesregierung. Deren exekutive, legislative und judikative Form könnte dabei der der USA entsprechen. Wie würde das dann aussehen? 
Die judikative Gewalt entspräche dem Surpreme Court oder dem deutschen Bundesverfassungsgericht. Diese Entwicklung ist bereits am weitesten fortgeschritten, denn der Europäische Gerichtshof hat sich in den letzten Jahren bereits eine Reihe von Kompetenzen angeeignet, die seine Intention deutlich werden lassen, die letzte Instanz der EU zu werden. Vorausgesetzt, dass die nationalstaatlichen obersten Gerichtshöfe (besonders das BVerfG) das zulassen, könnte er diese Funktion ohne größere Änderungen übernehmen und wäre damit quasi die erste gesamteuropäische Gewalt in diesem neuen System, die sozusagen bezugsfertig wäre. Das wäre eine Umkehr der Reihenfolge, wie sie bei Gründung der USA vorherrschte (hier wurde der Surpreme Court erst im frühen 19. Jahrhundert bedeutend), aber sie würde auf eine gewisse Art zur Mentalität besonders der Deutschen passen. Die vorherige Festlegung des juristischen Rahmens könnte durchaus helfen, Bedenken zu zerstreuen. 
Die Legislative könnte nach dem Modell des Kongresses als Zweikammernsystem durchgeführt werden. Dies hätte tatsächlich schwerwiegende Vorteile: einerseits ist ein solches System sehr gut geeignet, um Alleingänge eines Mitglieds zu verhindern und Sand ins Getriebe zu streuen, was besonders euroskeptischen Ländern sehr entgegen kommen dürfte. Andererseits ist durch die verschiedenen Repräsentationsmechanismen klar die Möglichkeit gegeben, sowohl die Bevölkerungszahl als auch die Mitglieder selbst zu repräsentieren. Das Repräsentantenhaus würde demzufolge wie das jetztige Europäische Parlament nach Bevölkerungszahl besetzt, während alle Mitglieder eine fixe Nummer von Senatoren in den Senat entsenden. Auf diese Art wird beiden nationalen Interessen gedient. Für die Konstituierung der Legislative wäre es allerdings absolut wichtig, dass das Wahlgesetz in allen Ländern gleich ist und nicht wie jetzt in jedem Land divergiert. Andernfalls kann eine europäische Bundesregierung niemals die Legitimation erlangen, die sie benötigt. Ein solcher politischer Aufbau würde aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem raschen Aufbau von europäischen Parteien führen, da anders in einem solchen Gremium kaum mehr gearbeitet werden kann, besonders da die Zahl der Abgeordneten kaum das jetztige Niveau behalten kann, das für ein Arbeitsparlament absurd hoch ist. 
Die Exekutive bestünde dann aus einem alle X Jahre zu wählenden Präsidenten, der über eine allgemeine Volkswahl in allen Mitgliedsstaaten bestimmt wird. Nach Lage der Dinge wäre das derzeit keinesfalls ein Deutscher; wahrscheinlich würde sich ein Politiker irgendeines kleinen Mitgliedslands wie Belgien, Luxemburg oder etwas Ähnlichem als Kompromisskandidat herausstellen, sofern nicht eine große Zahl von Kandidaten zu ersten Wahl antritt, was durchaus möglich ist. Spätestens nach ein oder zwei Wahlen und der Konstituierung europäischer Parteien in der Legislative dürfte aber auch die Wahl des Präsidenten in dieses Schema fallen. Seine Funktion wäre dann vorrangig die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie die interne Koordination. 
Wenn eine solcherart konstruierte Europäische Föderation Bestand hätte, würden vermutlich die einzelnen Mitgliedsstaaten mehr und mehr an Bedeutung verlieren und sich Kompetenzen Stück für Stück auf die neue Bundesebene verlagern. Der Präsident würde an Gewicht gewinnen, ebenso die Legislative, während die nationalen Parlamente an einigen spezifisch verfassten, für das Funktionieren der Föderation aber irrelevanten überkommenen Rechten festhalten und die Verwaltung der kleinen Bereiche selbst übernehmen würden. Als absolut notwendig für ein solches Funktionieren wäre allerdings die demokratische Legitimation durch ein allgemeines, gleiches, geheimes und regelmäßig ausgeübtes Wahlrecht sowie die Bildung von europäischen Parteien. Letzteres allerdings würde vermutlich automatisch vor sich gehen. 
Und wer jetzt kommentieren will, bedenke vorher: das ist eine Spinnerei, keine Prognose. Ich sage weder, dass es so kommen wird, noch dass es so kommen sollte. Es ist allerdings tatsächlich eine Möglichkeit, deren prinzipielle Funktionsfähigkeit wir am historischen Beispiel überprüfen können. So, legt los. :)

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