99. Nachwuchspreis

Der Cuxhavener Joachim-Ringelnatz-Preis für Lyrik geht in diesem Jahr an Nora Gomringer, José F. A. Oliver aus Hausach erhält den Nachwuchspreis. Die Preise werden laut einer Pressemitteilung am 21. April bei einem Festakt im Stadttheater Cuxhaven verliehen. Die Laudatio auf Oliver wird dabei Nora Gomringer halten.

Eine Jury aus Fachleuten bestimmt den Preisträger. Nach den Vorgaben hat dieser das Recht, einen Nachwuchspreisträger zu benennen. Gomringer, die 2011 bereits Gast beim Hausacher „LeseLenz“ war, sprach sich für Oliver aus, „weil seine Texte ungläubig staunen lassen, sind sie doch uneitel dicht-gepackt mit Sprachfreude und Lebensklugheit“. / Schwarzwälder Bote

Die Preisträgerin Nora Gomringer ist Jahrgang 1980, der Nachwuchspreisträger ist 19 Jahre älter. Das ist schon mal ein Unterschied. Ein zweiter ist das Geld, der Preis bringt € 15.000, der Nachwuchspreis immerhin 5.000. Der wichtigste Unterschied allerdings ist noch nicht benannt. Nora Gomringer wurde von einer bestallten Jury ausgewählt, deren Mitglieder in den von der Stadt Cuxhaven veröffentlichten Richtlinien für die Vergabe des Preises benannt werden. Hinzu kommt ab der zweiten Vergabe der jeweilige Preisträger, das war im Jahr 2010 Wulf Kirsten. Demnach ist die Jury bis auf den Preisträgerplatz anscheinend seit mehr als 10 Jahren konstant besetzt laut Satzung. In dieser heißt es:

§ 1

Der Joachim-Ringelnatz-Preis soll an Dichterinnen/Dichter vergeben werden, die einen bedeutenden, künstlerisch eigenständigen Beitrag zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur geliefert haben.

§ 2

Selbstvorschläge oder Bewerbungen für den Preis sind nicht zulässig.

§ 3

(1) Die/Der Preisträgerin/Preisträger wird mehrheitlich durch ein fünfköpfiges Preisfindungskomitee bestimmt, das in Cuxhaven zusammentritt und dabei über die Vergabe entscheidet.

(2) Das Preisfindungskomitee setzt sich aus vier berufenen Mitgliedern, der/dem jeweiligen Preisträgerin/Preisträger und einer/einem nicht stimmberechtigten Vorsitzenden zusammen.

(3) Als Mitglieder des Preisfindungskomitees werden berufen: Prof. Heinz Ludwig Arnold (Verleger und Publizist, Göttingen); Prof. Dr. Sabine Doering (Literaturwissenschaftlerin an der Universität Oldenburg); Professor Dr. Hermann Korte (Literaturwissenschaftler); Winfried Stephan (Direktor und Vertreter des Verlegers bei Diogenes, Zürich). Den Vorsitz und das Amt des Sprechers übernimmt Professor Dr. Frank Möbus.

Die vierköpfige Festjury plus variablem fünftem Mitglied haben seit 2002 diese Autoren ausgezeichnet:

1. 2002 Peter Rühmkorf (Nachwuchspreis: Alexander Nitzberg)

2. 2004 Robert Gernhardt (Nachwuchspreis: Thomas Gsella)

3. 2006 Wolf Biermann (Nachwuchspreis: André Schinkel)

4. 2008 Barbara Köhler (ein Nachwuchspreis wurde nicht vergeben)

5. 2010 Wulf Kirsten (Nachwuchspreis: Christian Rosenau)

Alter von Preisträger und Nachwuchspreisträger zum Zeitpunkt der Preisverleihung (grob nach Geburtsjahr ohne Berücksichtigung des Datums gerechnet):

  • 2002: 73 / 33
  • 2004: 67 / 46
  • 2006: 70 / 34
  • 2008: 49 / –
  • 2010:  76 / 30
  • 2012:  32 / 51

Dieser Jahrgang hat also mit Abstand die jüngste Preisträgerin und den ältesten Nachwuchspreisträger. Warum es 2008 keinen Nachwuchspreis gab? Da ich mir nicht vorstellen kann, daß Barbara Köhler keinen würdigen Kandidaten / Kandidatin fand, ziehe ich es vor zu spekulieren, daß ihre Wahl von der ständigen Jury nicht abgesegnet wurde. (Wers genauer weiß, kann sich ja melden. Transparenz heißt Glasnost).

Der typische Ringelnatzpreisträger ist männlich und um die 70. In zwei Ausreißerjahren kamen Frauen an die Reihe, die durchweg jünger bis viel jünger waren, 30, 40 Jahre jünger. Wenn ich das mit Paragraph 1 der Richtlinien zusammensehe, wurde vor 70, 80 Jahren eine starke Generation geboren, die bis heute Maßstäbe für die „Gegenwartslyrik“ setzt. Abgesehen von ein paar Frauen (eine Frauen- oder Jugendquote wollen wir nicht unterstellen). Vielleicht hat die Festjury ja auch die Schieflage bemerkt und zweimal korrigierend eingegriffen. Oder die variablen Juroren, Biermann und Kirsten („die aus dem Osten“) haben sich stark gemacht.

Wie auch immer: ich halte alle Preisträger für ehrenwert, aber die Jury insgesamt für eher mangelhaft unterrichtet über „Gegenwartslyrik“.  (Natürlich kann und muß Cuxhaven gar nicht ausgleichen, was die Republik nicht auf die Reihe kriegt).

Was diesen Jahrgang betrifft, sehe ich bei allem Respekt vor der Preisträgerin eine ganze Reihe jüngerer und auch älterer Lyrikerinnen und Lyriker, deren Beitrag zur Gegenwartslyrik deutlicher sichtbar ist. Und ich ziehe den Hut vor der Preisträgerin, die mit ihrer Wahl für den „Nachwuchspreis“ nicht zuletzt auf eine Schieflage des Preisbetriebs in Cuxhaven und um Cuxhaven herum aufmerksam macht. Und gratuliere beiden zu Ehre und Kohle, sowieso.



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