94. Lyrik + Ökonomie

Ich hätte die Zeitung beinah weggeworfen. Das Wesentliche (Politik, Geld, Wirtschaft etc.) lesen ohnehin genug von den Wesentlichen – da kann ich mich ruhig auf die Lyrik konzentrieren. Aber in diesem Artikel im Wirtschaftsteil der „Zeit“ kommen die Stichworte Unternehmer | Unternehmensgründung, die man dort erwartet, zusammen mit einem dort eher seltenen vor: Lyrik. Und der ist wieder im Feuilleton des Blattes eher marginal. Kommt also seit neuestem vorwiegend im Politikteil vor, und nun auch hier:

Obwohl es seinen Verlag erst seit drei Jahren gibt, kann man Heidtmann fast einen Verleger alten Schlags nennen, ganz im Dienste der Literatur, wie man bei den großen Ketten kaum mehr einen findet. Der Gründer des Poetenladens hat es sich zur Aufgabe gemacht, neue Stimmen zu entdecken und zu fördern. …

Im Netz hat alles angefangen. Mit der Plattform poetenladen.de schuf Andreas Heidtmann 2005 einen Raum für Autoren, in dem man Gedichte findet und Rezensionen, Neuigkeiten und Gespräche. Jeder kann hier einen Beitrag einschicken; interaktiv ist die Seite jedoch nur bedingt. Die Einsendungen filtert Heidtmann mit seinem Team, und nur die von Qualität stellt er aus. Er ist der Gatekeeper, der es den Autoren erlaubt, sich mit einem Profil zu präsentieren.

Bald tummelten sich auf seiner Plattform vor allem Lyriker. Ihre kurzen Texte hätten wohl besser auf den Bildschirm gepasst als ganze Romankapitel, meint Heidtmann. Bleiben wollten sie aber nicht. Schon fragten die ersten Autoren, ob er ihre Werke nicht drucken könne. Und Heidtmann merkte: Wenn er es nicht täte, kämen andere. Längst hatten auch die Vertreter von Verlagen die Plattform für sich entdeckt und durchsuchten sie nach neuen Talenten wie sonst kleine Lyrikbühnen und Festivals. …

Die großen Publikumsverlage suchen derzeit nach Lösungen, mit der digitalen Herausforderung namens E-Book fertig zu werden. Andreas Heidtmann geht den umgekehrten Weg. Ein Jahr nach dem Aufbau seiner Internetplattform druckte er die ersten Texte aus dem Netz im Poet Nr. 1. Er nennt ihn ein Magazin, doch mit seinem illustrierten Pappcover ähnelt die Sammlung, von der inzwischen die zehnte Ausgabe erschienen ist, bereits einem Buch. …

2008 gründete Heidtmann den Poetenladen-Verlag – für richtige Bücher, von denen er inzwischen etwa zehn im Jahr druckt. / Inge Kutter, Die Zeit 12



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