Bewegend sind biografische Anekdoten über den ungeliebten Stiefvater, der Baudelaire verstoßen hatte. In Gegenwart des General Aupick durfte nicht mal der Name des Dichters geäußert werden.
Das aber taten die ahnungslosen Jungschriftsteller Maxime Du Camp und Gustave Flaubert bei einer Begegnung am Bosporus, als sie mit der Frage konfrontiert wurden, ob es in Paris wohl hoffnungsvollen literarischen Nachwuchs gebe. Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. Das Resultat: eiskaltes Schweigen. Später, heimlich, tritt Baudelaires Mutter an Du Camp heran, der noch nicht ahnt, mit wem er es zu tun hat. “Nicht wahr, er hat Talent?”, lautet ihre Frage.
Während des Lesens fragt man sich gelegentlich, was hier eigentlich beeindruckender ist, Calassos scharfsinnige Interpretationen von Gedichten und im Buch farbig abgebildeten Gemälden oder das enzyklopädische Wissen, das er nicht einfach anhäuft, sondern zu einer fesselnden Kulturgeschichte verknüpft. Im Zentrum steht der titelstiftende Traum Baudelaires von einem Museumsbordell, den Calasso ausführlich kommentiert. Traum und Traumdeutung sind aus dem Moderne-Kontext nicht wegzudenken.
Das Buch, Teil eines groß angelegten Oeuvres über Literatur, Kunst und Mythologie, ist Stimulans und Augenöffner. Wer sich für den Überdichter Baudelaire begeistert, kommt an Calasso nicht vorbei. / Tobias Schwartz, Die Welt
Roberto Calasso: Der Traum Baudelaires. Aus dem Italienischen von Reimar Klein. Hanser, München. 496 S., 34,90 €