Erst kommt das Experiment, dann folgt der Realismus: Weshalb das Zwei-Phasen-Modell im Werk des saarländischen Dichters Ludwig Harig, der an diesem Mittwoch fünfundachtzig Jahre alt wird, zugleich wahr und falsch ist.
Von JOCHEN HIEBER, FAZ:
„Kinderspiel, Gesellschaftsspiel, Sprachspiel: Von Anfang an lief mein Leben aufs Spiel hinaus“, notiert er in der bisher unveröffentlichten Skizze „Meine Siebensachen“, die Ende des Monats im gleichnamigen Band der Werkausgabe erscheinen wird. Auf stolze neun Bände wird es diese von Werner Jung, Benno Rech und Gerhard Sauder seit 2004 betreute Edition dann gebracht haben, ein Ende ist nicht in Sicht. Woraus man entnehmen kann, dass Harig über die Jahrzehnte hinweg ein Wort- und Sprachspiel-Unternehmen von stupendem Ausmaß aufgebaut und ohne jede nennenswerte Schreibkrise auch kontinuierlich erweitert hat.
Auf den ersten Blick bietet es sich an, sein Werk in zwei Phasen zu gliedern. Vom Anfang der sechziger bis zur Mitte der achtziger Jahre dominiert dann eine sprachexperimentelle Grundrichtung, die sich Harig ab 1955 bei seinem Stuttgarter Lehrer, dem existentiellen Rationalisten Max Bense, aneignete. Sie führte ihn literarisch zunächst zur Konkreten Poesie und fand ihren Höhepunkt sowohl in den Hörspielen der sechziger Jahre als auch im Prosatext „Rousseau – Der Roman vom Ursprung der Natur im Gehirn von Ludwig Harig“ von 1978. Legt man das Zwei-Phasen-Modell zugrunde, folgt der allmähliche Übergang in ein traditionelleres Schreiben und – vor allem – Erzählen mit dem programmatischen Essay „Mein realistisches Geschäft“ (1976), ebender „Saarländischen Freude“ sowie der Novelle „Der kleine Brixius“ (1980). Mit den drei autobiographischen Romanen „Ordnung ist das ganze Leben“ (1984), „Weh dem, der aus der Reihe tanzt“ (1990) und „Wer mit den Wölfen heult, wird Wolf“ (1996) findet Harig schließlich ganz zu seiner wahren Begabung und gewinnt nun endlich auch ein großes Publikum.
Das Modell ist wahr und falsch zugleich. …