Elfriede Jelinek hat einen klugen Text der Solidarität geschrieben:
Ich habe lange überlegt, wie ich mich mit den Pussy Riot solidarisch erklären könnte. Ich habe sogar einen kleinen Text geschrieben, den ich in meine Homepage stellen wollte, ein Foto von mir selbst dazu, mit verklebtem Mund oder einer Papiertüte über dem Kopf. Ich habe das nicht getan, einerseits, weil mir Aktionismus überhaupt nicht (mehr) liegt, andrerseits weil mir bewußt ist, daß ich alles dürfte, um diese Frauen zu unterstützen, die das nicht dürfen sollen, was sie, als ihr ureigenstes Recht, getan haben: öffentlich aufzutreten, in einer Kirche (o Gott! Und auch du, gute Heilige Jungfrau! Wir kennen uns schon so lang, schon aus der Klosterschule, sag ehrlich: Fühlst du dich jetzt geschändet? Wie kann dich das erreichen, lieber Gott, da du doch immer warst, immer sein wirst und immer im Kommen sein wirst, während Popstars entweder im Kommen sind oder auf dem absteigenden Ast, wenn niemand mehr nach ihnen fragt. Aber nach Gott und seiner Mutter kann man fragen oder nicht, er bleibt immer gleich, Er, er kann nicht beleidigt werden, er ist das Sein selbst, dessen die Menschen bedürfen, die das Sein nicht sind, sondern ihm gehören. Was nicht bedeutet, daß sie auch Ihm, Gott, gehören würden. Sie bestimmen selbst, wem sie gehören wollen. Sie sind da hergestellt, nicht: hergestellt worden, sagen, was sie zu sagen haben, denn am Anfang war das Wort, und das Wort gehört jedem, der es sich nimmt, und dem ist es dann auch gegeben. Ein Gott schaufelt sich im Kommen den Platz frei, der er selber ist, in seiner eigenen Stille, aber seine Menschen dürfen, müssen auch laut sein dürfen, wenn und wann immer sie wollen). Die Menschen stehen mit sich selbst dafür ein, (ohne daß sie dabei geschlagen und verletzt werden dürften), daß sie dem Nichts, aus dem sie kommen (oder der Schöpfung, je nachdem) das Wort entreißen und sagen, was sie zu sagen haben.
Diese drei jungen Frauen, die Pussy Riot, haben in einer Kirche gesungen, das gehört sich dort so, und sie haben wild getanzt, eine Art Veitstanz, eben wie es sich gehört, wenn in einem Staat, der auf dem Weg in die Totalität ist, Menschen sich etwas herausnehmen müssen, um gehört zu werden, was schwierig ist, denn alle Schubladen sind schon zugesperrt, die Tür ist verrammelt, da muß man fest dagegentreten, damit man sich seinen Raum, dieses Offene, in dem man sprechen, singen, tanzen darf, nein: muß, freischaufeln kann, damit man vernommen (und nicht: einvernommen) werden kann; und sie haben sich gegen ihren Präsidenten Putin geäußert, in einer Kirche, man stelle sich vor!, sie haben die Gottesmutter gegen ihn zu mobilisieren versucht, wen haben sie da gelästert? Gott oder Putin? Oder sind die beiden gleichzusetzen? Wer Putin beleidigt, beleidigt Gott? Seine Mutter? Die Kirche? Man kann ja noch nicht einmal sagen, daß das ein legitimer Protest war und das Recht auf Protest ein Menschenrecht, denn der Protest, jeder Protest, der sich gegen die Gefährdung von Grundrechten richtet, ist Pflicht, nicht Recht. Die jungen Frauen mußten tanzen, singen, schreien, es blieb ihnen gar keine andre Wahl.
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