Erst anderthalb Jahre zuvor war sie aus London nicht etwa nach Polen oder Russland gezogen, in Länder, deren Sprachen sie beherrscht, wie ihre mehrfach ausgezeichneten Übersetzungen, unter anderem von Olga Tokarczuk, Hanna Krall und Svetlana Vasilenko, zeigen. Nein, Kinsky zog nach Budapest, ohne Ungarisch zu sprechen. Anderthalb Jahre lebte sie mit dem Gefühl, kein Wort in der schwierigen Sprache sagen zu können. Dann zog sie nach Battonya, legte vor dem «alten, mariatheresiengelben Serbenhaus» einen Garten an, vermietete den Rest des Feldes, erkundete die Gegend und schrieb. «Meine Texte sind aus der Sprachlosigkeit im Alltag entstanden. Die Namen der Dinge bekommen auf einmal einen ganz anderen Wert, wenn man alles neu benennen lernen muss.» «ich nenne die welt / wie ich will», heisst es in «die ungerührte schrift des jahrs»: «mein / abend- und morgenland und / schweige dabei, in der / mundart der dinge / zuhaus.»
Im Banat, das sowohl in Ungarn wie in Rumänien und Serbien liegt, wuchs die Schriftstellerin Esther Kinsky heran. In den achtziger Jahren hatte die Übersetzerin schon zwei Kinderbücher und Gedichte auf Englisch veröffentlicht. Nun erschrieb sie sich unter dem Eindruck der Sprachlosigkeit einen Zugang zur Tiefebene. / Jörg Plath, NZZ 14.9.