73. Dionysische Groteske

Es war an der Zeit, diesen Lyriker kennenzulernen. Seit über vierzig Jahren hat er, auf erfrischend unakademische Weise und in Personalunion von Dichter, Übersetzer, Herausgeber und Kritiker, der amerikanischen Poesie höchst lebendige Impulse gegeben, dabei immer auf Abstand zu den Moden des Augenblicks bedacht. Eine gelungene Auswahl des Whitman-Übersetzers Jürgen Brôcan stellt ihn nun im Rahmen der reizvollen Edition Lyrik-Kabinett bei Hanser erstmals dem deutschsprachigen Publikum vor. Und bei der Lektüre wird klar: Clayton Eshleman hat es in sich. …

Die Höhle selbst, Tor zu den Mysterien des Unbewussten, Zugang zur verleugneten Macht des Weiblichen, den eine in Stein gravierte Vulva bezeichnet, wird denkbar körperlich erfahren. Ihre Gänge sind wie mit Tierhaut ausgekleidet, einmal geht ein Liebesakt ihrem Betreten voraus; ihre Enge erlöst von der Enge moderner Existenz. Das Eindringen in diesen Temenos oder heiligen innersten Bezirk bedeutet für den Dichter die endgültige Befreiung aus dem Gefängnis des (puritanischen) Ich, Teilhabe an jener Kraft, «die uns die Cro-Magnons hinterliessen: / um einen Altar aus unseren Kehlen zu machen.» Es ist eine erotisch-poetische Kraft, die gerade beim Sich-Versenken in ein weibliches Bewusstsein – so bei Betrachtung der schlafenden Frau des Dichters oder des Lebens der tragischen Unica Zürn – eine grossartige, surreale Bildflut entfesselt. Solche Dichtung versteht sich als dionysische «Groteske». / Werner von Koppenfels, NZZ 19.1.

Clayton Eshleman: Die Friedhöfe des Paradieses. Ausgewählte Gedichte 1974–2010. Aus dem Amerikanischen von Jürgen Brôcan. Edition Lyrik-Kabinett bei Hanser, München 2011. 98 S., Fr. 22.90.

(und Rez. moniert die Einsprachigkeit und plädiert entschieden mit schlagenden Beispielen für zweisprachige Ausgaben, wie wahr!)



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