Im Herbst 1963 stach der junge Dichter Dmitri Bobyschew dem jungen Dichter Joseph Brodsky [dessen Name, bevor er amerikanisiert wurde, Iossif Brodskij war] die Frau aus. Das war nicht cool. Die beiden waren enge Freunde. Sie traten oft gemeinsam in alphabetischer Folge bei Lesungen im Raum Leningrad (heute Petersburg) auf. Bobyschew war 27 und hatte sich kurz zuvor von seiner Frau getrennt; Brodsky war 23 und lebte von Gelegenheitsjobs. Zusammen mit 2 weiteren vielversprechenden jungen Dichtern nannte ihr Freund und Mentor Anna Achmatowa sie den Zauberchor. Sie war der Meinung, daß sie nach den dunklen Stalinjahren für die Erneuerung der russischen Lyrik stehen. Als sie gefragt wurde, welche der jungen Dichter sie am meisten bewundere, nannte sie die zwei: Bobyschew und Brodsky. …
Brodsky widmete der jungen Frau einige der schönsten Liebesgedichte der russischen Sprache. …
Im November 1963 erschien ein beleidigender Artikel über Brodsky in der lokalen Zeitung, in dem von seinen Hosen, seinem roten Haar, seinen literarischen Ambitionen und seinen Gedichten die Rede war, obwohl 3 der 7 Zitate gar nicht von Brodsky waren, sondern von Bobyschew. Jeder wußte, daß ein solcher Artikel das Vorspiel der Verhaftung war. Brodsky Freunde warnten ihn und beschworen ihn, vorsichtshalber nach Moskau zu fahren und abzuwarten. In Moskau erfuhr er, daß Bobyschew mit seiner Freundin Neujahr auf der Datsche eines Freundes verbracht hatten. Er fuhr nach Leningrad, um sie zur Rede zu stellen, und wurde verhaftet. Der darauffolgende Prozeß wurde zum Gründungsereignis der sowjetischen Menschenrechtsbewegung und machte Brodsky weltberühmt. / Keith Gessen, The New Yorker