65. Hohle Nüsse und Saftbetrieb

Ein Kommentar von Axel Kutsch

In seinem 576 Seiten umfassenden Band „Textleben“ mit gesammelten Aufsätzen und Reden, der jetzt bei S. Fischer erschienen ist, geizt der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Michael Lentz nicht mit Kritik an unserer zeitgenössischen Lyrik. Sie gipfelt in seinem Rundumschlag, daß die meisten heutigen Autoren „enttäuschend hohle Nüsse“ seien. Äußert sich hier ein wirklicher Kenner der Szene oder wütet nur ein Berserker, dem die Lust an der Provokation zu Kopf gestiegen ist?

Wenn ich an die zahlreichen deutschsprachigen Gedichtbände vor allem neuerer Autoren und mehrere Anthologien denke, die ich in letzter Zeit gelesen habe, sind mir eigentlich wenig hohle Nüsse unter die Augen gekommen. Allerdings ist in der jungen Generation auch kaum Aufregendes in Sicht, wie wir es beispielsweise aus den neunziger Jahren von Marcel Beyer, Durs Grünbein oder Thomas Kling kennen. Eine Autorin bemühte vor kurzem im Hinblick auf neue Lyriker die reichlich abgegriffene Floskel junge Wilde. Ist es nicht eher angebracht, von jungen Milden zu sprechen?

Ob wild oder mild, enttäuschend hohle Nüsse muß man heute – jedenfalls in der litarisch relevanten Nische unserer Poesie – mit der Lupe suchen. Hohl ist eher in weiten Teilen der von einem Insider der deutschen Lyrikszene so bezeichnete „Saftbetrieb“. Es erinnert fast schon an absurdes Theater, wenn eine mittelmäßige jüngere Poetin mit guten Beziehungen in diesem ach so menschelnden Betrieb innerhalb kurzer Zeit ein Dutzend Preise und Stipendien einheimst und ein wenig älterer Kollege, dessen Lyrik allerdings das Mittelmaß übersteigt, in einem guten Jahrzehnt 25mal die Freuden öffentlicher Ehrungen genießen darf. Der beide weit überragende Thomas Kling hat gerade mal neun Preise erhalten.

Offenbar dreht sich heutzutage das Preiskarussell immer schneller, sobald ein Autor einmal mit einer nennenswerten literarischen Auszeichnung bedacht worden ist. Die Vermutung liegt nahe, daß sich so manches Jurymitglied konformistisch an der Auswahl vorheriger Gremien orientiert, um so scheinbar auf Nummer sicher zu gehen. Und mitunter läuft es wohl auch wie geschmiert, wenn die eine oder andere gute Beziehung vorhanden ist. Viel Saft im Betrieb, wenig Würze.



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