Bei Faustkultur ein ausführliches Gespräch übers Gedichteschreiben mit Marcus Roloff, Auszug:
Beim Produzieren wird man allerdings selber schon gesteuert. Man wird gesteuert durch die Geschichte der Poesie. Man weiß, was überhaupt nicht geht. Man sortiert ja schon. Das andere aber, was dabei eine Rolle spielt, ist, dass man auch immer einen Fokus hat, der sich auf etwas richtet, was einen von anderen, die Gedichte schreiben, unterscheidet.
Ja, das ist das sogenannte Eigene. Das ist das eigene Sprechen, das man sich im Laufe der Jahre erarbeiten muss, das man der Stimme der Anderen entgegenhält. Das fällt einem nicht zu, glaube ich. Das ist eine Sache, die einem dann irgendwann bewusst wird: dass es geht, dass es funktioniert. Wenn das eine oder andere eintritt, wie auch immer, merkt der Lyriker, aha, es funktioniert. Es funktioniert, was ich hier versuche. Ich habe ein Gedicht – auch wenn es nur eins ist –, das so stehen bleiben kann! Diese Erfahrung macht einem irgendwie Mut und freut einen. Und gleichzeitig ist es so, dass das jedes Mal neu erarbeitet werden muss. Es ist nicht so, dass es los geht und man es einfach aufschreibt. Klar, man muss losschreiben, einfach möglichst die ganze Zeit schreiben, das ist ganz wichtig, aber das heißt noch lange nicht, dass man da gute Gedichte aufschreibt. – Also gedanklich ist mir der Ansatz, ständig in einem Steinbruch zu wühlen, näher als das dreimal im Jahr einmalige Behauchtwerden: Aus vielem, was man notizen- und entwurfsartig geschrieben hat, etwas zu machen, also das Material selber herstellen oder das, was man geschrieben hat als Material betrachten, – und dann einen Tag später, Tage, Wochen, manchmal Jahre später gucken, was ist das? Hat das Sinn im Sinne von: Kann man daraus überhaupt etwas machen? Mir ging es ja lange Zeit speziell um meine Ost-Herkunft. Und wenn man mal schaut, wie die Gedichte in der Entwurfsfassung zum Teil aussehen, – da wurde mir recht schnell klar, das war mitunter sehr schwach zu Anfang. Es gab da eine Stimmung, die im Gedicht eingefangen wurde, der – für mich sehr wichtige – Erinnerungsmodus, der Vergangenem hinterherstöbert, das entscheidende Einstiegszenario; und dann musste ich das aber auffüllen mit wirklich Konkretem. Und das Konkrete war am Anfang manchmal äußerst schwach. Es war vielleicht ein Bild oder eine spezielle Erinnerung: Klassenraum, Häkel- oder Gartenarbeit, Jugendzeit, Gerüche, – ich weiß noch, wie die Klassenzimmer rochen in der DDR. Und da musste ich eben versuchen, dafür konkretere Bilder zu finden, die dann auch stichhaltig sind. Und da habe ich dieses Harte-Schnitte-Verfahren für mich entdeckt, das Überblenden historischer Schichten. Das heißt, Bild an Bild, zackzackzack, relativ hart, relativ knapp – sowieso. Das war für mich wichtig zu sehen, dass das gelingen kann, schlaglichtartig ein Gedicht aufzubauen: Dinge, die miteinander zu tun haben, die Erinnerung ist grundsätzlich da an etwas mehr. Das aber muss man herausschälen, da muss man gucken, was ist das genau? Es kann nicht sein, dass das irgendwie im Vagen bleibt. Das muss schon aus dem Ungefähren rausgezogen werden ins Klare und Deutliche. Ich bin durchaus ein Verfechter von Klar und Deutlich. Gleichzeitig ist mir dieses Präzisionsargument aber auch zu nackt. Sprache sollte präzise sein, ja. Anders geht es ja gar nicht, das ist kaum mehr, als eine Klappentext-Kategorie. Also ich meine, diese Kategorie ist selbst nicht präzise.
Suchst Du sprechende Bilder?
Bilder, die so stark sind, dass sie über das, was man selber erlebt hat, irgendwie hinausgehen; dass das greifbar wird auch für den Leser. Sie sollten dann so tragfähig sein, dass ich als Leser das, was da speziell steht, auch wenn ich es nicht kenne, verstehe – also Namen zum Beispiel, Ortsnamen, das sind natürlich für mich auch nur Platzhalter und gleichzeitig für mich höchst wichtig, weil sie etwas Bekannt-Unbekanntes transportieren. Bei mir reicht oft schon, wenn ich mir vorstelle: „Mecklenburger Dorf“, das ich kenne, durch das ich gefahren bin oder das ich besser kenne durch Verwandtschaft usw. Das ist dann für mich schon so ein Bedeutungsträger, dass sich daraus langsam ein Gedicht ergeben kann, wenn man’s richtig anstellt. Also Namen, Ortsnamen, Eigennamen, die sollte man auch sparsam verwenden, aber ich tu’s gerne, denn konkreter geht’s gar nicht. Ein Name ist das Gegenteil von abstrakt. Und wenn jemand den Namen nicht kennt und mit dem Ort nichts anfangen kann, dann ist es meines Erachtens nicht schlimm, wenn das im Ganzen was ergibt, wenn das so ein eigener Sprachkontext ist, der so dasteht, – auch wenn er etwas verschlossen ist. Ich mag zum Beispiel das Spätwerk von Peter Huchel sehr gerne. Das ist extrem verschlossen. Das ist kodifiziert. Von Celan reden wir jetzt gar nicht. Das ist eine ganz eigene Nuss. Aber es geht in der Gegenwart wohl auch gar nicht mehr darum, auf eine klassische Weise verständlich zu sein, so dass alles von allen nachvollzogen werden kann. Es geht vielleicht eher darum, das eigene Sprechen so weit zu treiben, dass es für den Leser in einem produktiven Sinn rätselhaft bleiben kann.
Marcus Roloff Text und Audio