47. Rückblende April 2001: Bartträger

Der letzte Dreck kam im April aus Österreich:

Alltag in Österreich: „Kronenzeitung“ feiert Hitler.

Eine Behauptung, eine Frage, ein Gedankenspiel – wäre es möglich, daß in einer großen deutschen Tageszeitung an einem 20. April folgendes Gedicht an prominenter Stelle erscheint: „Fürwahr, ein großer Tag ist heut! / Ich hab mich lang auf ihn gefreut, / es feiern heute Groß und Klein / zumeist daheim im Kämmerlein, / doch manche auf der Straße auch / den unverzichtbar schönen Brauch / bei dem, von Weisen inszeniert, / Gesellschaft zur Gemeinschaft wird. / Ihm sei’s zur Ehre, uns zum Heil.“ Gesellschaft zur Gemeinschaft, Ehre und Heil, soso. Die besondere Pointe steckt natürlich in dem, was man in diesem Zusammenhang ruhig den „Endreim“ nennen könnte. Der lautet nämlich: „Taxi Orange, der zweite Teil!“

Dieses „Gedicht“ erschien vor vier Tagen in der größten Tageszeitung Österreichs, der „Kronenzeitung“, verfaßt von ihrem berüchtigten „Hausdichter“ namens „Wolf Martin“. Bloß ein harmloses Loblied auf die zweite Staffel von „Taxi Orange“, der österreichischen Version von „Big Brother“? Jene Kritiker der „Krone“, denen dieser ganz spezielle Reim an Führers Geburtstag nicht ohnehin entgangen ist, zucken bereits resigniert die Schultern und meinen, man könne wieder einmal nichts beweisen. Doch ist hier eine Grenze überschritten. Dieses Gedicht an dem Tag und dem Ort seines Erscheinens ist nichts weniger als ein Skandal. / Eva Menasse, FAZ 26.4.01

Aber es gibt auch ein anderes Österreich. Franz Josef Czernin stellte Christine Lavant in der Reihe Dichter erklären Dichtung vor. Der „Rimbaud-Preis“ für junge Literaten ging an Christian Filips – Beckett und Celan nennt der Germanistikstudent als Leitbilder.

Gott dem Ohnmächtigen ist Jandls vermutlich allerletztes Gedicht («rot sei gott») gewidmet – auch dies ein verkapptes Selbstbildnis aus Fluchtiraden und Horrormetaphern, «ein sich in sich speiendes sei gott / . . . / ein im eigenen hirn steckengebliebenes / zeugungsglied». schreibt Felix Philipp Ingold, NZZ 18.4.

Ein neuer Wiener Verlag bringt Dichtung aus ganz Mitteleuropa auf den Markt: Franz Hammerbachers „Edition Korrespondenzen“. Im Programm u.a. Ilse Aichinger und Kurt Drawert, die slowakische Lyrikerin Mila Haugová, der Österreicher Franz Weinzettl und der Tscheche Petr Borkovec.

Aus Frankreich dies:

Arthur Rimbaud, Dichter des Symbolismus, Schöpfer der „Erleuchtungen“ und des „Aufenthalts in der Hölle“, Freund und zeitweise Lebensgefährte Paul Verlaines, Abenteurer, ging 1880 nach Zypern. In Limasol beaufsichtigte er Arbeiter, welche die Sommerresidenz für den britischen Gouverneur bauten. Doch der Verdienst war ihm zu gering. Also suchte er anderswo Arbeit, etwa in der (heute saudischen) Hafenstadt Dschidda. Vergeblich. Schließlich tauchte Rimbaud, fieberkrank und „wie Strandgut auf den glühenden Wüstensand geworfen“, auf dem „kahlen und sengenden Felsen von Aden auf“, wie Enid Starkie in seiner Rimbaud-Biografie schreibt. / Heiko Flottau, Süddeutsche 21.4.01

Einen Kriminalroman aus lauter Gedichten hat die australische Lyrikerin Dorothy Porter mit „Die Affenmaske“ geschrieben, und der Lyriker und Germanist Dirk von Petersdorff führt einen Feldzug gegen die vermeintlichen Altlasten der literarischen Moderne. Ihn nerven die „Metadiskurse der Bartträger“, die Verlogenheit der machtbewussten „Priesterliteraten“ und jene ordnungsliebenden Staatskünstler, die die Kunst politisch funktionalisieren wollen. (Vielleicht ist er auch nur neidisch? fragt ein – machtloser – Bartträger).

 



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