Der öffentliche Raum heißt so, weil er in Grenzen öffentlich genutzt werden darf. Die Grenzen sind gegeben durch Gesetze und Gewohnheitsrechte, sonst aber durch die Verwaltung. Die bestimmt im Zweifel die Toleranzgrenzen. Shit happens, sagen die Amerikaner, es geschieht auch in Europa. Hundeshit gehört zum öffentlichen Raum, zu Kinderspielplätzen zum Beispiel, da ist die Verwaltung meist machtlos. Wer privat baut, beschert Nachbarn und Passanten Staub, Lärm und dreckige Bauzäune, das gehört dazu, muß also meist hingenommen werden. Werbung, auch dem und jenen bis zum Ekel widerwärtige, gehört zum Geschäftsleben und muß hingenommen werden wie die Gesichter und Parolen der Politiker jeder Couleur. Helmut Seethaler gehört nicht dazu, nicht in Wien. Der als „Zettelpoet“ bekannte Wiener wird seit vielen Jahren von den Wiener Verkehrsbetrieben und der Verwaltung verfolgt. Seine Gedichtzettel und mit Kreide geschriebenen Zeilen überschreiten die Toleranzgrenzen. Der mehrfach Vorbestrafte und noch viel mehr von Strafanzeigen Verfolgte kündigt zum wiederholten Mal Renitenz an. Eben mit einer per Twitter und Facebook verbreiteten SELBSTANZEIGE:
Oeffentliche SELBSTANZEIGE: ich entscheide mich, die verbreitung meiner gedichte trotz vorstrafen weiterzufuehren: ich beschreibe wieder schmutzige gehsteige+desolate bauwaende mit entfernbaren stiften: [email protected]
Alle Freunde der Poesie und überhaupt des freien Wortes und (vielleicht ist das ein Synonym) alle, denen das Konzept des öffentlichen Raums etwas bedeutet, sollten ihm Solidarität erzeigen, seis durch öffentliche Bekundung, durch materielle Zuwendung oder durch ein Lächeln.
(Ein Literaturwissenschaftler sagte mir neulich: aber es sind doch schlechte Gedichte. Mit Verlaub, das ist mir zuviel Zartsinn. Nicht nur weil die Maßstäbe immer strittig und, wo als unstrittig behandelt, immer autoritär sind. Vor allem aber: seit wann ist es Aufgabe des Lesers, die Verwaltung zu unterstützen? Gilt in Wien wie in Preußen, an Isar, Neckar, Pleiße und überall. WIR SIND DIE ÖFFENTLICHKEIT!)
In L&Poe: http://lyrikzeitung.com/tag/helmut-seethaler/