33. Stück: Schneewittchen – Ein Märchen, zwei Filme

Es war einmal eine Bloggerin, die wollte einen Artikel über zwei Märchenfilme schreiben, die sie kürzlich gesehen hatte und die dieselbe Geschichte auf eine so unterschiedliche Weise erzählten, dass sie sich noch am selben Abend, als sie den zweiten Film über Schneewittchen im Kino gesehen hatte, ans Werk machte.

Vor einiger Zeit hatte ich einen Essay darüber geschrieben, wie man ein klassisches Stück so bearbeiten kann, dass es uns auch heute noch etwas erzählen kann. Die Themen, die beispielsweise in der griechischen Mythologie verhandelt werden, wie Liebe, Eifersucht, Rache, Hass, Ehrgeiz und so weiter, sind zeitlos und werden uns immer wieder beschäftigen. Das Gleiche gilt auch für die Volksmythen, die die Brüder Grimm vor etwa 200 Jahren gesammelt, und in ihren Kinder- und Hausmärchen verewigt haben. Den Beweis dafür, wie unterschiedlich man Schneewittchen beispielsweise interpretieren kann, kann man zurzeit im Kino bewundern. Am 05. April startete die urkomische VersionSpieglein, Spieglein – Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen und seit letzter Woche, dem 31. Mai läuft die düstere Albtraum-Fassung Snow White & the Huntsman, die ich mir vorhin zu Gemüte geführt habe. (Die folgende Darstellung enthält Spoiler)

In Spieglein, Spieglein habe ich mich wunderbar amüsiert, vor allem über die von Julia Roberts nicht ohne Selbstironie dargestellte böse Königin. Keine schauspielerische Meisterleistung, aber überaus witzig. Das Schneewittchen war zwar zuckersüß, mit den großen Kulleraugen und dem Puppengesicht, was mich normalerweise aus Prinzip schon nervt (denn wer könnte besser diesen Kulleraugen-Niedlich-gucken-Trick durchschauen, als jemand, der ebenfalls mit großen Kulleraugen durchs Leben hüpft?), aber von Phil Collins Sprössling Lily mit so viel Charme und Keckheit interpretiert, dass man sie einfach mögen musste. Die Zwerge waren erwartungsgemäß putzig, drollig und ulkig und ein Happy End mit dem gutaussehenden Prinzen gab’s selbstverständlich auch. Überdies war der Vater auch nicht gestorben, sondern nur verzaubert und wurde am Ende wieder errettet, so dass zum Schluss alles seine Ordnung hatte und man mit einem guten Gefühl und einem zufriedenen Grinsen im Gesicht den Kinosaal wieder verlassen konnte. Schneewittchen war durchaus wehrhaft und ein kluges, selbstbewusstes Mädchen, so dass auch meine innere Feministin nicht allzu viel zu meckern hatte und sich die Mühe aufzumucken sparte. Dieser Film hatte es sich offenbar zum Ziel gesetzt, unterhaltsam, witzig und spaßig zu sein, einfach gut gemachtes Wohlfühl-Gute-Laune-Kino, und das hat er auf jeden Fall geschafft. Nichts, worüber man noch Jahre später drüber nachdenkt, kein Film der nachwirkt, aber ein Film, der einen fröhlich nach Hause entlässt.

Wie anders ist da die neueste Schneewittchen-Fassung Snow White & the Huntsman. Düster, deprimierend, albtraumhaft ist hier die Landschaft als ein Spiegel der Seele einer vor Verzweiflung wahnsinnigen Frau in Szene gesetzt, der bösen Königin. Charlize Theron beweist einmal mehr, dass sie auch noch viel mehr kann, als einfach nur hübsch aus der Wäsche zu schauen. Ihre Königin ist nicht einfach so böse, wie es die von Julia Roberts verkörperte Rolle noch war, sondern wurde als Kind von ihrer Mutter mit einem Zauber (oder Fluch?) belegt, der es ihr erlaubte, ewig jung zu bleiben, wenn sie nur in regelmäßigen Abständen jungen Mädchen das Leben aussaugt. Ihr zur Seite steht der Bruder, ihr ergebener Diener und treuer Handlanger, den sie schließlich doch verrät, um ihre eigene Haut zu retten. Therons Königin ist eine fast schon tragische Figur, die von Rache, Eitelkeit und Machtgier zerfressen, alles um sie herum zerstört, was sie vielleicht hätte lieben können. Wenn Snow White sie am Ende besiegt, scheint es, als sei es keine Niederlage, sondern eine Erlösung.

Kristen Stewart, bekannt als somnambule Ohrfeige in das Gesicht weiblicher Emanzipation namens Bella aus der Twilight-Reihe, zeigt, dass sie auch mehr drauf hat, als schläfrig in die Kamera zu schielen und sich von pubertierenden Werwölfen und schnöseligen Vampiren mit Heldenkomplex herumschubsen zu lassen. Ihre Snow White ist der glatte Gegenentwurf zur unterwürfigen Bella und auch zum fröhlich-niedlichen Schneewittchen von Lily Collins. Von der für europäische Gemüter etwas befremdenden Szene abgesehen, in der Snow White zwei selbstgebastelte Reisigpüppchen fest an sich pressend, mit tiefster Innbrunst das Vaterunser aufsagt, abgesehen, ist sie hier eine ganz und gar unabhängige, mutige junge Frau, die schließlich über sich hinauswächst, um ihr Volk und ihr Land zu retten. Das hat zugegebenermaßen auch etwas religiöses Geschmäckle, erinnert es doch sehr an Jeanne d’Arc. Aber die Spannung und dichte, düstere Atmosphäre lassen darüber hinweg sehen.

Lange Zeit fragt man sich, wo denn in dieser Schneewittchen-Version eigentlich die Zwerge bleiben. Ungefähr nach der Hälfte der Zeit (nachdem mein Cineasten-Hirn schon überall nach Metaphern Ausschau gehalten, und zu dem Schluss gekommen war, dass Snow White die Zwerge symbolisch in ihrem Herz trägt), tauchen sie doch noch auf. Eine Gemeinsamkeit mit Spieglein, Spieglein ist, dass auch hier die Zwerge für komische Momente sorgen und nicht ganz frei von Possierlichkeit sind. Witzig war der Seitenhieb auf den Disney-Film in folgendem Dialog: “Hey Ho, an die Arbeit!” – “Wenn er jetzt auch noch anfängt, zu pfeifen, hau ich ihm eins in die Fresse” (aufgrund dessen, dass ich frei aus dem Gedächtnis zitiere, kann es sein, dass der genaue Wortlaut leicht hiervon abweicht). Aber auch hier sind die Zwerge traurig, deprimiert, resigniert, verzweifelt. Im Kampf verlieren sie sogar einen von ihnen. Schließlich sind sie dann für das Gelingen der Rückeroberung des Schlosses von großer Wichtigkeit.

Eine ungewöhnliche Rolle für eine Hollywood-Blockbuster-Produktion spielt die Liebe in Snow White & the Huntsman. Gibt es in Spieglein, Spieglein noch das genretypische Princess-meets-Prince-Happily-Ever-After-Ende, so steht Snow White in der Albtraum-Version zwischen zwei Männern: Ihr ‘Sandkasten-Freund’ Will und der Huntsman. Snow White stirbt zwischendurch, wie auch in Grimms Märchen, durch die List der bösen Königin und den Biss in einen vergifteten Apfel. Nicht Wills Kuss erweckt sie wieder zum Leben, sondern der des Huntsman. Da denkt man als märchenkundiger Zuschauer natürlich, Aha, der Huntsman ist ihre wahre Liebe, denn nur der wahren Liebe Kuss erweckt Tote zum Leben. Der romantische-Komödie-erprobte Zuschauer wundert sich allerdings, Nanu, sonst ist es doch immer der ‘tausend Mal berührt, tausend Mal ist nichts passiert’-Sandkastenfreund, der die Frau kriegt. Daraus folgert schließlich der Fantasyfilm-erfahrene Zuschauer, dass einer von den Beiden sich für Snow White aufopfern wird, und der Übrigbleibende sie heiratet. Und das ist tatsächlich mal eine interessante Abwechslung, sie entscheidet sich für keinen von Beiden. Der Film endet mit ihrer Krönung zur Königin und meine innere Feministin hat auch dieses Mal nichts zu beanstanden.

Insgesamt also zwei grundverschiedene Interpretationen derselben Geschichte, die beide auf ihre Weise überaus gelungen sind und in jedem Fall einen genaueren, vergleichenden Blick lohnen und beweisen, dass Märchen eben nicht nur etwas für Kinder sein müssen.


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